2016-10-15 11:45:00

Unser Buchtipp: Weiße Nelken für Elise


Beate Schäfer: Weiße Nelken für Elise. Die Liebe meiner Großeltern zwischen Wehrmachtsbordell und KZ, erschienen bei Herder, Preis etwa 20 €.

Über den Holocaust und alles, was damit zusammen hängt, gibt es eine reiche Liste an Literatur, die den heutigen Leser auf das Genaueste über die damaligen Gräueltaten informiert. Die Geschichten von Juden, politisch Andersdenkenden und Widerständlern, die der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind, sind als Sachbuch oder Roman erhältlich und ermöglichen den Blick auf das Leben und Sterben von unschuldigen Opfern, die ohne Zögern auch als solche benannt werden.

Etwas anders sieht es mit einem Opferkreis aus, der erst in jüngerer Zeit verstärkt in den Fokus der kollektiven Erinnerung rückt: Von Gerichten verurteilte Menschen, die als „Berufsverbrecher“ und nicht rehabilitierbar in Lager geschickt und dort ebenfalls planmäßig umgebracht wurden, als abschreckende Maßnahme und um zu verhindern, dass sich die als „schlecht“ befundenen Gene dieser Menschen, die als wertlos für die Gesellschaft stigmatisiert wurden, weiter verbreiten mögen.

Familienangehörige mussten in den folgenden Jahren mit der vererbten unterschwelligen Scham leben, dass ihr Verwandter ja vielleicht doch ein wenig zu Recht im Lager gelandet sein möge. Viele der Täter, die diese „unerwünschten Individuen“ nach geltendem Recht und Gesetz (und manchmal auch daran vorbei) in die Lager verschoben hatten, waren im Polizei- und Justizapparat zu finden und standen auch in der jungen Bundesrepublik Deutschland, nach einer dürren Prozedur der Entnazifizierung, wieder auf dem alten Posten in Lohn und Brot. Diese Gemengelage dürfte mit Schuld daran sein, dass diese Opferkategorie im kollektiven Gedächtnis nur auf einer der untersten Stufe rangiert, obwohl sie den gleichen willkürlichen Schikanen und derselben brutalen Vernichtung ausgesetzt war wie diejenigen Menschen, die statt des grünen Zeichens für „Berufsverbrecher“ einen gelben, roten oder rosafarbenen Winkel an ihre Lagerkleidung nähen mussten.

Umso mutiger ist das Dokument, das Beate Schäfer nun vorlegt: In ihrem ersten Sachbuch beschreibt die Dramaturgin und Romanautorin die Geschichte ihrer Familie, mit einem besonderen Blick auf ihre Großeltern väterlicherseits. Auf ihren Großvater, bereits als junger Mann als Zuhälter verurteilt, der ohne gültigen Prozess als „polizeilich Sicherungsverwahrter“ ins Konzentrationslager Dachau geschafft wird, von wo aus er ein knappes Jahr später mit einem Vernichtungstransport in die Gaskammer von Hartheim verbracht wird. Und auf ihre Großmutter, die Zeit ihres Lebens als Prostituierte gearbeitet hat - während des Aufstiegs der Nationalsozialisten und ihrer brutal durchgesetzten Vorstellung von Sittlichkeit und Ordnung; mitten in den Wirren des Krieges, in denen die Großmutter von denselben Nazis, die ihren Broterwerb verurteilen, dazu gezwungen wird, in einem Wehrmachtsbordell im besetzten Straßburg zu arbeiten; und nach dem Krieg, als sie es mit ihrem Beruf zu einem gewissen Wohlstand bringen kann und ihrer Enkelin Beate Schäfer auf deren Nachfragen hin ihre Geschichte erzählen wird.

Die Familiengeschichte, die diese anschließend mit journalistischer Distanz und gut recherchiert vorlegt, kann stellenweise dennoch die persönliche Betroffenheit der Autorin nicht verbergen und gibt dem Leser Einblick in eine private Welt, die wohl das bedrückende Schweigen so mancher Familie der Nachkriegszeit verständlicher machen kann.

Im Anhang findet sich ein reichhaltiges Literaturverzeichnis, das dem interessierten Leser weiterführende Lektüre an die Hand gibt. Ein aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel geschriebenes Sittengemälde des „Dritten Reichs“ und der Nachkriegszeit, das den Leser kaum unbeeindruckt lassen wird.

 

(rv 15.10.2016 cs)








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