2016-12-24 11:50:00

Schönborn bei Flüchtlingsthema „vorsichtiger geworden“


Kardinal Christoph Schönborn hat ein Umdenken in der Flüchtlingsfrage eingeräumt. Er sei in seinen Äußerungen mittlerweile „vorsichtiger geworden“, sagte er am Freitagabend in einem gemeinsamen Interview mit dem evangelischen Bischof Michael Bünker im österreichischen Fernsehen.

„Ich denke, wir waren einfach von der großen Zahl der Flüchtlinge überrascht. Niemand – außer vielleicht Experten – hatte damit gerechnet, dass es große Flüchtlingsbewegungen geben wird. Wir haben ja Etappen erlebt – vom schrecklichen Tod der 71 Menschen in einem Kühlwagen (das war ein furchtbarer Schock, dass so etwas in Österreich auf einer Autobahn passieren kann) bis hin zu dem Gefühl, überfordert zu sein von der unglaublichen Zahl von Flüchtlingen.“

Seine erste Reaktion habe in einer „ganz starken Betroffenheit und Hilfsbereitschaft“ bestanden, so der Wiener Erzbischof und Vorsitzende der österreichischen Bischofskonferenz. „Wir wollten einfach helfen, wir wollten den Menschen entgegenkommen, das ist wohl eine ganz spontane Reaktion, die in der Gesellschaft sehr weit verbreitet war, nicht nur unter Christen... Und dann haben wir doch selber erfahren müssen: Das geht über unsere Kapazität, über unsere Möglichkeiten hinaus. Dann sind wir – ich bin auch selber vorsichtiger geworden in meinen Wortmeldungen.“

Das Ganze sei ein allmählicher Lernprozess gewesen, so Kardinal Schönborn in der ORF-Sendung „Zeit im Bild“. „Sicher, am Anfang habe ich auch gesagt, mit Angela Merkel: Das schaffen wir! Und es haben viele, auch bedeutende Experten, in Österreich gesagt: Das schaffen wir, das ist zu schaffen! Wie Ungarn 1956 zu schaffen war, oder Prag 1968. Oder der Bosnienkrieg mit seinen vielen Flüchtlingen. Wir haben dann gemerkt: Da ist doch eine andere Dimension, und wir brauchen gemeinsame europäische Pläne, wir brauchen mehr Hilfe vor Ort. Das ist inzwischen, glaube ich, allen klargeworden. Wir können nicht alle Flüchtlinge aufnehmen; wir müssen zuerst schauen, dass sie in ihrer Heimat wieder Platz finden und leben können. Gottseidank gibt es zum Beispiel im Irak die Hoffnung, dass Menschen wieder in ihre Heimat zurückkehren können.“

Bünker: Terror ist auch Fluchtursache

Der evangelische Bischof Bünker fügte hinzu, er erlebe Österreich in der Flüchtlingsfrage gar nicht als so gespalten, wie das jetzt oft dargestellt würde. Überhaupt müsse man sich vor Verallgemeinerungen und Schnellschüssen hüten. „Jetzt wird sehr stark behauptet: Flüchtlinge bringen Terrorismus. Man muss gleichzeitig auch sagen: Der Terrorismus bringt Flüchtlinge! Denn die meisten Menschen, die auf der Flucht sind, fliehen ja genau vor dieser Art von Terrorismus, die wir jetzt in Nizza oder Berlin erleben mussten. Ich denke an die christlichen Gemeinden in Syrien, wo viele aus dem Land geflohen sind, weil sie zwischen die Fronten geraten und Opfer von Terrorismus geworden sind. Eine kleine evangelische Gemeinde in Qamishli nördlich von Aleppo war letztes Jahr Opfer von drei Bombenattentaten, und der Pfarrer fragt sich: Was wird er heuer zu Weihnachten seiner Gemeinde sagen, was wird der Inhalt seiner Predigt sein? Er wird entweder über den Kindermord von Betlehem reden oder über die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. In der Weihachtsbotschaft sind ja diese Themen schon präsent: die Gewalt, die Flucht...“

