2017-03-02 09:00:00

Adveniat: „Von Lateinamerika lernen, Prozesse zu beginnen“


Jahrzehntelange Solidarität mit Lateinamerika hat in Europa das Bewusstsein wachsen lassen, eine Weltkirche zu sein. Mit dem Konzil kam der Impuls, die Konzilsväter hatten sich und die jeweiligen Situationen kennen gelernt - und zurück in den eigenen Ländern wurden die Netze geknüpft. In Deutschland ist daraus etwa das Hilfswerk Adveniat entstanden. Dessen Hauptgeschäftsführer, Prälat Bernd Klaschka, geht an diesem Freitag in den Ruhestand.

Klaschka hat selber fünfzehn Jahre in Lateinamerika als Priester gearbeitet, genauer: im Zentrum Mexikos, in einer der damals ärmsten Regionen des Landes. Das Bistum Münster, zu dem Klaschka gehört, hatte ein Entwicklungshilfeprojekt mit dem dortigen Bistum Tula entwickelt, das hat Klaschka geleitet; später war er auch noch Pfarrer in einer indigenen Gemeinde im Land.

Genossenschaften, Jugendarbeit, Freiwilligeneinsätze aus Deutschland, Arbeit mit den indigenen Bevölkerungen: Was in Tula dort auf die Beine gestellt wurde, liest sich ein wenig wie ein Auszug aus all der Unterstützung, die Adveniat Lateinamerika zukommen ließ und lässt.

2004 kam er aus Mexiko zurück, er wurde von den Bischöfen in Deutschland gebeten, Hauptgeschäftsführer bei Adveniat zu werden. An diesem Freitag endet seine Amtszeit, und ein Nachfolger tritt den Posten an. Aber vollständig zurück ist er immer noch nicht, wie er im Interview mit Radio Vatikan berichtet.

Klaschka: „Ich bin immer noch ein wenig Mexikaner, spontan, ich kann auch ganz gut zu spät kommen [lacht], ich bin doch immer dort ein Stück zu Hause. Auch die Frömmigkeit der Mexikaner hat mich geprägt - vor allem auch, eine Beziehung zu Maria aufzubauen, vor allem die Verbindung der Muttergottes von Guadalupe und der Option für die Armen und für die Indigenen.“

RV: Sie sind nicht der einzige Priester oder Freiwillige, der in den vergangenen Jahren nach Lateinamerika gegangen ist. Schauen wir einmal über Mexiko hinaus: Wie hat dieser Austausch die deutsche Kirche geprägt?

Klaschka: „In vielen Bistümern gibt es Partnerschaften mit Bistümern oder ganzen Ländern, Freiburg hat eine Partnerschaft mit Peru, Trier hat eine Partnerschaft mit Bolivien, Münster hat eine Partnerschaft mit Tula in Mexiko, das Erzbistum Köln hat Partnerschaften mit mehreren Diözesen in Brasilien, dort gibt es finanzielle Hilfe und auch Austausch von Personen: So hat sich das auf die Gemeinden und Pfarreien herunter gebrochen. Die Verantwortung, weltkirchlich tätig zu sein, ist sehr stark durch Lateinamerika in die deutsche Kirche hinein gekommen.

Ich glaube auch, dass sich in der Kirche in Deutschland und in den Gemeinden auch die Form, Liturgie zu feiern, breit gemacht hat, etwa eine gewisse Spontaneität, die ja etwas ganz Typisches für Lateinamerika ist. Ich glaube auch, dass der Austausch im Glauben und in der Frömmigkeit wichtig ist.

Die Verantwortung der Menschen für die früher so genannte „Dritte Welt“ ist durch diese Beziehung über Adveniat zu Lateinamerika im Anschluss an den Impuls des Konzils, Weltkirche zu sein, gewachsen.“

RV: Wie schauen unsere Länder heute auf Lateinamerika, das der Papst ja „Ende der Welt“ genannt hat?

Klaschka: „Da gibt es verschiedene Wahrnehmungsweisen. Auf der einen Seite würde ich sagen, dass die eher Älteren sehen, dass die Solidarität weiter notwendig ist. Die etwas Jüngeren – Jugendliche bis zu vielleicht Fünfzigjährigen – fragen kritisch, was nach fünfzig Jahren der Hilfe und Solidarität das Ergebnis ist. Das ist ja auch berechtigt.

Die Probleme sind ja nicht so, wie wir uns das vielleicht vorgestellt haben, gelöst worden. Die Schwierigkeiten bleiben bestehen. Die Armut bleibt bestehen. Da stellt sich die Frage, wie wir effektiver helfen können.

Und noch etwas hat sich verändert, die Sicht geht bei eher Jüngeren mehr auf die Katastrophenhilfe. Die ist in der Lage, Menschen zu mobilisieren. Bei langfristiger Hilfe werden Menschen kritischer und wollen Ergebnisse sehen.“

RV: Was hat sich denn in den fünfzig Jahren Gutes getan? Was wäre denn nicht passiert, wenn Adveniat und andere nicht geholfen hätten?

Klaschka: „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich die Frage der Bildung heute in Lateinamerika anders stellen würde, wenn wir nicht geholfen hätten. Es wäre nicht der Bildungsgrad und damit der Selbstbewusstseinsgrad in Lateinamerika erreicht worden, den wir heute erreicht haben.

Ich glaube auch, dass die indigene Frage in Lateinamerika selbst und in unseren Breiten nicht so präsent wäre, wenn Kirche nicht so intensiv dort Solidarität gezeigt hätte.

Man wäre auch anders mit dem Amazonasgebiet umgegangen, bedeutend ausbeuterischer, als es im Augenblick geschieht. All diese Initiativen breiten sich aus und stecken an.“

RV: Von El Paso im Norden bis Feuerland im Süden: Lateinamerika kann man sicherlich nicht über einen Kamm scheren. Aber von dort her auf uns hier geblickt, wie sehen sie uns?

Klaschka: „Sie sehen uns als Brüder und Schwestern, wenn ich das theologisch ausdrücken darf, also als Teil derselben Kirche und nicht als jemanden, der sich wie in der Politik durch Interessen leiten lässt. Das ist ein großer Vorteil und auch eine große Stärke, die wir in Deutschland haben und die dort auch erkannt worden ist. Adveniat kennt man wirklich in den kleinsten Dörfern in allen Ländern des Kontinents, und dadurch entstehen Beziehungen.

Die Menschen dort arbeiten nicht nur auf Grund von sachlichen Inhalten, wichtig ist es dort immer, ein Beziehungsgeflecht aufzubauen und davon zu leben. Das ist uns, glaube ich, gelungen.“

RV: Gibt es noch Dinge, die wir lernen können?

Klaschka: „Wir können viel von Lateinamerika lernen. Zum einen eine gewisse Unbefangenheit und eine gewisse Spontaneität. Dann aber auch eine Haltung, die sich darauf bezieht, Prozesse zuzulassen und nicht nur ergebnisorientiert zu handeln. Wir hier schauen sehr viel unter der Perspektive des Ergebnisses an. In Lateinamerika sagt man eher ‚lass uns einfach den Prozess beginnen, unterwegs können wir ja noch etwas ändern’. In Deutschland geht man dann erst gar nicht los. Die Menschen sagen ‚ich gehe los, auch wenn ich vielleicht woanders ankomme als dort, wo ich ursprünglich hin wollte’. Das können wir, glaube ich, lernen.“

(rv 02.03.2017 ord)








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