2016-11-10 10:11:00

Irak: Auf der Flucht aus Mossul


Der Kreis um Mossul schließt sich offenbar immer enger: Die irakische Millionenstadt, die 2014 handstreichartig von den Terroristen des „Islamischen Staats“ erobert worden war, könnte bald wieder frei sein. „Focsiv“ bereitet sich darauf vor: Der italienische Verband christlicher Organisationen, die internationale Hilfsdienste von Freiwilligen anbieten, will mithelfen, eine humanitäre Katastrophe nach dem Fall von Mossul zu verhindern.

Seit zwei Jahren arbeitet „Focsiv“ in drei Flüchtlingslagern in Irakisch-Kurdistan und Kirkuk. Jabbar Mustafa Fatah ist, vom kurdischen Hauptort Erbil aus, der Koordinator der Hilfen.

Von der Mossul-Front ist Erbil gerade mal achtzig Kilometer entfernt. Trotzdem sagt Fatah: „In Erbil ist die Lage ziemlich ruhig. Auch deswegen, weil man noch vor dem Start der Offensive der Peshmerga-Kämpfer und der irakischen Armee ein Dutzend Lager außerhalb von Mossul vorbereitet hat. Diese Lager nehmen derzeit die Flüchtlinge auf, die täglich von Mossul aus eintreffen. Wenn Peshmerga oder irakische Soldaten ein Stadtviertel einnehmen, dann werden die Menschen auch mit Bussen der Kämpfer in diese Lager gebracht, die etwa dreißig Kilometer vor Mossul liegen.“

„Alle Mossuler sprechen von einer Befreiung“

Die Angreifer evakuieren die Bevölkerung, um beim Kampf mit dem IS ein halbwegs freies Schußfeld zu bekommen. Und auch, um sie vor Horrortaten der belagerten Terroristen zu schützen. Schon mehrfach entdeckten die auf Mossul vorstoßenden Kämpfer Gräber mit enthaupteten Leichen, oder zusammengepferchte Gefangene.

„Alle Mossuler sprechen von einer Befreiung. Sie haben bisher in einem Alptraum gelebt; die Terrorgruppe erlaubte Frauen zum Beispiel nicht, auch nur das Haus zu verlassen. Die Menschen lebten in einem Desaster, in jeder Hinsicht: humanitär, sanitär, sozio-kulturell...“

Das Desaster ist noch nicht vorbei – zumal auch die irakische Armee bei ihrem Vorstoß auf Mossul nicht zimperlich vorgeht. Laut Amnesty International hat sie während der Offensive mehrfach Menschen gefoltert und hingerichtet, weil sie sie verdächtigte, Kontakt zum „Islamischen Staat“ zu haben.

Die Menschen, die die letzten zwei Jahre unter der IS-Schreckensherrschaft in Mossul lebten, haben Furchtbares durchgemacht. Fatah erzählt von zwei älteren Frauen aus Karakosh: „Ja, beide sind Christinnen, die ein paar Monate lang während der IS-Herrschaft dort geblieben sind. Als der IS durch Zufall feststellte, dass sie Christinnen waren, wurden sie bedroht: Entweder Übertritt zum Islam oder Tod! Die eine von ihnen ist taubstumm, aber der anderen geht es etwas besser. Unter dem Druck durch die Terroristen haben sie gesagt: Na gut, wir treten über. Daraufhin hat man ihnen von Zeit zu Zeit etwas zu essen und zu trinken gebracht. Das erste, was sie nach der Befreiung von Karakosh durch die Truppen von Bagdad gemacht haben, war: Sie sind in eine Kirche gegangen, um zu beten.“

Volle Lager, wenig zu essen

Die Zahl der aus Mossul geflüchteten Menschen hat sich nach Angaben der Entwicklungsorganisation „Oxfam“ binnen weniger Tage verdreifacht. Seit letzter Woche seien mehr als 3.360 Familien geflohen; viele der Lager seien voll, und es fehle an Unterkünften, Heizmaterial und Trinkwasser. Die Leute von „Focsiv“ kennen die Misere in den Lagern aus der Nähe. „Wir helfen vor allem den Kindern, indem wir Schulen bauen und für Sport- und Unterhaltungsmöglichkeiten sorgen. Außerdem liefern wir Essen. Letzte Woche zum Beispiel haben wir in einem Camp namens Dibaga bei Erbil tausend Lebensmittelpakete an Familien ausgegeben; im Moment bereiten wir die doppelte Menge an Paketen für neu ankommende Familien vor. Dann treiben wir Windeln und Medikamente auf: Alles, was man uns zur Verfügung stellt, geht sofort an sie.“

„Humanity“ heißt die Kampagne von „Focsiv“ für die Mossul-Flüchtlinge: eine von vielen Hilfsinitiativen, die dann vor Ort doch wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken. Jabbar Mustafa Fatah, der Koordinator, ist übrigens Muslim. „Ich bin irakischer Kurde, aber lebe auch in Italien. Meine Familie ist in Italien, ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Mir geht es darum, den Menschen hier zu helfen, ganz gleich welcher Sprache oder Religion. Meine Zeit geht fast vollständig für die Hilfe für christliche Flüchtlinge drauf. Ich bin Architekt, ich habe selbst mitgeholfen, in den Lagern Ashti 1 und Ashti 2 zwei Kirchen zu bauen. Und ein Religionszentrum auch für Jesiden, in einem Jesiden-Camp. Ich mache das hier für die Menschheit...“

(rv 10.11.2016 sk)








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