Er halte es für wichtig, so Bischof Bünker, „dass man Rationalität und Vernünftigkeit in die Debatte bringt“. „Was sind die Möglichkeiten, was sind unsere Herausforderungen? Was sind die Standards, auf die Europa stolz ist und zu Recht als Wertgrundlagen akzeptiert hat, also die Menschenrechte? Asyl ist kein Verbrechen, Asyl ist ein Menschenrecht – ich glaube, es verbindet doch die Menschen, daran festzuhalten! Wir sehen es auch in den Kirchen, dass die Zahl der Ehrenamtlichen, die sich für Flüchtlinge engagieren, nicht abgenommen hat, sondern zunimmt und weiterhin stark ist.“

Trotz Terror: „Wir lassen uns die Freude nicht nehmen“

Angesichts des neuesten Terroranschlags von Berlin sprach Kardinal Schönborn von einer allgemein „großen Verunsicherung“; allerdings dürfe man nicht vergessen, dass vor siebzig Jahren „unvergleichlich schlimmere Verhältnisse“ bestanden hätten. „Vielleicht müssen wir lernen in unserer friedensgewohnten Zeit, dass es nicht selbstverständlich ist, das es Sicherheit, einen Rechtsstaat und einen Sozialstaat gibt!“ Das Leben insgesamt sei unsicher, könnten doch jederzeit Krankheiten eintreten oder Unfälle oder auch ein Terroranschlag passieren. Dies zu sehen, gebe die Chance, Dankbarkeit zu pflegen und Solidarität mit jenen, die ein schweres Schicksal trifft.

„Zuerst hat mich beeindruckt, dass gerade jetzt in Berlin viele Menschen sagen: Wir lassen uns die Freude nicht nehmen! Diese Haltung ist stärker als alle Sorgen und Ängste; ich halte das für ein sehr positives Zeichen. Das Weihnachtsfest ist eine Gelegenheit, um das zu verstärken und zu sagen: Es gibt Hoffnung, es ist nicht hoffnungslos.“

Auf die Frage, warum Gott wie jetzt in Berlin das Böse zulasse, gebe es keine einfache Antwort, sagte Bischof Bünker. „Vor dieser Frage stehen wir ja mit unserem Glauben eigentlich immer, wenn das Böse in unserer Welt wirklich wird. Ich halte es für wichtig, diese Frage auszuhalten und damit die Frage zu verbinden: Was kann getan werden, um den Menschen Sicherheit zu geben, gerade an einem Ort wie dem Weihnachtsmarkt vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die ja selbst ein Mahnmal ist für die schreckliche Gewalt, aus der Europa im Zweiten Weltkrieg geboren wurde.“

„Guter gemeinsamer Weg“ bei Ökumene

Die Kirchenführer kamen auch auf die Fortschritte in der Ökumene 500 Jahre nach der Reformation zu sprechen. Auf beiden Seiten seien im 16. Jahrhundert Möglichkeiten der Verständigung verspielt und somit die Religionskriege in Europa heraufbeschworen worden, sagte Bünker. Heute ziehe man Konsequenzen daraus: Von einem Gegeneinander sei man zu einem Nebeneinander und miteinander gekommen, „und heute können wir immer mehr sagen, zu einem Füreinander“, so der evangelische Bischof. Diese Lehre könne auch für Europa wichtig sein. Unterschiede müssten nicht zwingend trennen oder spalten; vielmehr sei es den Kirchen möglich, sich „in der Vielfalt miteinander für die gemeinsame Zukunft einzusetzen“.

Schönborn berichtete von einer „ganz großen Einheit und Einmütigkeit in der Überzeugung, dass wir für denselben Glauben, dieselben Werte stehen, und dass wir auch profitieren davon, dass wir verschieden sind“. Einen „Einheitsbrei“ wolle man nicht. Vielmehr hätten die katholische und evangelische Kirche viel voneinander gelernt und bereichere sich gegenseitig. „Die Bibel habt ihr besser kultiviert als wir in der katholischen Kirche“, bekannte der Erzbischof. Für den guten gemeinsamen Weg spreche auch die enge Zusammenarbeit der beiden kirchlichen Hilfsorganisationen Caritas und Diakonie.

(zib/kap 24.12.2016 sk)








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