2017-01-26 09:49:00

Geteiltes Mossul: Im Westen herrscht der Islamische Staat


Eine gute und eine sehr schlechte Nachricht aus Mossul. Die gute zuerst: Alle Stadtviertel am östlichen Tigris-Ufer sind jetzt aus den Händen der IS-Terroristen befreit - drei Monate hat das gedauert. Die sehr schlechte Nachricht: In den Stadtvierteln am Westufer sind 750.000 Menschen eingeschlossen, dort herrscht weiter der „Islamische Staat“. Und eine Offensive der irakischen Armee auf der Westseite könnte, so fürchtet die UNO, vielen Unschuldigen das Leben kosten.

„Der nordöstliche Teil der Stadt, den die Armee jetzt befreit hat, ist der größere“, erklärt uns der chaldäische Patriarch, Erzbischof Louis Raphael I. Sako. „Der südöstliche Teil, der als nächstes befreit werden soll, ist zwar kleiner, aber auch komplizierter: Die Häuser dort sind alt, es leben mehr Menschen dort, es gibt keine Straßen, das sind eher Winkel, nur für Fußgänger, Maschinen kommen dort nicht durch. Darum ist die Lage sehr kompliziert – sogar tragisch, denn seit fast einem Monat gibt es dort kein Trinkwasser... Wir wissen eigentlich gar nicht, wie die Lage dort wirklich ist.“

Der chaldäische Erzbischof besucht an diesem Donnerstag al-Nour, 15 Kilometer von Mossul entfernt. Er will sich dort u.a. die Heilig-Geist-Kirche ansehen, eine „befreite“ Kirche, wie er sagt. Der für sie zuständige Priester ist ermordet worden.

Besorgt ist Sako über die Härten, denen die Flüchtlinge aus Mossul ausgesetzt sind. „Es ist jetzt wirklich sehr kalt. Die Leute bräuchten eigentlich irgendwelche Wärmequellen, aber die gibt es nicht. Viele dieser Menschen wohnen in Zelten... Und etwas zu essen wäre nötig, Medizin, Wasser. Eine sehr, sehr schwierige Situation!“

Dass in den USA Donald Trump den Chefsessel der freien Welt eingenommen hat, macht aus der Sicht des Patriarchen die Lage für seine Leute nicht besser. Dabei hat Trump angeblich versprochen, mehr Hilfen in den Irak zu schicken – sagt jedenfalls der irakische Premierminister Abadi. Aber Sako gibt zu: „Wir haben nicht sehr viel Vertrauen. Die sagen uns mal dies und mal das. Wir wissen nicht, wie das alles noch werden wird, und vielleicht hat ja auch die irakische Regierung keine Ahnung, was nach dem IS kommen soll. Die Probleme werden dann nicht alle gelöst sein, sondern dann wird es andere Herausforderungen geben: eine Aussöhnung, die Zukunft von Mossul, die Zukunft der Niniveh-Ebene und das alles... Das ist nicht einfach.“

Werden die christlichen Flüchtlinge nach Mossul und in ihre Dörfer in die Niniveh-Ebene zurückkehren? Das ist nur eine der vielen, quälenden Fragen. Was wird überhaupt mit Mossul, der zweitgrößten Stadt des Irak? Wird die Zentralregierung von Bagdad aus wirklich in der Lage sein, die Stadt zu kontrollieren? Oder wird die Stadt Irakisch-Kurdistan zugeschlagen? Auch der türkische Präsident Erdogan hat übrigens schon etwas von türkischen Ansprüchen auf Mossul gemurmelt.

Frage an den Patriarchen: Was sollte die internationale Gemeinschaft jetzt tun? Seine Antwort: „Priorität hat die Sicherheit, so dass alle in ihre Häuser zurückkehren können. Dann die Politik: Der Staat sollte eine globale Politik für den Irak entwerfen, an der alle Gruppen teilhaben und wo alle integriert sind. Ich hoffe, dass sich die Regierung einigermaßen neutral verhalten wird und alle Bürger gleichen Rechts sein können. Wiederaufbau der Häuser, der Infrastruktur, also Wasser, Strom, Schulen, Krankenhäuser – all das müsste bis zum Ende des Sommers über die Bühne sein, damit die Menschen in ihre Häuser zurückkehren können!“

Vorausgesetzt, die Christen wollen wirklich zurück. Wenn man sich unter den Flüchtlingen aus Mossul und der Niniveh-Ebene einmal umhört, dann stellt man fest: Viele Christen können sich ein Zusammenleben Tür an Tür mit ihren früheren muslimischen Nachbarn kaum noch vorstellen. Nach allem, was passiert ist. An das frühere Leben läßt sich nicht bruchlos wieder anknüpfen, selbst wenn jetzt Bilder aus dem befreiten Teil von Mossul das suggerieren.

„Es gibt noch gar keine Christen in Mossul“, sagt Patriarch Sako, „die leben weiter als Flüchtlinge in Kurdistan, in Erbil, Duhok, Bagdad, Kirkuk. Und auch für die Muslime ist das ein Schock in Ost-Mossul: Auch sie haben alles verloren, auch viele Muslime leben in Lagern. Den Menschen hingegen, die in ihren Häusern geblieben sind, mangelt es jetzt an fast allem.“

Wie könnte sich die Lage jetzt weiter entwickeln, in der Stadt und der Region? „Also, es gibt Hoffnung. Wir als Kirche werden jetzt bald damit anfangen, die Häuser derer, die zurückkehren wollen, wiederaufzubauen oder zu reparieren, vor allem im nördlichen Teil. Da gibt es eine ganze Kette von Dörfern, die komplett chaldäisch sind, dorthin können sie zurückkehren! Wir haben in den letzten Tagen eine Liste der Familien erstellt, die sofort zurückkehren wollen, und ein bisschen Geld in allen chaldäischen Bistümern aufgetrieben, um bei dieser Rückkehr zu helfen, um die Häuser zu reparieren. Wenn das erstmal ins Rollen kommt, wird das auch andere zu einer Rückkehr ermutigen. Es ist ein Anfang. Danach werden wir noch mehr tun. Wir werden unsere Kirchen, aber auch „Kirche in Not“, Caritas und Bischofskonferenzen bitten, uns zu unterstützen, denn es wäre schade, wenn all diese Menschen weggehen und nicht in ihre Dörfer zurückkehren würden...“

(rv 26.01.2017 sk)








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