2016-11-15 10:17:00

Indonesien: Ende der religiösen Toleranz?


Es ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Aber es galt lange auch als eines der religiös tolerantesten Länder weltweit. Diesen Ruf hat Indonesien mittlerweile verspielt. Letzter Akt des Niedergangs: der Brandbombenanschlag auf eine Kirche im indonesischen Teil von Borneo, am letzten Sonntag. Er forderte ein Todesopfer – ein zweijähriges Mädchen, das vor der protestantischen Kirche in Samarinda in der Provinz Ost-Kalimantan mit anderen Kindern gespielt hatte, als der Sprengsatz hochging.

„Diese Attentate passieren, weil radikale Terroristen von West-Java aus andere Landesteile infiltrieren. Sie zielen darauf, das Zusammenleben von Christen und Muslimen zu zerstören.“ Das erklärt Pater Bernardo Cervellera, Leiter der kirchlichen Nachrichtenagentur asianews und guter Kenner des religiösen Mosaiks in Asien. Er weist darauf hin, das die Polizei den mutmaßlichen Täter, einen Mann aus West-Java, festgenommen hat – keinen Unbekannten. Der Mann ist radikaler Muslim, soll Verbindungen zur Terrorgruppe „Islamischer Staat“ haben – und hat wegen früherer Anschlagspläne, darunter ebenfalls auf eine Kirche, bereits eine Gefängnisstrafe verbüßt.

War es nicht leichtsinnig von den Behörden, diesen Mann 2014 in den Genuss einer Amnestie kommen zu lassen? „Ja, das war es. Allerdings versucht die Regierung, mit allen ein halbwegs gutes Auskommen zu erreichen, eben auch mit diesen fundamentalistischen Gruppen. An Weihnachten lässt sie deshalb immer auch ein paar Christen frei, und an islamischen Festtagen ein paar Muslime. Aus meiner Sicht besteht das große Problem, das in diesen Tagen in Indonesien zum Vorschein kommt, darin, dass dieser Fundamentalismus stark politisch instrumentalisiert wird. Einige indonesische Politiker wollen die Regierung von Präsident Joko Widodo um jeden Preis stürzen, und auch die Regierung des Gouverneurs von Jakarta, der ein Christ ist. Dazu setzen sie den Islam ein, auch wenn es in Wirklichkeit mehr um die Macht als um die Religionszugehörigkeit geht.“

Cervelleras Worte zielen vor allem auf die gewalttätige Demonstration von 150.000 Muslimen Anfang November in Jakarta. Sie protestierten gegen eine erneute Kandidatur des christlichen Gouverneurs der Hauptstadt, Basuki Tjahaja Purnama.

Der Verband protestantischer Kirchen Indonesiens nennt den Anschlag vom Sonntag „eine menschliche Tragödie“. Er fordert die Sicherheitskräfte in einer Erklärung zum Handeln auf. „Intoleranz kann auf keinen Fall toleriert werden.“ Das gelte auch „für die Hasspredigten, die zu den Protesten der letzten Wochen geführt haben“. Aber lassen sich Anschläge wie der vom Sonntag überhaupt verhindern? „Präventiv haben diese Länder nicht viel Erfahrung; sie haben Soldaten, es gibt Kontrollen in den Städten, aber der Terrorismus kommt da trotzdem durch. Außerdem gibt es im Innern der Gesellschaft manchmal familiäre oder sonstige Verbindungen von Fundamentalisten zur Armee und Polizei, auch deswegen ist die Mauer der Sicherheit löchrig.“

Eigentlich funktioniere der interreligiöse Dialog in Indonesien, sagt Pater Cervellera noch: Da gebe es immer wieder gute Begegnungen. Der islamische Fundamentalismus sei „erst wenige Jahrzehnte alt“ und kräftig von außen angefacht worden: vom Libyen Gaddafis, von Saudi-Arabien. „Und dann hat man den Islam auch oft benutzt, um die Gesellschaft zu spalten und die Stellung des Militärs im Innern der Gesellschaft zu stärken. Aber andererseits – vor ein paar Tagen hat es Demonstrationen radikaler Muslime gegeben, und die zwei wichtigsten Islamverbände – die für circa dreißig Millionen Menschen sprechen! – haben sich klar davon distanziert und sie für politisch motiviert erklärt. Wenn Weihnachten ist oder Ostern, dann sorgen diese Verbände für Sicherheitsketten rund um die Kirchen, damit es nicht zu Attentaten kommt! Also, es gibt durchaus eine stabile, dauerhafte Beziehung. Den Fundamentalisten geht es in erster Linie um die Macht, nicht so sehr um die apokalyptische Zerstörung der Minderheiten...“

(rv 15.11.2016 sk)








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