2017-02-14 11:10:00

Syrien:„Die Feinde von heute sind die Freunde von morgen“


Es ist eine „immense Katastrophe“, sagen die Vereinten Nationen: In vielen Teilen Syriens kommt die humanitäre Hilfe nicht an. Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe spricht von 60.000 Menschen, die in den syrischen Städten Zabadani, Madaya, Fuoa und Kefraya in Gefahr seien. Es sei nötig, sofort zu handeln. In Homs gibt es zwar keine Kämpfe mehr und die Hilfe läuft an, aber die Situation bleibt undurchsichtig und schwer. Doch es gibt über humanitäre Hilfe hinaus noch etwas anderes, das fehlt: Hoffnung und Vertrauen. Das berichtet Magdi Seif, ein ägyptischer Jesuit, der in der syrischen Stadt Homs drei Pfarreien betreut und den Jesuitenflüchtlingsdienst JRS leitet. Der Pater ist dieser Tage in Europa unterwegs und erzählt aus Syrien, damit das Schicksal der Menschen in dem Kriegsland nicht vergessen wird. Im Gespräch mit der Jesuitenmission in Nürnberg sagt er:

„Die Menschen brauchen Hoffnung, weil es keine Hoffnung in Homs gibt. Die Situation ist ziemlich schlecht, in dem Sinne, dass man in einer unklaren Situation lebt. Die Freunde von heute sind die Feinde von morgen, und die Feinde von heute sind die Freunde von morgen. Man weiß nicht so recht, was eigentlich gerade passiert. Ich glaube, das ist das schwerste. Man kann niemanden vertrauen und man weiß nicht, ob überhaupt jemand weiß, was gerade passiert. Das ist unsere Hauptsorge. Wir sehen keine Hoffnung.“

Diese Hoffnungslosigkeit führe sogar dazu – und das hat der Jesuit so noch nie erlebt –, dass Eltern ihre Kinder dazu zu bringen wollen, die riskante Flucht aus dem Land zu versuchen. Seifs Gegenwart in Syrien setzt genau dort an und sagt den Menschen: „Es gibt Hoffnung, auch wenn wir das Ende des Tunnels nicht sehen können! Es gibt Hoffnung! Ich habe nicht viel zu geben, aber einfach da zu sein, ist ein Zeichen der Hoffnung. Jeder fragt: „Pater, warum kommen Sie aus Ägypten hierher? Wir alle versuchen das Land zu verlassen! Und Sie kommen hierher?“

„Die Kinder sind die Zukunft und Hoffnung!“

An drei Orten in und um Homs ist der Jesuiten-Flüchtlingsdienst präsent. Schwerpunkt der Arbeit: die Kinder. Warum, erklärt Pater Seif so. „Alle anderen Organisationen kümmern sich momentan darum, den Menschen Essen, Unterkunft und Ähnliches zu geben. Und weil andere das tun, haben wir gesagt, dass wir etwas tun können, was nur für die Zukunft ist. Mit den Kindern in einer geschützten Umgebung zu arbeiten ist sehr wichtig für die Kinder. Sie sind die Zukunft Syriens! Das ist Hoffnung! Ein kleiner Teil unserer Arbeit ist Bildung, aber das ist nicht unser Hauptziel. Unser Hauptziel ist es, jedem Kind zu helfen, zu verstehen und zu akzeptieren, was gerade passiert und ein Kind zu sein: spielen, lachen, laufen, springen.“

Besonders zwei Probleme prägen den Alltag der Menschen in Homs: Einerseits die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, so bekommt beispielsweise jeder nur wenige Stunden Elektrizität pro Tag. „Alle Familien müssen darüber besorgt sein, ob sie ihre Handys aufladen können, ob es geladene Batterien gibt, damit es auch am Abend noch Elektrizität gibt. Diese Sorgen sollte es nicht geben.“ Andererseits haben viele Familien auch Angst um die Zukunft der Kinder: „Besonders betrifft es die Jungen. Es gibt immer die Sorge, ob sie nicht zum Militärdienst eingezogen werden. Und wenn sie eingezogen werden, kommen sie dann zurück? Und wenn sie zurück kommen, sind sie dann sicher oder landen sie im Gefängnis?“ Auch die medizinische Versorgung ist unzureichend, das notwendige Geld fehle hier. Eine echte Bedrohung sei weiterhin auch der sogenannte Islamische Staat. Viele Menschen in Homs fragen sich, woher die immer neuen Ressourcen der Terrormiliz kommen. „Sind die wirklich so mächtig und so reich, dass sie all das selbst kaufen können, oder gibt es einige Gruppen oder Staaten, die dahinter stehen?“, fasst der Jesuit die Fragen zusammen.

„Die Menschen wollen leben“

Vor einem Monat hat Seif die syrische Stadt Aleppo für drei Tage besucht. Durch die Luftangriffe sei sie viel stärker zerstört als Homs. „Da gibt es nur eine Straße. Links von dir läuft das ganz normale Leben ab und rechts von dir ist alles zerstört. Als wärst du in einem völlig anderem Land. Aber man sieht nach wie vor all die Menschen, die wirklich leben wollen und beispielsweise Stromgeneratoren organisieren und sich gegenseitig helfen. Sie haben begonnen, ihr Leben so zu organisieren, wie es zur Situation passt. Da steckt Lebensenergie dahinter!“, beschreibt Seif das ambivalente Bild von der Stadt.

Der JRS in Aleppo hat – neben Unterstützung durch Medizin und Essen – ein besonderes Projekt: Eine Studienzone mit einem kleinen Copyshop und der Möglichkeit zum Studieren, Lesen, Diskutieren. Einen Platz, wo es warm ist, wo es Licht und Internet gibt. „Das ist nicht besonders teuer, aber die Idee dahinter ist wichtig: Einen Raum zu schaffen, wohin jeder kommen kann, um zu studieren und das Internet zu benutzen. Das ist einfach eine wunderbare Idee.“

(rv 14.02.2017 dh)








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