2016-08-07 09:56:00

Menschen in der Zeit - Christoph Schließmann


Christoph P. Schließmann ist Wirtschaftsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main. Seit 20 Jahren berät begleitet er Aufsichtsräte, Vorstände oder Geschäftsführer in Fragen der Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung an der Schnittstelle von Wirtschaft und Recht. Christoph Schließmann war 1991 einer der Gründungsdozenten des St. Galler Management Programms. Heute lehrt er Strategische Unternehmensführung, Entrepreneurship und Leadership an der Paris-Lodron-Universität Salzburg und der Universität Innsbruck. Außerdem ist er Autor zahlreicher Bücher.

RV: Wir möchten Sie als erfahrenen Wirtschaftsmanager und erfolgreichen Unternehmensberater zunächst fragen, wie und wann Sie zu diesem heute so wichtigen Berufszweig gekommen sind?

Schließmann: „Eigentlich ist der gewachsen. Ich komme aus einer Familie von Unternehmern, Kaufleuten und Juristen und hatte diesen Wunsch, Jura mit Wirtschaft zu verbinden, so ab dem 16. oder 17. Lebensjahr entwickelt. Wobei: wenn ich heute zurückblicke, sehe ich, dass sich vieles, was man als junger Mensch plant oder auch zur damaligen Zeit aus dem Elternhaus als Weg mitbekommt, schlichtweg nicht planen lässt.

Viele Entwicklungen meines Lebens sind Zufälle, sind Türen, die sich in irgendeiner Form geöffnet haben, durch die man den Mut haben musste, durchzugehen, neue Wege zu beschreiten. Viele Entwicklungen sind auch aus negativen Situationen entstanden: wo man plötzlich vor einer verschlossenen Türe stand, deren Plan eigentlich war, dass sie aufgeht. Da musste man dann einen anderen Weg einschlagen. Im Fazit kann ich eines sagen: das Entscheidende für jeden ist, den Mut zu haben, neue Wege zu beschreiten, das Beste aus seinen Talenten und Fähigkeiten zu machen und irgendwo am Ende sich selbst immer treu zu bleiben.“

RV: Erfolg liegt nicht nur im theoretischen Wissen, noch in der Erfahrung allein. sondern es braucht dazu auch – wie Sie eben sagten – Gespür, ja Intuition. Wie würden Sie als erfahrener Berater Gespür, Intuition, Einfühlungsvermögen, Empathie definieren?

Schließmann: „Wir leben heute immer stärker in einer komplexen Welt - Komplexität heißt, wir haben es mit nicht linearen Situationen und Entwicklungen zu tun. Und da muss man vieles spontan intuitiv lösen, da geht eigentlich nur Intuition. Intuition ist eine Art unterbewusstes Bewertungs- und Reaktionsmuster. Was ein Mensch entwickelt, der entwickeln kann, wenn er vor allem durch Krisen, durch schwierige Situationen selbst hindurchgefunden hat. Das Schwierige dabei ist nur, dass Intuition in einem aktuellen Fall nicht funktioniert mit Bewertungsmustern und Reaktionsmustern, die irgendwann einmal in der Vergangenheit entstanden sind. Also die Herausforderung wird sein, intuitive Lösungsmöglichkeiten aus aktueller Erfahrung zu sammeln.“

RV: Sie sind Planer für wichtige Unternehmen und somit auch Planer unserer gemeinsamen Zukunft: Viele Menschen haben Angst vor einer rasant sich verändernden Welt und einer immer stärker fordernder Leistungsgesellschaft. Ist diese Angst, dieses allgemeine Unbehagen berechtigt?

