2016-08-15 11:39:00

Libyen: „Wichtig ist jetzt der nationale Zusammenhalt“


Die stückweise Wiedereroberung der libyschen IS-Hochburg Sirte durch internationale Luftangriffe gibt Hoffnung, dass der Kampf gegen den Terror im Machtvakuum des Landes Früchte zeitigen könnte. Wichtig sei jetzt die nationale Einheit in dem zerfallenen Staat, erklärt der Geopolitik-Dozent Riccardo Redaelli von der Katholischen Universität Mailand im Gespräch mit Radio Vatikan.

„Sicher ist es eine großartige Nachricht, dass die dschihadistischen Milizen des sogenannten Islamischen Staates geschlagen wurden, auch wenn wir noch auf die definitive Eroberung warten. Der IS war tatsächlich eine Bedrohung, aber auch ein Ausdruck von Chaos, denn unter der schwarzen Flagge des Kalifats kämpfen auch Gruppen, die keineswegs dschihadistisch sind. Da sind auch Milizen von ehemaligen Gaddafi-Anhängern dabei, die gegen den neuen Kurs sind. Deshalb war der IS in Libyen vor allem ein Ausdruck des starken Zerfalls des Staates. Es ist positiv, dass der IS in Sirte nun so gut wie geschlagen ist, aber Vorsicht: Wenn wir die Lage in Libyen nicht politisch lösen, kann dieses Chaos wieder auftreten und andere Revolten gegen das legitime Regime entfachen, das noch immer sehr schwach ist und nicht von allen Akteuren des Landes anerkannt wird. Deshalb kann jederzeit wieder eine starke dschihadistische Präsenz im Land auftreten.“

Der Kampf gegen den IS war bislang einer der wenigen gemeinsamen Nenner in dem Land, das seit dem Sturz des Diktators Muammar Gaddafi im Jahr 2011 in ein politisches Vakuum gestürzt ist. Libyen zerfällt: zwischen regionalen und provinziellen Rivalitäten, politischen und ideologischen Differenzen, zwischen den persönlichen Ambitionen Einzelner.

„Deshalb ist es jetzt fundamental, die von den Vereinten Nationen eingesetzte Regierung nach allen Kräften zu unterstützen. Es braucht vor allem den starken Einsatz Italiens. Es ist jetzt wichtig, einen Kompromiss für alle Kräfte des Landes zu finden, vor allem mit General Haftar, dem Oberbefehlshaber der libyschen Streitkräfte, den viele heute immer noch nicht anerkennen.“

Die Regierung hat es auch deshalb schwer, Anerkennung bei der Bevölkerung zu finden, weil die wirtschaftliche Lage im Land immer noch desaströs ist. Die Wirtschaft stagniert, die Landeswährung verliert an Wert, es gibt immer wieder Stromausfälle.

„Die Lage ist sehr schwierig. Eigentlich war Libyen ein einfach zu verwaltendes Land; in der Folge des Sturzes von Ghaddafi wurde viel Geld flüssig, die Bevölkerung ist relativ klein, und es gab eine hohe Ölproduktion. Aber die Unsicherheit im Land, die kontinuierlichen Kämpfe und die Lähmung haben einen zunehmenden Kollaps der Wirtschaft und der Sicherheit verursacht. Deshalb interessiert es die Libyer im Alltag wenig, ob ein Premierminister nun so heißt oder anders, ob er zu der politischen Richtung gehört oder zu einer anderen. Sie sehen vor allem die wirtschaftliche Auflösung des Landes und das ungestrafte Vorgehen der kriminellen Banden. Es ist offensichtlich, dass man nur wieder von vorn anfangen kann, wenn die großen Gruppen des Landes sich verständigen und auf eine einzige Regierung einigen.“

Vor allem aber sei das Wiederankurbeln der Ölproduktion entscheidend, weiß Redaelli. „Ohne den Ölfluss ist Libyen tot, dann ist es nicht liquid. Aber über den Ölfluss hinaus ist es wichtig, dass der Ertrag richtig verteilt wird. Die enorme Korruption muss gebremst werden, ebenso wie die Verschwendung des Geldes und der frischen Ressourcen. Es braucht ein funktionierendes politisches Zentrum, das in der Lage ist, den Ertrag des Öls richtig zu verwalten und auf die Bevölkerung zu verteilen. Das ist bislang noch nicht geschehen.“

(rv 15.08.2016 cz)








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