2016-10-25 11:57:00

Österreich: Besser als man denkt


Nationalfeiertag – Tag der Selbstbesinnung. Am Mittwoch für Österreich. Die Politik des Landes steckt in einer Krise wie in vielen anderen europäischen Ländern, die im Vergleich massive Präsenz geflüchteter Menschen in Österreichs Gemeinden sorgt für eine Polarisierung in der Gesellschaft, und bei der verschobenen Stichwahl zum Bundespräsidenten, die nun im Dezember stattfinden wird, könnte erstmals ein Mann der rechtspopulistischen FPÖ das höchste Amt im Staat erringen - einer, der mit einem umstrittenen Wahlslogan "so wahr mir Gott helfe" eine breite Welle des Widerstands der Kirchen provoziert. Gudrun Sailer bat den katholischen Publizisten und langjährigen Sprecher der österreichischen Präsidentschaftskanzlei Heinz Nußbaumer zu einem einordnenden Gespräch über Österreich und seine politischen Umwälzungen.

RV: „Ein Blick auf die Lage der Nation, wie geht es Österreich heute am Vorabend einer jetzt schon bemerkenswerten Präsidentschaftswahl?“

Nußbaumer: „Also ich möchte unsere Probleme, Peinlichkeiten und Lächerlichkeiten im Zusammenhang mit der Bundespräsidentenwahl gar nicht herunter spielen. Trotzdem meine ich, dass es uns Österreichern ziemlich gut geht. Ich glaube, wir haben ein funktionierendes, politisches, parlamentarisch-demokratisches System. Wir sind ein nach wie vor sicherer, auch sozialsicherer Staat und wir haben noch immer, zwar weiß niemand wie lange noch, eine Generation von politisch Verantwortlichen, die eigentlich ihre Verantwortung ernst nehmen. Ich will kein Schönredner sein, wir durchleben sicher eine politische Wendezeit. Viel von dem, was uns so viele Jahre und Jahrzehnte geprägt hat wird wahrscheinlich zunehmend fragwürdiger. Neues ist noch nicht überzeugend erkennbar, aber das durchleben im Moment so viele andere Länder auch, von Rom bis Berlin und anderswo. Lange genug hat es geheißen, dass Österreich eine verspätete Nation ist. Ich glaube wir sind jetzt eine sehr gefestigte Nation. An diesem Nationalfeiertag glaube ich, gibt es doch eine weitgehend bis totale Übereinstimmung der politischen und sozialen Lager."

RV: Österreich ist heute auch eines der wohlhabendsten Länder der ganzen Welt. Inwiefern befördert denn die Angst vieler Österreicher, vielleicht auch auf einen kleinen Teil ihres materiellen Wohlstandes verzichten zu müssen, die teils aggressive Politik im Land?

Nußbaumer: „Ich nehme an Sie spielen auf den unbestreitbaren Stimmungswechsel gegenüber Flüchtlingen an. Da geht es trotz aller bedauerlichen Verdunstung des Religiösen zunächst einmal um Angst. Angst vor dem Unbekannten, Angst vor dem Fremden, von dem einfach viele Österreicher noch oder noch nicht wissen, wie kompatibel die jetzt auf uns hereindringende Welt, also die Asylanten, mit unserer Gesellschaftsform und unserer Lebensform, mit unseren Freiheiten und unserer Demokratie vereinbar ist. Das glaube ich liegt an der Wurzel unseres Problems. Da ist, wenn ich das noch dazu sagen darf, glaube ich in den letzten Jahren einfach auch zu viel an Entgrenzung für die Bürger passiert, etwa die Europäisierung, Globalisierung, Digitalisierung usw. Das macht eine Form von Unbehaustheit bei vielen Menschen, über die wir offen nachdenken müssen. Als Katholik, und das ist mir wichtig zu sagen, bin ich unendlich dankbar dafür, dass es die Kirchen mehr als jede andere gesellschaftliche Institution versucht Brücken zu bauen und auch erfolgreich ist."

RV: Sehen Sie heute in Österreich eine Neigung, sich lieber ins Unpolitische zurückzuziehen?

Nußbaumer: „Natürlich gibt es grundsätzlich diesen Rückzug in das Politikferne oder das Unpolitische. Andererseits glaube ich, dass aus den bisherigen Wahlgängen zur Bundespräsidentenwahl sogar ein ziemlich deutlich ein politisches Interesse deutlich wurde. Eines, wie ich als langjähriger Sprecher der Präsidentschaftskanzlei es nie erwartet hätte, dass sich die Menschen in der Entscheidung um ein Amt engagieren, von dem ja weitgehend die Meinung geherrscht hat, dass es ziemlich machtlos ist. Manche haben sogar gesagt, dass es überflüssig ist. Das ist eigentlich ein positives Hoffnungszeiten, und wer glaubt, dass es jetzt, wo es einen dritten Wahlgang gibt, die Lust an der Demokratie irgendwie vergeht, der wird sich jedenfalls, so hoffe ich, auch beim dritten Wahlgang irren. Die Leute spüren doch, dass eine Wegkreuzung da ist, und viele von uns haben das irgendwie erkannt, dass jede mögliche Stimme massive politische Folgen haben kann. Noch nie habe ich eigentlich in unserem Land so viel an Zivil- und an Bürgergesellschaft gespürt als gerade jetzt.“

(rv 25.10.2016 gs)








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