Schließmann: „Ich glaube ja. Denn die Menschen, die heute die Gesellschaft verantworten, vor allem mittleren oder älteren Alters, sind weitgehend in einer analogen und linearen Welt groß geworden. Wenn ich noch zurückdenke an mein Studium und an die ersten Jahre meiner Berufstätigkeit, vor allem in den 90-Jahren, da haben wir gelernt, wie Unternehmensführung oder Planung wirklich aus den Daten der Vergangenheit in die Zukunft extrapoliert. Wir konnten problemlos eine Unternehmensplanung für das Jahr  X machen, indem wir die Daten des Vorjahres genommen haben, mit gewissen Veränderungen angereichert und nach vorne gezogen haben. Das funktioniert heute nicht mehr. Ich glaube, wir haben heute eine Situation, wo strategische Themen nicht mehr mit dem Wort langfristig gleichzusetzen sind, sondern mit der Frage, was gestaltet oder bedingt die Überlebensfähigkeit einer Organisation, ganz generell. Und das können Dinge sein, die täglich entstehen. Also die Frage ist nicht mehr an der Fristigkeit festzumachen, sondern an der Frage der Bedeutung für die Lebens- und Überlebensfähigkeit einer Struktur, einer Organisation, einer Familie. Und zurück zu Ihrer Frage: viele Leute sind mit dieser situativen Komplexität und deren Bewältigung überfordert, weil sie dafür keine Lernmuster, keinen Masterplan bereits haben, mit dem sie umgehen können. Und schauen Sie die aktuellen Entwicklungen an, ob es die Brexit-Entwicklung in Großbritannien und Ähnliches ist: viele dieser politischen Phänomene, die zur Zeit passieren, sind Antworten oftmals von Menschen, die letztlich aus dieser gesellschaftspolitischen und unternehmenspolitischen Situation ausgeschieden sind. Die nicht mehr mitgekommen sind. Die sie nicht mehr bewältigen können, die sie nicht mehr überschauen können. Und dadurch entstehen Ängste.“

RV: Das Wort „Werte” ist spätestens seit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zu einem Modebegriff geworden. Man kann in diesem Wort sehr viele Begrifflichkeiten unterbringen. Was versteht unter dem Wort „Wert” heute Christoph Schließmann, Wert für einen Menschen, für einen Unternehmer, aber auch für eine Einzelperson?

Schließmann: „Ich will gar nicht gar nicht von einzelnen Werten sprechen – das wäre eine lange Diskussion, sondern ganz generell: was ist ein Wert? Ein Wert ist für mich keine proklamierte Vision oder ein proklamiertes Statement, sondern Werte sind erst dann solche, wenn ein Mensch sie für sich verinnerlicht hat und als selbstverständlichen Teil seines täglichen Lebens wirklich lebt, praktiziert. Ein Wert muss bei jemandem angekommen sein, er muss selbstverständlich sein, er muss sein Handeln, sein Denken leiten. Dann ist es erst ein Wert. Das was ich zur Zeit sowohl in der Wirtschaft als auch im Privatleben immer  wieder merke, ist, dass Werte sehr gerne als ein Marketing-Faktor, schick, modern, generiert und verkauft werden, ja sogar von außen aufgesetzt werden: Unternehmen holen Agenturen zu sich, die ihnen Werte in irgend einer Form passend zum Unternehmens-Image gestalten und kreieren. Und dann stellen sich Unternehmenschefs vorne hin und sagen: unser neuer Wert, den wir ab jetzt leben, heißt so und so. Das geht nicht. Werte entstehen über eine gewissen Zeit, Werte müssen verinnerlicht werden, und nur wenn sie selbstverständlich im Unterbewusstsein verankert sind, sind es Werte.“

RV: Sie setzen sich mit dem Begriff „Werte” also auch kritisch auseinander. Dabei berufen Sie sich auf Ihre Erfahrung. Was würden Sie den Hörerinnen und Hörern von Radio Vatikan als realistische Lösungsansätze im Umgang mit Werten empfehlen?

