Reinhold Stecher gehört zu den charismatischen Persönlichkeiten der katholischen
Kirche in Österreich und wird bis heute für sein vielfältiges Wirken und Schaffen
weit über die Landesgrenzen hinaus verehrt. Der Bischof von Innsbruck und sein theologisches
Wirken im Sinne des zweiten Vatikanums setzten während seiner langen Amtszeit bedeutende
Meilensteine. Darüber sprechen wir heute im Studio mit seinem Biographen Martin Kolozs.
*Reinhold Stecher war ein Volksbischof im ursprünglichstem Wortsinn, also ein Hirte
für seine Herde, ein spiritueller Schriftsteller, ein begeisterter Bergsteiger und
ein begnadeter Maler. Auch Sie, Herr Kolozs haben ihn akribisch nachgezeichnet in
einer 170 Seiten langen Biographie. Die Merkmale haben wir eben hervorgehoben, aber
welche sind nun die hervorragendsten Charakterzüge, dieses bedeutenden Kirchenmannes
aus Österreich und darüber hinaus?
„Das ist glaub ich relativ einfach zu beantworten, nämlich mit dem Beinamen, den man
ihm als Volksbischof gegeben hat. Ich glaube, dass jemand wie Bischof Reinhold deswegen
so nahe zu den Leuten herankam, weil er auf der einen Seite das Talent zur Unmittelbarkeit
hatte, also wirklich auf die Leute zugegangen ist und nicht nur in der Auffassung
das sei seine Aufgabe auf Leute zuzugehen, sondern das ihm das wirklich ein inneres
Bedürfnis war. Das würde ich sagen war so seine charakterliche Stärke gewesen. Seine
innere Festigkeit war glaub ich das zweite was ihn dann, glaube ich authentisch gemacht
hat. Er hat sich ja auch immer verwehrt gegen die Bezeichnung ein liberaler Bischof
zu sein. Das war ein bisschen so die Schublade, in die man ihn hineinstecken wollte.
Er hat von sich gesprochen als Mann oder als Mensch mit Standpunkten. Als jemand,
der zu Dingen steht und auch diese Dinge verteidigt. Inhalte immer wieder hoch hält
und er hat auch gesagt, manchmal treffen diese Inhalte, diese Überzeugungen mit dem
Zeitgeist zusammen. Manchmal spießen sie sich aber auch damit. Es gibt etliche Punkte
wo man merkt, da hat er Zuruf bekommen, da hat er Unterstützung erfahren und auf der
anderen Seite wird er auch immer wieder kritisiert. Aber dafür hat er gesagt steht
er ein und das will er auch nach außen tragen. Diese Mischung aus Unmittelbarkeit
und auf der anderen Seite der Standhaftigkeit in gewissen Punkten macht, glaube ich,
diesen Charakter aus, den man bis heute bewundert.“
*Nun war ja Reinhold Stecher Nachfolger von Paulus Rusch, ebenfalls ein bedeutender
Vordenker und Pädagoge und erster Oberhirte der Diözese Innsbruck nach dem Zweiten
Weltkrieg. Was haben die beiden Bischöfe gemeinsam gehabt und was hat sie wesentlich
unterschieden?
„Also mir war auch ganz wichtig Paulus Rusch einen eigenen Platz einzuräumen, weil
ich tatsächlich der Überzeugung bin, dass Stecher ohne Rusch nicht denkbar gewesen
wäre in dieser Form. Man sieht ganz eindeutig, dass vieles das Stecher in seinem Epistolar
aufgenommen, vollendet hat, an Themen schon von Bischof Rusch in irgendeiner Form
eingeleitet worden ist. Deshalb würde ich da gar nicht von Unterschieden sprechen
wollen sondern eher von verschiedenen Akzentuierungen. Man muss sagen, Bischof Rusch
war weit über doppelt so lange im Amt, er war 42 Jahre lang Bischof von Innsbruck,
also das ist schon eine unglaublich lange Zeit und hat dementsprechend viele tiefe
Spuren hinterlassen. Bischof Rusch hat natürlich auch auf seiner Zeit in der er gewirkt
hat ein anderes Weltbild und ein anderes Kirchenverständnis gehabt. Stecher, der dann
schon in einer säkularisierten Welt zu schaffen hatte, musste dann auch anders umgehen
damit. Deswegen sind, glaube ich, auch alle Punkte, die die beiden miteinander verbinden
nicht unterscheidend zu verstehen, sondern nur in den Akzenten differenzierter zu
betrachten.
*Besonders anschaulich, Herr Kolozs, beschreiben Sie in Ihrer Biografie, den wirtschaftlichen,
den kulturellen und gesellschaftlichen Werdegangs des Landes Tirol in den unmittelbaren
Jahren der Nachkriegszeit. Aber nicht nur in Tirol, sondern in ganz Österreich und
im gesamten mitteleuropäischen Lebensraum. Ich meine vor allem den wirtschaftlichen
Wohlstand, den aufblühenden Fremdenverkehr, die allmählich steigende Lebensqualität,
dies alles bedeutete einen Einbruch in das bäuerliche Erbe des Landes Tirols wie auch
Südtirols. Zuerst hörte das Tischgebet auf, dann das Glockengeläut am Sonntag und
schließlich kam an die Stelle des Herrgott- Winkels, den es in jeder Stube gab, der
Fernsehapparat. Wie begegnete Reinhold Stecher dieser, auch für die Kirche einschneidenden
neuen Lebensweise?
