2016-12-07 14:04:00

Trauriges Fazit: Schlimmer geht immer in Syrien


Eine halbe Millionen Kinder in Syrien leben in belagerten Gebieten, fast drei Millionen Kinder in Syrien leben als Flüchtlinge in ihrem eigenen Land, fast sechs Millionen Kinder in Syrien sind auf Hilfe angewiesen. Das sind dramatische Zahlen, sie sind Ergebnis eines Bürgerkrieges, der seit sechs Jahren andauert. Trotz zahlreicher Verhandlungen wird die Lage einfach nicht besser, sondern eher schlimmer, berichtet Ninja Charbonneau, Pressesprecherin von UNICEF Deutschland im Interview mit Radio Vatikan.

Ninja Charbonneau: „Seit Jahren verfolge ich das Thema sehr intensiv und jedes Mal denke ich, eigentlich kann es nicht mehr schlimmer kommen und dann kommt es noch schlimmer. Man muss wirklich sagen, jetzt im sechsten Kriegswinter, es sind sechs Millionen Kinder betroffen, die dringend Hilfe brauchen innerhalb Syriens. Viele von ihnen haben keine Unterkünfte, sind der Kälte schutzlos ausgeliefert. 500.000 Kinder sind in belagerten Städten, sind von Hilfe fast nahezu abgeschnitten. In vielen Städten, vor allem in Aleppo aber nicht nur, leiden die Kinder unter der täglichen Gefahr der Bomben, durch Granaten, durch Heckenschützen, sogar Schulen werden angegriffen. Man fragt sich wirklich, was da noch kommen kann.“

Radio Vatikan:  UNICEF hat einige Erzählungen von Kindern gesammelt. Wovon berichten sie? Was erleben sie in ihrem Alltag?

Charbonneau: „Die Kinder erleben in ihrem Alltag Dinge, die kein Erwachsener, geschweige denn ein Kind erleben sollte. Sie sind schrecklicher Gewalt ausgesetzt, sie werden von ihren Familien getrennt, Familienmitglieder sterben, Freunde sterben, sie können nicht zur Schule gehen. All das, was für andere Kinder in ihrem Alter völlig normal ist, fehlt den Kindern in Syrien. Ich finde ganz besonders herzzerreißend, wenn Kinder so alltägliche Sachen schildern, wie die neunjährige Alaa, die aus Aleppo geflohen ist. Sie hat erzählt, dass sie bereits das sechste Mal geflohen ist. Lebt momentan in einer Küstenstadt, wo es etwas friedlicher ist, was in Syrien aber auch nur relativ ist. Und sie hat nun ein wahnsinnig schlechtes Gewissen, weil sie ihre Puppe in Aleppo zurücklassen musste und es ihr Leid tut, die Puppe in so einer Hölle allein zu lassen.“

RV: Ihre Kollegin von UNICEF Syrien berichtet von einem Erlebnis mit Kindern, dass sie in Aleppo erleben musste, was auch sehr erschreckend ist.

Charbonneau: „Unsere syrische Kollegin war gerade vor zwei Tagen in West-Aleppo. An dem Tag gab es 100 Mörsereinschläge, konstante Bombardierungen im Ostteil der Stadt, die man hören konnte. Sie ist jedes Mal zusammengezuckt. Obwohl sie selbst in Syrien lebt und arbeitet, war das für sie eine besondere Situation. Die Kinder haben über ihr Verhalten nur gelacht, dass sie jedes Mal so zusammenzuckt. Aber sie sagte, das war kein fröhliches Kinderlachen, sondern ein eher hysterisches Lachen, welches der Situation und dem Schock der Kinder geschuldet ist.“

RV: Sie haben nun Forderungen zusammengestellt für Syriens Kinder. Was sind das für Forderungen?

Charbonneau: „Das wichtigste wäre natürlich, dass der Konflikt endlich aufhört, dass die Gewalt aufhört. Die Konfliktparteien müssen endlich dazu übergehen, internationales Völkerrecht und Menschenrechte zu achten und ihrer Verpflichtung nachkommen, Zivilisten zu schützen, vor allem Dingen die Kinder zu schützen. Wir brauchen unbedingt eine Waffenruhe, das heißt, wir unterstützen die Forderung der Vereinten Nationen nach einer Waffenruhe, die dann hoffentlich der erste Schritt zu einer politischen Lösung sein kann. Drittens brauchen wir humanitären Zugang, und zwar zu allen Gebieten, einschließlich der belagerten Gebieten. Diese Belagerungen müssen aufhören, damit die Menschen das bekommen, was sie brauchen, nämlich Lebensmittel, Wasser, Medikamente. Damit wir sie versorgen können, brauchen wir freien, uneingeschränkten und verlässlichen Zugang. Das vierte, das wir brauchen, ist die Unterstützung, damit wir auch unsere Arbeit fortsetzen können. Wir brauchen die Hilfe gerade im Winter. Da wollen wir 700.000 Kinder erreichen, sie mit warmer Winterkleidung und Decken vor der Kälte schützen.“

RV: Insgesamt haben es Hilfsorganisationen sehr schwer, Hilfe zu leisten, vor allem in den belagerten Gebieten. Wie arbeitet UNICEF in Syrien?

Charbonneau: „UNICEF hat in Syrien rund 200 Mitarbeiter, von denen 19 in Aleppo arbeiten, der Großteil in Damaskus, andere in Homs. Wir arbeiten mit einem breiten Netzwerk von Partnern, vor allem ist das der syrische rote Halbmond aber auch andere syrische lokale Nichtregierungsorganisationen. Auf diese Art und Weise schaffen wir es in der Breite trotz allem, sehr viele Kinder zu erreichen, zum Beispiel die Wasserversorgung von Millionen von Menschen zu unterstützen, Impfkampagnen von Millionen Kindern zu organisieren, dafür zu sorgen, dass der Ernährungsstatus der Kinder überprüft wird, dass sie nicht verhungern, dass sie lebensrettende Hilfe bekommen und jetzt für den Winter versorgt werden und gegen die Kälte geschützt werden. Genauso wichtig ist aber auch, dass wir Notschulen einrichten und unterstützen, dafür sorgen, dass die Kinder in dieser Situation trotz des Krieges, bzw. gerade im Krieg weiter zur Schule gehen können, zu Kinderzentren gehen können, wo sie mal spielen und lachen können. Das ist enorm wichtig für die Psyche, damit wir den Kinder wenigstens noch ein Stück normale Kindheit retten können.“

(rv 07.12.2016 pdy)








All the contents on this site are copyrighted ©.