„Gebt die Ukraine nicht auf! Geht nicht den Weg einfacher Lösungen!“ Das sagt der
Kiewer Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk in Richtung EU und Westen. Das ukrainische
Volk sei „geeint im Streben, in die europäische Familie zurückzukehren, wohin es gehört“.
Das gesamte Volk teile diese Einstellung, im Westen des Landes wie im Osten. „Alle
wollen die Ukraine als ein freies europäisches Land sehen“, so das Oberhaupt der Ukrainischen
Griechisch-katholischen Kirche (UGKK) bei einem Besuch in Wien.
Die Prinzipien von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten seien unbestritten, unterstrich
Schewtschuk. Das müsse freilich nicht zugleich auch eine sehr rasche Mitgliedschaft
in der Europäischen Union bedeuten.
Laut Schewtschuk gilt die Orientierung Richtung Westen auch für die Bevölkerung in
den besetzten Gebieten in der umkämpften Ostukraine. Er sprach von „gefangenen“ Menschen
in der Region von Donezk und Lugansk, die auf ihren „Befreiung“ warten würden. Schewtschuk:
„Die Menschen dort erkennen zunehmend, dass Russland sie nicht braucht und nicht will.“
Auch ihre Zukunft liege in einer freien und unabhängigen Ukraine.
Erst letzte Woche hatte Schewtschuk die Ostukraine besucht. Sein Eindruck: Eine Lösung
des Konflikts könne nicht von außen kommen, sondern nur innerhalb der Ukraine seinen
Anfang nehmen. Die Menschen seien „des Krieges müde“ und würden realisieren, dass
ihnen niemand von außen helfen wird. Die Ukraine müsse sich in erster Linie selber
helfen. „Deshalb brauchen wir innerhalb der Ukraine Reformen, Solidarität und Zusammenarbeit.
Wir müssen all unsere inneren Kräfte mobilisieren, um mit dieser ausländischen Agression
umzugehen.“ Er setze voll auf die Zivilgesellschaft, so der Großerzbischof. „Politiker
kommen und gehen, aber das Volk bleibt!“
Angesprochen auf die immer noch weit verbreitete Korruption in der Ukraine, meinte
das Kirchenoberhaupt, dass dies zuerst einmal ein moralisches Problem sei. Deshalb
bemühe sich die Kirche auf vielfältige Weise, das Bewusstsein der Menschen für die
„Sündhaftigkeit“ von Korruption zu schärfen. Schewtschuk sprach sich für „Null-Toleranz“
gegenüber Korruption welcher Art auch immer aus, denn: „Korruption zerstört unser
Land.“ Erste kleine Erfolge eines Bewusstseinswandels erkenne er schon, so Schewtschuk.
In der Frage nach der möglichen Bedeutung der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten
der USA für die politische Entwicklung in der Ukraine wollte sich der Großerzbischof
nicht festlegen. Trump sei derzeit schlicht ein „großes Geheimnis“, seine politischen
Vorhaben seien nicht vorhersehbar. Er hoffe aber sehr, so Schewtschuk, dass sich der
neue Präsident auch seiner weltpolitischen Verantwortung bewusst sei. Die USA dürfe
ihre weltpolitische Führungsrolle nicht aufgeben.
Der Papst und die Ukraine
Großerzbischof Schewtschuk war am Freitag von Rom aus nach Wien gereist. Am Donnerstag
war er im Vatikan von Papst Franziskus zu einer Privataudienz empfangen worden. Der
Papst sei den leidenden Menschen in der Ukraine sehr nahe, berichtete Schewtschuk,
im Gebet, aber auch in der konkreten Tat. Der Großerzbischof erinnerte daran, dass
es nach der Begegnung des Papstes mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill auf Kuba im
Februar in der Ukraine „Unverständnis“ gegeben habe.
Einige Punkte der gemeinsamen Erklärung von Papst und Patriarch hätten nach Ansicht
der Ukrainer nicht die tatsächliche politische und kirchliche Situation vor Ort in
der Ukraine wiedergespiegelt. „Es war deshalb unsere Pflicht, den Papst aufzuklären“,
so Schewtschuk wörtlich. Das sei bei einer Begegnung der ukrainischen griechisch-katholischen
Bischöfe mit Franziskus am 5. März passiert. Schewtschuk: „Unsere Botschaft war: Heiliger
Vater, Sie haben Patriarch Kyrill umarmt, nun umarmen sie bitte auch das ukrainische
Volk.“ Und er habe dies auch getan.
Franziskus startete die humanitäre Hilfsaktion „Der Papst für die Ukraine“ und entsandte
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in die Ukraine. Schewtschuk: „Die Ukrainer sind
ihm dafür dankbar.“
Innerkirchliche Konflikte
Wie der Großerzbischof weiter sagte, teilten zudem alle Kirchen und Religionsgemeinschaften
in der Ukraine die Überzeugung, dass Religion nicht für politische Zwecke missbraucht
werden dürfe. Insofern herrsche durchaus „religiöser Friede“ in der Ukraine.
Allerdings gibt es auch eine Reihe innerorthodoxer Konflikte, die die Ukraine beschäftigen.
In diese Auseinandersetzungen, etwa zwischen dem Moskauer Patriarchat und dem Patriarchat
von Konstantinopel oder zwischen der Ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats
und dem Kiewer Patriarchat, mische man sich aus Prinzip nicht ein, unterstrich der
Großerzbischof: „Wir können ihre internen Probleme nicht lösen.“
Indirekt würden diese Konflikte freilich auch die UGKK betreffen: „Das Moskauer Patriarchat
wirft uns ständig vor, ein Hindernis für die Versöhnung und Zusammenarbeit zwischen
Orthodoxie und Römisch-katholischer Kirche zu sein.“ Auf der anderen Seite gebe es
aber gute Beziehungen seiner Kirche zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel,
hielt der Großerzbischof diesen Moskauer Anschuldigungen entgegen.
Die Ukrainische Griechisch-katholische Kirche (UGKK) ist heute eine der religiös und
gesellschaftlich bedeutendsten Kirchen in der Ukraine. Tausende Gläubige dieser Kirche
leben auch in Österreich, das seit fast 300 Jahren Ziel einer starken ukrainischen
Migration ist. Die UGKK entstand 1596 durch die Kirchenunion von Brest, als sich ein
Teil der orthodoxen Bischöfe zur Gemeinschaft mit dem Papst entschloss.
(kap 12.11.2016 sk)
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