2016-12-19 08:56:00

Menschen in der Zeit: Reinhold Stecher


Reinhold Stecher gehört zu den charismatischen Persönlichkeiten der katholischen Kirche in Österreich und wird bis heute für sein vielfältiges Wirken und Schaffen weit über die Landesgrenzen hinaus verehrt. Der Bischof von Innsbruck und sein theologisches Wirken im Sinne des zweiten Vatikanums setzten während seiner langen Amtszeit bedeutende Meilensteine. Darüber sprechen wir heute im Studio mit seinem Biographen Martin Kolozs.

*Reinhold Stecher war ein Volksbischof im ursprünglichstem Wortsinn, also ein Hirte für seine Herde, ein spiritueller Schriftsteller, ein begeisterter Bergsteiger und ein begnadeter Maler. Auch Sie, Herr Kolozs haben ihn akribisch nachgezeichnet in einer 170 Seiten langen Biographie. Die Merkmale haben wir eben hervorgehoben, aber welche sind nun die hervorragendsten Charakterzüge, dieses bedeutenden Kirchenmannes aus Österreich und darüber hinaus?

„Das ist glaub ich relativ einfach zu beantworten, nämlich mit dem Beinamen, den man ihm als Volksbischof gegeben hat. Ich glaube, dass jemand wie Bischof Reinhold deswegen so nahe zu den Leuten herankam, weil er auf der einen Seite das Talent zur Unmittelbarkeit hatte, also wirklich auf die Leute zugegangen ist und nicht nur in der Auffassung das sei seine Aufgabe auf Leute zuzugehen, sondern das ihm das wirklich ein inneres Bedürfnis war. Das würde ich sagen war so seine charakterliche Stärke gewesen. Seine innere Festigkeit war glaub ich das zweite was ihn dann, glaube ich authentisch gemacht hat. Er hat sich ja auch immer verwehrt gegen die Bezeichnung ein liberaler Bischof zu sein. Das war ein bisschen so die Schublade, in die man ihn hineinstecken wollte. Er hat von sich gesprochen als Mann oder als Mensch mit Standpunkten. Als jemand, der zu Dingen steht und auch diese Dinge verteidigt. Inhalte immer wieder hoch hält und er hat auch gesagt, manchmal treffen diese Inhalte, diese Überzeugungen mit dem Zeitgeist zusammen. Manchmal spießen sie sich aber auch damit. Es gibt etliche Punkte wo man merkt, da hat er Zuruf bekommen, da hat er Unterstützung erfahren und auf der anderen Seite wird er auch immer wieder kritisiert. Aber dafür hat er gesagt steht er ein und das will er auch nach außen tragen. Diese Mischung aus Unmittelbarkeit und auf der anderen Seite der Standhaftigkeit in gewissen Punkten macht, glaube ich, diesen Charakter aus, den man bis heute bewundert.“

*Nun war ja Reinhold Stecher Nachfolger von Paulus Rusch, ebenfalls ein bedeutender Vordenker und Pädagoge und erster Oberhirte der Diözese Innsbruck nach dem Zweiten Weltkrieg. Was haben die beiden Bischöfe gemeinsam gehabt und was hat sie wesentlich unterschieden?

 „Also mir war auch ganz wichtig Paulus Rusch einen eigenen Platz einzuräumen, weil ich tatsächlich der Überzeugung bin, dass Stecher ohne Rusch nicht denkbar gewesen wäre in dieser Form. Man sieht ganz eindeutig, dass vieles das Stecher in seinem Epistolar aufgenommen, vollendet hat, an Themen schon von Bischof Rusch in irgendeiner Form eingeleitet worden ist. Deshalb würde ich da gar nicht von Unterschieden sprechen wollen sondern eher von verschiedenen Akzentuierungen. Man muss sagen, Bischof Rusch war weit über doppelt so lange im Amt, er war 42 Jahre lang Bischof von Innsbruck, also das ist schon eine unglaublich lange Zeit und hat dementsprechend viele tiefe Spuren hinterlassen. Bischof Rusch hat natürlich auch auf seiner Zeit in der er gewirkt hat ein anderes Weltbild und ein anderes Kirchenverständnis gehabt. Stecher, der dann schon in einer säkularisierten Welt zu schaffen hatte,  musste dann auch anders umgehen damit. Deswegen sind, glaube ich, auch alle Punkte, die die beiden miteinander verbinden nicht unterscheidend zu verstehen, sondern nur in den Akzenten differenzierter zu betrachten.