Schließmann: „Ich glaube jeder sollte bei sich selbst anfangen. Jeder sollte niemals versuchen, einem Wert zu folgen, oder ihn zu leben, den er nicht wirklich verinnerlicht  und bewusst selbst überzeugt leben kann. Es hat keinen Sinn - und das hält auch keiner länger aus -, in einem Unternehmen tätig zu sein, dessen Werte man nicht selbst unterschreiben kann. Es hat keinen Sinn, in einer Familie Werte zu predigen, die nicht wirklich überzeugend umgesetzt werden können. Ich denke, es braucht auch nicht viele Werte. Es braucht auch keine Modebegriffe, sondern jeder sollte sich wirklich einmal verinnerlichen und fragen: was sind die zwei, drei ganz wesentlichen Handlungsparameter, die mich und mein ständiges Leben leiten. Ich habe mich selbst einmal hingesetzt und habe mich gefragt: was sind denn Dinge, die mich ausmachen? Und das sind zum Beispiel zwei Werte ganz zentral in meinem Leben gewesen: Verantwortung übernehmen und - bis es nicht mehr geht - einstehen für etwas. Das sind Dinge, die jeder aber für sich selbst ausmachen muss. Das Entscheidende ist, dass jemand nur dann überzeugend sein kann, beruflich wie privat, wenn seine innere Wertehaltung und gelebten Werte zu denen passen, die er in seinem Umfeld quasi trifft.“

RV: Sie haben sehr anschaulich den Begriff Werte erläutert. Welche mitmenschlichen Fähigkeiten muss ein Mensch heute haben, der ein Unternehmer besitzt, um Erfolg zu haben? Also etwas sportlich gefragt: wie kann man viel Geld verdienen und trotzdem ein guter Mensch bleiben?

Schließmann: (Lacht)…. „Sie sprechen eines der größten Paradoxen an, die es meines Erachtens gibt. Denn die Spannbreite ist sehr, sehr groß. Schauen Sie, es gibt - und ich kenne sie in meinem eigenen Berufskreis - Menschen, Unternehmer, die in ihrer Empathie, ein Begriff der hier eine Rolle spielt, sich derart stark und sozial verantwortungsvoll mit ihren Mitarbeitern identifizieren, dass sie sogar manchmal das unternehmerische Wohl hintanstellen. Ich kenne aber auch viele Unternehmensführer – und das gänzlich berechtigt – die knallhart sagen: ein Unternehmen ist keine karitative Vereinigung, ein Unternehmen ist eine Wertschöpfungsmaschine, was sie tatsächlich ist: ein Wertschöpfungsgenerator. Da gehen Inputfaktoren hinein und hinten müssen Erträge und Erfolge rauskommen. Die sagen ganz einfach: ein Mensch, ein Mitarbeiter ist ein Produktionsfaktor, der hat zu funktionieren. Der hat das zu bringen, was vertraglich mit ihm vereinbart wurde. Und zwischen diesem Spannungsfeld, denke ich, muss jeder gute Unternehmenschef einem Kompromiss finden, den er mit seinen persönlichen Werten vereinbaren kann. Das Spannungsfeld eben zwischen sozialer Verantwortung, Empathie und wirtschaftlichem Erfolg so hinbringen, dass er am Ende alles in einem erreicht. Nämlich die langfristige Lebensfähigkeit und die Ertragsfähigkeit eines Unternehmens. Es hat keinen Sinn, als Arbeitgeber ein Unternehmen für eine Vielzahl von Menschen, für einen oder einige wenige seine Lebensfähigkeit und Existenz zu opfern.“

RV: Eine letzte Frage, Inwieweit kann der katholische Glauben eine Rolle spielen, auch in Ihrem  Berufszweig?

Schließmann: „Der katholische Glaube oder ganz generell der christliche Glaube verbindet Werte, Grundwerte, wo ich immer wieder denke, oft sind die 10 Gebote oder die Grundwerte eines Glaubens, nämlich Mitmenschlichkeit, Miteinander, gemeinsam Verantwortung tragen, auch für den andern, - ich brauche da gar nicht sehr viele Gesetze oder sehr viele Spielregeln – wenn jeder christliche Grundwert verbindet, mit seinem täglichen Dasein und immer wieder sich fragt: trage ich noch in meiner persönlichen Werteskala Verantwortung zum Wohle des Ganzen bei, dann ist er schon auf den richtigen Weg. Das braucht gar keine enge Frage von katholisch oder christlich zu sein. sondern das ist für mich eine Grundeinstellungs-Frage, wie jemand durchs Leben geht.“

 

(rv 07.08.2016 ap)

 








All the contents on this site are copyrighted ©.