„Grundsätzlich würde ich sagen, kritisch, weil er natürlich als Mann der Kirche und
des schwindenden Glaubens auch darunter gelitten hat. Auf der anderen Seite war er
natürlich Realist, er wusste, dass gerade der Tourismus für das Land Tirol äußerst
wichtig war. Es hat ja weit vorher begonnen, man kann schon sagen im Auslauf des 19.
Jahrhunderts, also es war jetzt keine Erscheinung der Neuzeit, die gab es in Tirol
schon immer. Und viele seiner Vorgänger im Priesteramt haben das kritisiert. Weil
natürlich hier einfach wirtschaftliche Überlegungen mit Glaubensüberlegungen mit dem
Glaubensalltag in Widerspruch kamen. Nichtsdestotrotz, und das macht Stecher auch
wieder authentisch, war, dass er das nicht verteufelt hat oder sich einfach nicht
dagegen verwehrt hat, sondern er versuchte sich hier als Brückenbauer, als Vermittler
einzutreten. Sozusagen, wie schaffen wir es, in den Alltag hinein den Glauben zu tragen
und wie schaffen wir es, wiederum den Glauben machbar und lebbar zu machen für den
Alltag. Also, dass ist glaube ich schon wichtig, dass er hier auch die Grenzen der
jeweiligen Gebiete auch sah sowie auch die Verpflichtungen einander gegenüber.“
*Welche Hoffnungen legte Bischof Reinhold Stecher in das zweite Vatikanische Konzil,
einberufen von Papst Johannes XXIII., und der aufkommenden Wertehierarchie dieses
kirchlichen Jahrhundertereignisses? Der Papst wollte kein Konzil, das diese oder jene
Frage der Doktrin entscheidet, sondern ein Konzil, das auf den Anruf der Zeit antwortete,
sprich Ökumene und Pastoral?
„Stecher hat ja selbst das Vatikanum nicht miterlebt. Hat aber die Begeisterung,
mit der Bischof Rusch zurückkam von Vatikan miterlebt, weil er ja auch schon mit Bischof
Rusch als junger Dialoge relativ nahe zusammengearbeitet hat. Man kann auch sagen,
er war sein Protege. Wichtig ist aber vor allem auch seine Kernaussage, die er immer
wieder getroffen hat, nämlich vor allem wenn es dann zu innerkirchlichen Problemen
kam, hat er immer wieder gesagt er ließe sich das Fenster, dass das zweite Vatikanum
geöffnet hätte nicht wieder zuschlagen. Ich glaube unter diesem Titel kann man eigentlich
alles vereinen. Für ihn war ganz, ganz wichtig das zweite Vatikanum ist ein Grenzstein,
hinter dem man nicht mehr zurück kann und alles was darin besprochen wurde ist für
ihn Pflicht und vor allem Herzensangelegenheit.“
*Bekannt von Reinhold Stecher ist auch seine kompromisslose Haltung gegenüber dem
Nationalsozialismus und seinen verschiedenen Auswucherungen, aber nicht nur in Österreich.
Wie kann man diese Haltung nun kurz zusammenfassen?
„Kurz zusammengefasst in den Erlebnissen, die er als junger Mann im Krieg selbst machte.
Nicht nur im Krieg, aber auch in Innsbruck, wo der damalige Gauleiter Hofer ein Unwesen
regelrecht getrieben hat und in Ermangelung jüdischer Bevölkerung sich stark gegen
die Kirche wandte und dessen oberstes Ziel war ein kirchenfreies Tirol zu übergeben.
Dementsprechend hatte Reinhold Stecher als junger Mann, als Ministrant, als Gläubiger,
einer auch sehr gläubigen Familie einfach hier schon unmittelbare Erlebnisse. Er wurde
von der Gestapo ja auch immer wieder einberufen und verhört, weil er eben Theologe
war oder es kam aus seinem unmittelbaren Umfeld immer wieder zu kleineren Widerstandsaktionen
gegen das dortige Gauregime. Man kann sagen, die persönliche Erfahrung, persönliche
Beobachtungen, die er dann gemacht hat, die haben ihn eigentlich dann dazu bewogen,
auch hier immer entschieden aufzutreten und nein zu sagen.“
*Es drängt sich wohl die Frage auf, wie sich Bischof Reinhold Stecher zu den zu seiner
Zeit noch nicht bestehenden Flüchtlingsfragen in Millionenhöhe von heute stellen würde.
Er, der mit beiden Füßen auf der Erde stand, wäre er diesem Weltproblem anders als
die derzeitige Politik begegnet.?
