2016-09-09 13:58:00

Abtprimas Notker Wolf: Unbequemes zu sagen ist Pflicht


Ein prominenter Ordensmann tritt ab: Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner, erhält am Samstag einen Nachfolger. In Rom wählen die aus aller Welt angereisten Benediktineräbte einen neuen Repräsentanten. 16 Jahre lang war Abtprimas Notker auf dem prachtvollen römischen Aventin-Hügel im Generalat ansässig, er war ein gefragter Gesprächspartner auf allen Seiten und reiste für seinen Orden vielfach um die ganze Welt. Nun kehrt er in sein Heimatkloster Sankt Ottilien in Bayern zurück. Gudrun Sailer sprach in Rom mit dem scheidenden Abtprimas und fragte ihn zunächst nach seiner prägendsten Erinnerung an die zurückliegenden 16 Jahre.

„Ach, ich denk nicht zurück, ich denke nach vorne. Ich werde sicher wieder Neues anpacken, so wie der Heilige Vater ja in unserer Audienz über mich gesagt hat: wer kann denn den stoppen? Und so geht es auch weiter und nach vorne – wie bei Hausaufgaben. Man hat eine erledigt und geht zur nächsten.“

RV: Am Samstag wird Ihr Nachfolger gewählt. Welche Eigenschaften muss ein guter Abtprimas der Benediktiner mitbringen?

„Er sollte ein flexibler Mensch sein, tolerant auch gegenüber den unterschiedlichen benediktinischen Strömungen. Es ist gut, wenn er selber auch geistlichen Input geben kann, und ein paar Sprachen sollte er auch können.“

RV: Was wünschen Sie ihm?

„Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er die Leute einfach mag.“

RV: In den vergangenen 16 Jahren ist die Welt auf neue Weise aus den Fugen geraten: Die Anschläge vom 11. September 2001 – vor genau 15 Jahren - haben eine Welle religiös fundierten Terrorismus eingeläutet, eine neue Etappe der Feindseligkeit zwischen Völkern und Religionen, wenn man es besonders pessimistisch sehen will. Was können Christen in dieser Lage tun?

„Konflikte entschärfe ich am besten dadurch, dass ich ihnen ins Auge blicke. Dass ich weiß, worum es geht, sie analysiere, und mit den Menschen rede. Vieles sind reine Vorurteile. Wenn ich den anderen kennenlerne, mit ihm befreundet bin, sieht alles anders aus. Wir konstruieren Feindbilder, um beispielsweise in Deutschland eine Pseudoeinheit zu schaffen. Das hat mit der Wirklichkeit oft wenig zu tun. Die populistischen Sachen, die ich lese – es tut mir Leid, das ist so vereinfacht, das ist nicht die Wirklichkeit. Je mehr ich mich damit befasse, desto mehr Angst fällt weg.“

RV: Können Sie es nachvollziehen, wenn in Europa Vorbehalte gegen die muslimische Vollverschleierung bestehen?

„Selbstverständlich, das kann ich sehr gut verstehen. Nur dürfen wir einen Fehler nicht machen: zu sagen, ihr müsst es ablegen. Ich bin auch dagegen, dass sie sich voll verschleiern. Die Frauen haben das so stark internalisiert, dass sie sich fast vorkommen, als müssten sie sich exhibitionieren, wenn sie die Burka ablegen müssen. Das braucht viel Geduld und Zuwendung. Und wenn die Männer immer sagen, die Burka ist gut, damit den Frauen nichts passiert, muss ich sagen mit Jesus: Wer eine Frau lüstern anschaut, hat die Ehe schon gebrochen. Es liegt am Mann und nicht an der Frau.“

RV: Ein Burkaverbot wäre der falsche Weg?

„Ja. Aber sie [die Muslime] müssen auch wissen, das ist nicht unsere Kultur. Sie sind in die Fremde gegangen. Ich war viel in der Fremde, und ich passe mich grundlegend den Sitten an. Ich werde einfach in Asien meine Schuhe ausziehen. Das ist selbstverständlich. Diese Selbstverständlichkeit des Respekts vor der Kultur der anderen fehlt bei [vielen Muslimen], weil sie meinen, das sei die absolute Kultur. Solche Leute gibt es bei uns auch, gerade auch die sogenannten Liberalen. Ich glaube, wir müssen uns viel mehr mit dem Problem der kulturellen Veränderung auseinandersetzen.“

RV: Mit drei Päpsten hatten Sie es in Ihrer Amtszeit zu tun. Was wird vom Pontifikat Franziskus bleiben?

