2017-01-28 09:21:00

Holocaust-Gedenken: Licht und Schatten einer Kultur


Es gehört zur deutschen politischen Kultur wie kaum ein zweites Thema: das Gedenken an die Opfer des Holocaust, an diesem Freitag mit dem Tag der Befreiung von Auschwitz begangen. Ganz so selbstverständlich ist diese Erinnerungskultur aber nicht, wie der AfD-Politiker Björn Höcke taktisch gut platziert einige Tage vor dem Gedenken deutlich gemacht hat.

Nach seiner Kritik am Holocaust-Mahnmal von Berlin wurde der Abgeordnete von einer Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Landtag von Thüringen ausgeschlossen. Auch die KZ-Gedenkstätte Buchenwald reagierte und erteilte Höcke Hausverbot. Ein Mitarbeiter der Gedenkstätte habe Höcke bei der Zufahrt gestoppt und ihm das schriftliche Verbot ausgehändigt. Höcke habe die Entscheidung unter Protest akzeptiert und sei wieder in sein Auto gestiegen, melden Nachrichtenagenturen. Höcke hatte in der vergangenen Woche vor der AfD-Jugendorganisation ‚Junge Alternative Dresden’ unter anderem die deutsche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit als „dämliche Bewältigungspolitik“ bezeichnet.

Ganz und gar nicht dämlich ist diese Erinnerungskultur, findet der Psychiater, Theologe und Buchautor Manfred Lütz. Erst im vergangenen Jahr hat er ein Buch gemeinsam mit einem Holocaust-Überlebenden veröffentlicht, Jehuda Bacon, „dem eindrucksvollsten Menschen, dem ich je begegnet bin“, findet Lütz.

Leiden gibt es viele, auch heute noch, auch mit europäischer Mitverantwortung, man muss nur nach Aleppo schauen. Radio Vatikan hat Manfred Lütz gefragt, warum es dennoch wichtig ist, besonders an den Holocaust zu denken.

Lütz: „Es wird im Augenblick viel von europäischer und deutscher Identität gesprochen, gerade anlässlich der Flüchtlinge; da ist es wichtig, dass wir nicht nur den Wohlstand von unseren Vorfahren übernehmen. Dass es uns so gut geht, liegt ja nicht daran, dass wir fleißiger sind oder leistungsfähiger als Menschen in Zentralafrika. Das liegt an unseren Vorfahren, die uns diesen Vorteil erstritten haben, zum Teil auch mit unmoralischen Methoden, wenn wir an den Kolonialismus denken.

Dann müssen wir auch die Last unserer Geschichte auf uns nehmen. Das gehört auch zu unserer Identität. Zur deutschen Identität gehört auch der Holocaust.“

RV: Holocaust-Gedenken findet schon lange statt, man könnte denken, das sei unbestritten. Warum aber müssen wir das immer wieder neu debattieren, warum sind solche Aktionen wie die von Herrn Höcke immer wieder provokant?

Lütz: „Ich glaube, dass es ganz gut ist, dass wir uns darüber streiten. Bei solchen Äußerungen wie denen von Herrn Höcke sind wir alle aufgefordert, dazu etwas zu sagen. Das kann eine Diskussion hervor rufen, die diese Sache präsenter macht und die uns klar macht, dass wir nicht einfach darüber hinweg gehen können. Aber man muss Menschen, die Herrn Höcke hinterher laufen und die vielleicht so schwach sind, dass sie diese Sprüche brauchen, zum Gespräch einladen.“

RV: Was ist aber mit den jungen Menschen, die, wie es heißt, einen Migrationshintergrund haben, bei denen die deutsche Geschichte also nicht Familiengeschichte ist? Es ist nicht ihre Geschichte. Wie interessiert man Menschen, die ja aus einer sich wandelnden Kultur kommen, für dieses doch sehr deutsche Thema?

Lütz: „Wichtig ist zu wissen: Wenn man nach Deutschland kommt, dann kommt man nicht nur in das Land Schillers und Goethes, sondern auch das Land Hitlers und Goebbels. Das muss man auch wissen. Wenn man sich in Deutschland integrieren will, dann muss man sich auch diesen Themen stellen. Man kann sich nicht nur die Rosinen aus der deutschen Geschichte heraus picken.“

(rv 28.01.2017 ord)

 








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