*Besonders anschaulich, Herr Kolozs, beschreiben Sie in Ihrer Biografie, den wirtschaftlichen, den kulturellen und gesellschaftlichen Werdegangs des Landes Tirol in den unmittelbaren Jahren der Nachkriegszeit. Aber nicht nur in Tirol, sondern in ganz Österreich und im gesamten mitteleuropäischen Lebensraum. Ich meine vor allem den wirtschaftlichen Wohlstand, den aufblühenden Fremdenverkehr, die allmählich steigende Lebensqualität, dies alles bedeutete einen Einbruch in das bäuerliche Erbe des Landes Tirols wie auch Südtirols. Zuerst hörte das Tischgebet auf, dann das Glockengeläut am Sonntag und schließlich kam an die Stelle des Herrgott- Winkels, den es in jeder Stube gab, der Fernsehapparat. Wie begegnete Reinhold Stecher dieser, auch für die Kirche einschneidenden neuen Lebensweise?

 „Grundsätzlich würde ich sagen, kritisch, weil er natürlich als Mann der Kirche und des schwindenden Glaubens auch darunter gelitten hat. Auf der anderen Seite war er natürlich Realist, er wusste, dass gerade der Tourismus für das Land Tirol äußerst wichtig war. Es hat ja weit vorher begonnen, man kann schon sagen im Auslauf des 19. Jahrhunderts, also es war jetzt keine Erscheinung der Neuzeit, die gab es in Tirol schon immer. Und viele seiner Vorgänger im Priesteramt haben das kritisiert. Weil natürlich hier einfach wirtschaftliche Überlegungen mit Glaubensüberlegungen mit dem Glaubensalltag in Widerspruch kamen. Nichtsdestotrotz, und das macht Stecher auch wieder authentisch, war, dass er das nicht verteufelt hat oder sich einfach nicht dagegen verwehrt hat, sondern er versuchte sich hier als Brückenbauer, als Vermittler einzutreten. Sozusagen, wie schaffen wir es, in den Alltag hinein den Glauben zu tragen und wie schaffen wir es, wiederum den Glauben machbar und lebbar zu machen für den Alltag. Also, dass ist glaube ich schon wichtig, dass er hier auch die Grenzen der jeweiligen Gebiete auch sah sowie auch die Verpflichtungen einander gegenüber.“

*Welche Hoffnungen legte Bischof Reinhold Stecher in das zweite Vatikanische Konzil, einberufen von Papst Johannes XXIII., und der aufkommenden Wertehierarchie dieses kirchlichen Jahrhundertereignisses? Der Papst wollte kein Konzil, das diese oder jene Frage der Doktrin entscheidet, sondern ein Konzil, das auf den Anruf der Zeit antwortete, sprich Ökumene und Pastoral?

 „Stecher hat ja selbst das Vatikanum nicht miterlebt. Hat aber die Begeisterung, mit der Bischof Rusch zurückkam von Vatikan miterlebt, weil er ja auch schon mit Bischof Rusch als junger Dialoge relativ nahe zusammengearbeitet hat. Man kann auch sagen, er war sein Protege. Wichtig ist aber vor allem auch seine Kernaussage, die er immer wieder getroffen hat, nämlich vor allem wenn es dann zu innerkirchlichen Problemen kam, hat er immer wieder gesagt er ließe sich das Fenster, dass das zweite Vatikanum geöffnet hätte nicht wieder zuschlagen. Ich glaube unter diesem Titel kann man eigentlich alles vereinen. Für ihn war ganz, ganz wichtig das zweite Vatikanum ist ein Grenzstein, hinter dem man nicht mehr zurück kann und alles was darin besprochen wurde ist für ihn Pflicht und vor allem Herzensangelegenheit.“

*Bekannt von Reinhold Stecher ist auch seine kompromisslose Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und seinen verschiedenen Auswucherungen, aber nicht nur in Österreich. Wie kann man diese Haltung nun kurz zusammenfassen?

„Kurz zusammengefasst in den Erlebnissen, die er als junger Mann im Krieg selbst machte. Nicht nur im Krieg, aber auch in Innsbruck, wo der damalige Gauleiter Hofer ein Unwesen regelrecht getrieben hat und in Ermangelung jüdischer Bevölkerung sich stark gegen die Kirche wandte und dessen oberstes Ziel war ein kirchenfreies Tirol zu übergeben. Dementsprechend hatte Reinhold Stecher als junger Mann, als Ministrant, als Gläubiger, einer auch sehr gläubigen Familie einfach hier schon unmittelbare Erlebnisse. Er wurde von der Gestapo ja auch immer wieder einberufen und verhört, weil er eben Theologe war oder es kam aus seinem unmittelbaren Umfeld immer wieder zu kleineren Widerstandsaktionen  gegen das dortige Gauregime. Man kann sagen, die persönliche Erfahrung, persönliche Beobachtungen, die er dann gemacht hat, die haben ihn eigentlich dann dazu bewogen, auch hier immer entschieden aufzutreten und nein zu sagen.“

*Es drängt sich wohl die Frage auf, wie sich Bischof Reinhold Stecher zu den zu seiner Zeit noch nicht bestehenden Flüchtlingsfragen in Millionenhöhe von heute stellen würde. Er, der mit beiden Füßen auf der Erde stand, wäre er diesem Weltproblem anders als die derzeitige Politik begegnet.?


