2016-10-03 14:06:00

Kolumbien: Ja zum Frieden, aber Nein zum Friedensvertrag


Was keiner für möglich gehalten hat, ist am Sonntag geschehen. Ganz knapp wurde das Referendum zum Friedensvertrag in Kolumbien zwischen Regierung und den FARC-Rebellen vom Volk abgelehnt. Der Vertrag kam nach 50 Jahren Bürgerkrieg und nach vier Jahren Verhandlungen zwischen der Regierung und den Rebellen zustande. Beobachter hatten ihn als historisch bezeichnet, und alle hatten ein klares Ja von der Bevölkerung zum Abkommen erwartet, das Ende September bereits unterschrieben wurde. Hat Kolumbien sich damit gegen den Frieden entschieden, fragte Pia Dyckmans die Kolumbien-Expertin von Adveniat, Monika Lauer Perez.

Monika Lauer Perez: „Die Kolumbianer haben dieses Abkommen, wie es ihnen präsentiert wurde, nicht angenommen, aber sie haben sich keinesfalls gegen den Frieden entschieden! Ich glaube, das ist eine sehr wichtige Unterscheidung, die man da machen muss.“

Radio Vatikan: Warum wurde der Vertrag denn nicht angenommen?

Perez: „Zum einen rächt sich jetzt die schlechte Informationspolitik, die es über diese vier Verhandlungsjahre gab. Die Öffentlichkeit wurde nur sehr schwerfällig informiert, und erst am Ende wurde das Gesamtwerk, das 300 Seiten umfasst, der Bevölkerung vorgelegt. Das ist so komplex, dass man wirklich Schwierigkeiten hat, das nachzuvollziehen oder überhaupt alles zu verstehen. Insofern bin ich mir da nicht ganz sicher zu diesem Zeitpunkt – es wird sicher noch einige Analysen geben –, ob das nicht eine sehr reife, demokratische Leistung der Kolumbianer war. Das wird sich sicher noch zeigen.“

RV: Inwiefern reife Entscheidung? Hätte man nach 50 Jahren Bürgerkrieg nicht sagen können, das ist der erste Schritt zum Frieden, auch wenn das eigentlich nur ein 300-seitiger Kompromiss ist?

Perez: „Der Frieden ist ja nicht gleichzusetzen mit dem Abkommen. Der Frieden hängt von diesem Abkommen nicht wirklich ab. Das ist genau das, was man versucht hat, den Kolumbianer in friedenspädagogischen Bemühungen beizubringen: dass dieses Abkommen nicht mehr sein wird als ein Signal, ein Startpunkt, um dann den Frieden in Kolumbien aufzubauen. Da müssen alle mitwirken, nicht nur Regierung und FARC. Und Präsident Santos hat bereits geäußert, dass er weiterhin bis zum letzten Tag seines Mandats am Thema Frieden dranbleiben wird. Der FARC-Repräsentant hat sich auch dahingehend geäußert, dass man weiter am Thema arbeiten will. Ich würde jetzt nicht sagen, es ist alles verloren dadurch, dass Kolumbien mit Nein gestimmt hat.“

RV: Was sind denn im Vertrag die Knackpunkte, die die Bevölkerung kritisch sieht, nicht anerkennen und befürworten will?

Perez: „Ein großes Problem ist die Übergangsjustiz. Da gibt es viele Menschen, die sagen, wenn die FARC für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sie tatsächlich begangen hat, nicht angemessen bestraft wird, dann ist das sicherlich nicht in unserem Sinne. Dann gibt es Gerüchte bzw. diese haben sich inzwischen konkretisiert, obwohl die Regierung einen Zusammenhang abstreitet, dass es eine Steuerreform geben wird. Das heißt, es muss ja auch Geld da sein, um diesen Frieden zu finanzieren. Es gibt x Punkte, wo die Kolumbianer sagen, das ist uns nicht transparent genug, da wissen wir nicht so genau, wozu wir Ja sagen. Dieses Ja wäre für viele sicherlich einer Blanko-Vollmacht gleich gekommen.“

RV: Wie kann es denn mit der Politik jetzt weitergehen? Theoretisch ist es eine Niederlage für den Präsidenten und auch für die Rebellen. Was denken Sie, was werden die nächsten Schritte sein?

Perez: „Die nächsten Schritte werden sicherlich sein, dass man die Lage anaylsiert und sich darüber klar wird, wozu haben die Kolumbianer tatsächlich Nein gesagt. Es ist ja auch so, dass auf internationaler Ebene der Rückhalt für die Vereinbarung von Anfang an wesentlich größer war als im Land selbst. Einfach, weil es im Land selbst zu viele Bedenken gab. Die Kirche wird mit Sicherheit ihren Weg weitergehen, weiterhin am Thema Frieden, Friedenspädagogik, Versöhnung und Vergebung arbeiten. Da bin ich mir sicher. Die Reaktionen, die ich heute Nacht aus Kolumbien bekommen habe von den kirchlichen Partnern vor Ort, sind eindeutig: Wir werden weiter machen.“

RV: Viele Beobachter, gerade aus dem Ausland, haben ja von einem „historischen Abkommen“, einer „Zeitenwende“ in Kolumbien gesprochen - denken Sie, dass der Stabilisierungsprozess der vergangenen Jahre jetzt gerade nach dem gescheiterten Referendum in Gefahr ist?

Perez: „Also ich hoffe, dass das jetzt nicht in Krieg und Chaos mündet. Ich will hoffen, dass in den vier Jahren klar geworden ist, dass das nicht der Weg sein kann. So will ich auch hoffen, dass FARC und Regierung weiterhin daran arbeiten. Das möchte ich auch noch mal betonen: auch mit internationaler Unterstützung! Es ist sicherlich eine Zeitenwende und historisch gesehen etwas sehr Wichtiges gewesen, dass man es geschafft hat, vier Jahre lang am Verhandlungstisch zu sitzen und letztlich auch ein Abkommen auszuhandeln. Das bleibt ja unbenommen. Das jetzt einzelnen Punkte dieses Abkommens noch nicht vom kolumbianischen Volk angenommen wurden, bedeutet, man muss nacharbeiten. Vorher haben die Regierung und auch die FARC gesagt, es wird nicht nachgearbeitet. Im Moment – nach den Reaktionen, die ich gehört habe – bin ich mir da nicht so sicher und will ich auch hoffen; und dahin gehend sollten auch Deutschland und die anderen Unterstützer-Länder hinarbeiten, dass wirklich so lange weiter verhandelt wird, bis man zu einem Abkommen, das tatsächlich auch tragbar ist, kommt. Von außen gesehen ist es immer einfach zu sagen, das ist es jetzt. Aber wenn man im Land selber lebt und die Verhältnisse kennt, dann hat man sicher andere Bauchschmerzen als ein Beobachter von außen.“

Anmerkung der Redaktion: Sowohl Präsident Juan Manuel Santos als auch der Chef der Guerilla, Rodrigo Londoño alias Timochenko, bekannten sich trotz des gescheiterten Referendums zum Friedensvertrag. Unterhändler sollen nun nach Havanna reisen, um das Ergebnis miteinander zu analysieren.

(rv 03.01.2016 pdy)








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