„ Auch hier zitiere ich immer wieder gerne eine Aussage, die er einmal getroffen hat:
es gab ja einmal ein Volksbegehren in Österreich, das initiiert wurde und damals hat
er gesagt, dass die Kirche nur mit einem Argument antworten kann, nämlich in der Not
gibt es keine Frage nach der Konfession. Für ihn machte Nächstenliebe wirklich nicht
beim Nächsten halt, sondern beim Überübernächsten. Das war für ihn glaube ich, schon
sehr entscheidend, dass er sagte, wo Leid ist, muss es gemindert werden.“
*Reinhold Stecher wurde sehr häufig als liberaler Bischof wahrgenommen, er war es
auf dem Gebiet der Stärkung der Laien sowie der Frauen in der römisch-katholischen
Kirche und auf dem Gebiet eines grundsätzlichen “Ja” zur Aufhebung des Zölibats eher
aufgeschlossen. Reinhold Stecher hat sowohl seine eigenen Entscheidungen, wie auch
die weltumspannenden Weisungen der katholischen Kirche in Rom doch immer sehr kritisch
hinterfragt, sehe ich das richtig?
„Kritisch ja, auf jeden Fall. Allerdings kritisch im Sinne von Karl Rahner etwa, der
auch gesagt hat: Das Mitbauen am Haus bedeutet aber auch ab und zu Wände einreißen
zu müssen. Hier ging es nicht um die Kritik wegen der Kritik wegen, hier ging es auch
nicht irgendwie eine Schlagzeile zu erzeugen, wie es ja auch oftmals der Fall ist.
Hier ging es wirklich darum, wenn Kritik ausgesprochen worden ist, dann war es immer
im Hinblick darauf, die Kirche voranzutreiben und die Kirche besser zu machen, den
Glauben wieder in irgendeiner Form ein bisschen klarer zu vermitteln. Also Kritik
ja, kritisches beobachten auch ja, keine Frage. Und hier und da auch ein vielleicht
schärferes Wort an den Tag gelegt, aber immer mit dem Grund der Liebe zum Glauben.“
*Stichwort 1997 erfolgt die berühmt gewordene Kritik von Bischof Stecher an der Amtskirche
und vor allem an Papst Johannes Paul II. an der Instruktion zu einigen Fragen über
die Mitarbeit der Laien im Dienste der Priester. „Rom hat seine Barmherzigkeit verloren“,
lautete es in seinem Brief an den Papst, kurz vor seiner Pensionierung als Bischof
von Innsbruck. Barmherzigkeit ist inzwischen zum Schlagwort des derzeitigen Pontifikats
geworden, Herr Kolozs, war Bischof Reinhold Stecher auch ein Prophet?
„Soweit würde ich jetzt nicht gehen, aber er hat sicherlich bemerkt, dass unter diesem
Inhalt Barmherzigkeit vieles noch neu zu machen oder wiederzuentdecken ist. Ich habe
mein Buch auch unter dem Bewusstsein des “Jahres der Barmherzigkeit “ eingeführt und
mir scheint, dass Stecher einfach auf die Zeit gehört hat und was jetzt ja auch Papst
Franziskus vormacht, wir müssen auf die Ortskirchen schauen, wir müssen die Gläubigen
vor Ort sehen und wir müssen natürlich eine Rückkoppelung oder eine Anbindung an die
Amtskirche haben. Aber nichtsdestotrotz gibt es ab und zu Entscheidungen die nur vor
Ort getroffen werden können oder wo man zumindest auf den Ruf vor Ort mehr hören sollte.“
*Herr Kolozs, Sie sind der erste Biograf, über Diözesan Reinhold Stecher und was hat
sie bewogen dieses Werk in die Tat umzusetzen?“
„Es stimmt, dass ich die erste umfassende Biografie geschrieben habe, weil es mir
persönlich wichtig war nicht nur über die Bischofsjahre zu schreiben, sondern tatsächlich
von der Wiege bis zur Bahre auch zu entschlüsseln, was Reinhold Stecher dann als Bischof
Stecher tat. Das kam ja nicht von ungefähr, das hatte ja mit seiner Familie und seinen
Erlebnissen im Krieg zu tun. Bewogen hat mich einfach, dass ich Bischof Stecher schon
als Kind kannte, also nicht nur als Gläubiger in der Diözese, sondern auch weil ich
bei ihm ministriert hatte und weil ich im Paulinum in der Schule war. Er war mir immer
irgendwie präsent, so wie Johannes Paul II. der Papst meiner Jugend war, war Bischof
Stecher der Bischof meiner Diözese. Dementsprechend hatte ich ein nahes Verhältnis
zu ihm, ein emotionales. Ich habe ihn auch schon zu Lebzeiten gefragt, ob ich über
ihn eine Biografie schreiben darf und er hat mich dann darauf vertröstet, nach seinem
Tod. Als es dann soweit war, sah ich mich auch irgendwie in einer Art Pflicht und
auch ein Wunsch, den ich mir selbst erfüllen wollte und hab es dann auch getan.“
Aldo Parmeggiani
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