„ Auch hier zitiere ich immer wieder gerne eine Aussage, die er einmal getroffen hat: es gab ja einmal ein Volksbegehren in Österreich, das initiiert wurde und damals hat er gesagt, dass die Kirche nur mit einem Argument antworten kann, nämlich in der Not gibt es keine Frage nach der Konfession. Für ihn machte Nächstenliebe wirklich nicht beim Nächsten halt, sondern beim Überübernächsten. Das war für ihn glaube ich, schon sehr entscheidend, dass er sagte, wo Leid ist, muss es gemindert werden.“

*Reinhold Stecher wurde sehr häufig als liberaler Bischof wahrgenommen, er war es auf dem Gebiet der Stärkung der Laien sowie der Frauen in der römisch-katholischen Kirche und auf dem Gebiet eines grundsätzlichen “Ja” zur Aufhebung des Zölibats eher aufgeschlossen. Reinhold Stecher hat sowohl seine eigenen Entscheidungen, wie auch die weltumspannenden Weisungen der katholischen Kirche in Rom doch immer sehr kritisch hinterfragt, sehe ich das richtig?

„Kritisch ja, auf jeden Fall. Allerdings kritisch im Sinne von Karl Rahner etwa, der auch gesagt hat: Das Mitbauen am Haus bedeutet aber auch ab und zu Wände einreißen zu müssen. Hier ging es nicht um die Kritik wegen der Kritik wegen, hier ging es auch nicht irgendwie eine Schlagzeile zu erzeugen, wie es ja auch oftmals der Fall ist. Hier ging es wirklich darum, wenn Kritik ausgesprochen worden ist, dann war es immer im Hinblick darauf, die Kirche voranzutreiben und die Kirche besser zu machen, den Glauben wieder in irgendeiner Form ein bisschen klarer zu vermitteln. Also Kritik ja, kritisches beobachten auch ja, keine Frage. Und hier und da auch ein vielleicht schärferes Wort an den Tag gelegt, aber immer mit dem Grund der Liebe zum Glauben.“

*Stichwort 1997 erfolgt die berühmt gewordene Kritik von Bischof Stecher an der Amtskirche und vor allem an Papst Johannes Paul II. an der Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien im Dienste der Priester. „Rom hat seine Barmherzigkeit verloren“, lautete es in seinem Brief an den Papst, kurz vor seiner Pensionierung als Bischof von Innsbruck. Barmherzigkeit ist inzwischen zum Schlagwort des derzeitigen Pontifikats geworden, Herr Kolozs, war Bischof Reinhold Stecher auch ein Prophet?

„Soweit würde ich jetzt nicht gehen, aber er hat sicherlich bemerkt, dass unter diesem Inhalt Barmherzigkeit vieles noch neu zu machen oder wiederzuentdecken ist. Ich habe mein Buch auch unter dem Bewusstsein des “Jahres der Barmherzigkeit “ eingeführt und mir scheint, dass Stecher einfach auf die Zeit gehört hat und was jetzt ja auch Papst Franziskus vormacht, wir müssen auf die Ortskirchen schauen, wir müssen die Gläubigen vor Ort sehen und wir müssen natürlich eine Rückkoppelung oder eine Anbindung an die Amtskirche haben. Aber nichtsdestotrotz gibt es ab und zu Entscheidungen die nur vor Ort getroffen werden können oder wo man zumindest auf den Ruf vor Ort mehr hören sollte.“

*Herr Kolozs, Sie sind der erste Biograf, über Diözesan Reinhold Stecher und was hat sie bewogen dieses Werk in die Tat umzusetzen?“


„Es stimmt, dass ich die erste umfassende Biografie geschrieben habe, weil es mir persönlich wichtig war nicht nur über die Bischofsjahre zu schreiben, sondern tatsächlich von der Wiege bis zur Bahre auch zu entschlüsseln, was Reinhold Stecher dann als Bischof Stecher tat. Das kam ja nicht von ungefähr, das hatte ja mit seiner Familie und seinen Erlebnissen im Krieg zu tun. Bewogen hat mich einfach, dass ich Bischof Stecher schon als Kind kannte, also nicht nur als Gläubiger in der Diözese, sondern auch weil ich bei ihm ministriert hatte und weil ich im Paulinum in der Schule war. Er war mir immer irgendwie präsent, so wie Johannes Paul II. der Papst meiner Jugend war, war Bischof Stecher der Bischof meiner Diözese. Dementsprechend hatte ich ein nahes Verhältnis zu ihm, ein emotionales. Ich habe ihn auch schon zu Lebzeiten gefragt, ob ich über ihn eine Biografie schreiben darf und er hat mich dann darauf vertröstet, nach seinem Tod. Als es dann soweit war, sah ich mich auch irgendwie in einer Art Pflicht und auch ein Wunsch, den ich mir selbst erfüllen wollte und hab es dann auch getan.“

Aldo Parmeggiani








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