2016-12-05 13:30:00

Indien: Wirtschaftswunder auf Kosten der Ureinwohner


Große Teile der Bevölkerung Indiens leiden unter den großen Industrie- und Infrastrukturprojekten nationaler und internationaler Konzerne. Selbst die Grünen-Bewegungen Europas, die vordergründig nachhaltige Projekte wie große Staudamm-Projekte lobten, übersähen dabei, dass oft die Einwohner der betroffenen Gebiete die Zeche zahlten. Darauf macht der indische Jesuit Walter Fernandes aufmerksam. Der 77-jährige Sozialwissenschaftler hat sein Leben der Dokumentation und Analyse der Menschenrechtsverletzungen gegenüber der indischen Landbevölkerung gewidmet.

„Die Globalisierung macht die Konzerne immer hungriger nach Land“, berichtete der Ordensmann jetzt bei einem Besuch in Wien. In Indien würden die großen Firmen besonders ein Auge auf die Gebiete der Ureinwohner werfen, in denen über 80 Prozent der nationalen Kohle-, 60 Prozent der Kupfererz- und die Hälfte der Eisenerzvorkommen gelagert seien. Ein regelrechter Wettlauf um die Indigenen-Gebiete sei im Gange: Allein im Bundesstaat Andhra Pradesh hätten sich die Konzerne in den letzten 15 Jahren 150.000 Hektar Land einverleibt - doppelt so viel wie in den 40 Jahren zuvor. Ähnlich drastisch sei der Anstieg im Bundesstaat Meghalaya, dessen Entwicklung Fernandes mit seinem Institut intensiv erforscht hat.

Die angestammte Bevölkerung der betroffenen Gebiete muss dem Bergbau Tribut zollen und wird in den wenigsten Fällen ausreichend entschädigt, kritisiert Fernandes. Dasselbe Problem bestehe auch bei den großen Staudamm-Projekten. „Indien spricht von grüner Energie, doch vergisst man dabei völlig, dass zugleich die Biodiversität in den Gebieten zerstört wird - und auch die Menschen, die hier leben.“ Schon im Jahr 2000 hatten Indiens Wasserkraftwerke 21 bis 33 Millionen Menschen zwangsvertrieben, wie Fernandes in Studien aufzeigte. Bei einzelnen geplanten Großdämmen stehe auch heute bis zu einer Million Anrainern dieses Schicksal bevor.

Zwangsvertreibung bedeute in Indien immer, tiefer die Armut gestoßen zu werden, sagte der Jesuit. „Man zwingt die Vertriebenen dazu, aus Existenznot selbst die Umwelt zu zerstören, drängt die Minderjährigen der Familien in die Kinderarbeit oder die Frauen in die Prostitution. Auch lange entstandene soziale Gemeinschaften werden zerstört. Der Mensch wird zur Ware“, so Fernandes. In Europa würden diese Zusammenhänge selbst von der Grünen-Bewegung viel zu wenig verstanden, wenn die Wasserkraft vorbehaltlos Unterstützung finde. „Wir sind nicht gegen Entwicklung. Doch muss Entwicklung auch die Umwelt und den Faktor Mensch beinhalten“, so der Appell des Jesuiten.

(kap 05.12.2016 sk)








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