„Seine Art der Verbindung untereinander. Er ist wirklich Pontifex, Brückenbauer. Wenn ich mir vorstelle, wie er mit den Muslimen umgeht, ich finde es großartig, wie er jetzt eine einvernehmliche Lösung mit China sucht, nicht um irgendwie nachzugeben, sondern um die Kirche dort wieder zu einen und zusammenzuführen. Ich habe den Leuten der Untergrundkirche immer gesagt, ihr glaubt, ist seid die einzig Rechtgläubigen. Aber was ist mit den anderen, was meint ihr, welche Freude ihr der Regierung macht, dass ihr gespalten seid? Auch mit den evangelischen Brüdern und Schwestern, er hat so eine unbefangene Art, auf die Leute zuzugehen.“

RV: Welche von den Dingen, die Franziskus als Papst betont, bringen den Glauben wirklich voran?

„Was würde Luther heute sagen? Sola scriptura, nur die Schrift zählt. Der gute Franziskus ist das lebendige Beispiel für einen Menschen, der die Heilige Schrift wirklich ernst nimmt. Das gibt ihm die Stärke gegenüber allen Anfeindungen. Er sagt: tut mir Leid, was in der Dogmatik oder im Kirchenrecht steht – aber hier in der Schrift steht nun einmal, du sollst nicht urteilen, damit du nicht verurteilt wirst, du sollst dienen, nicht herrschen – und es gibt so viele Herrschaftsmethoden auch in der Kirche, das steckt im Menschen drin, ich habe ja Verhaltensbiologie studiert. Deshalb kann ich auch die Leute nicht verurteilen. Andere wollen Franziskus festhalten und sagen, es zählt doch die Dogmatik viel stärker. Aber wozu hat die Dogmatik in der Geschichte geführt? Hat sie wirklich den Glauben erzeugt oder die Inquisition? Die Hexenverbrennungen, die waren alle schön dogmatisch fundiert. Operation gelungen, Patient tot. Wir haben das Recht behalten – und die Menschen sind kaputt. Aber das geht nicht! Ich glaube, dass der Heilige Vater oft vor dieser Frage steht. Die Kirche ist Trägerin des Evangeliums, das sie auslegen muss, aber sie muss sich vor allem hüten vor Absolutierungen.“

 

„Wenn ich die Freiheit habe, unbequeme aber wahre Dinge zu sagen, habe ich die Pflicht dazu“

RV: Herr Abtprimas, Sie hatten in diesen 16 Jahren auch keine Scheu, sich in strittigen Fragen kritisch zu Wort zu melden. Meinen Sie, Ihr Dasein als Ordensmann schafft für Sie besondere Freiheit?

„Ich bin natürlich kein Funktionär, bestenfalls die Ordenskongregation (im Vatikan) könne mir einen Staucher versetzen oder die Glaubenskongregation, da ist aber nichts passiert. Denn über mir steht eigentlich der Heilige Vater. Die Orden sind ja auch etwas wie geistliche Brennpunkte in der Kirche. Mir sagen Leute: weißt du, du bist schon privilegiert, du hast Freiheiten, die sich andere nicht herausnehmen können. Und das stimmt. Aber ich muss diese Freiheit, wenn ich sie habe, auch wahrnehmen, und wenn ich die Freiheit habe, Dinge zu sagen, die unbequem aber wahr sind, dann habe ich auch die Pflicht dazu.“

RV: Was wird Ihnen fehlen an dem, was Sie die letzten 16 Jahre gemacht haben?

„Heute Mittag gab‘s wieder so eine leckere Pasta…! Aber es gibt auch so viel Schönes in Deutschland, ich kehre nach Hause zurück. Ich hoffe, wieder mehr Zeit für die Musik zu haben, ich muss mehr üben, das Alter. Ich möchte vor allem wieder mit meiner Gemeinschaft zusammenleben. Ich freu mich da ganz ehrlich darauf.“

 

(rv 09.09.2016 gs)








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