Die Katastrophe von Auschwitz - die Shoah - führte vor allem in den 1980er und
90er Jahren zu einer tiefen Erschütterung in der katholischen Theologie. Unter dem
Schlagwort der „Theologie nach Auschwitz“ wurde die bekannte Frage nach Gott und dem
Leiden (Theodizee) neu kontextualisiert und radikalisiert. Angesichts der Monstrosität
von Auschwitz könne man von Gott nurmehr unter Verzicht auf das Prädikat seiner Allmacht
sprechen, lautete etwa eine prominente Position des Philosophen Hans Jonas. Der Wiener
Dogmatiker Jan-Heiner Tück plädiert nun vehement für die bleibende Relevanz der „Theologie
nach Auschwitz“ in der akademischen Theologie.
Es sei wichtig, die Fragen nach dem Nicht-Eingreifen Gottes in dieser geschichtlich
singulären Katastrophe ernst zu nehmen, „weil es heute wieder Tendenzen gibt, die
hinter diese Lernprozesse zurückgehen, gerade im erzkonservativen Spektrum des Katholizismus“,
betonte Tück in einem ausführlichen Interview mit dem Deutschlandfunk am Dienstag.
In diesem Kontext könne etwa die Kehrtwende des Konzilsdokuments „Nostra Aetate“ mit
seiner Absage an jede Form des Antisemitismus gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden,
so der an der Universität Wien lehrende Dogmatiker. So habe das Dokument „Anstöße
gegeben, die antijudaistischen Spuren in der eigenen Tradition aufzuarbeiten, und
vor allem angeregt, nicht nur das Judentum als vergangene Größe, sondern auch als
heutigen Dialogpartner in den Blick zu nehmen“.
Gerade angesichts der wieder virulent werdenden Auseinandersetzungen mit der Piusbruderschaft
habe die katholische Kirche heute „allemal Grund, sich die blinden Flecken spiegeln
zu lassen und daraus zu lernen“. Schließlich sei auch in der Theologie das Phänomen
feststellbar, dass antisemitisches Gedankengut wieder salonfähig werde. „Und da muss
eine Theologie, die die Erinnerung an Auschwitz wachhält, zugleich ein waches, moralisches
Sensorium entwickeln, um hier auch direkt zu intervenieren.“
Zu den „klassischen“ Antworten im Diskurs einer „Theologie nach Auschwitz“ gehört
laut Tück etwa der Versuch Hans Jonas', Gott als ohnmächtig zu denken. Mit der Schöpfung
habe sich Gott seiner Allmacht und seines Zugriffs auf die Schöpfung entschlagen -
mit der Folge, dass er auch bei den größten Katastrophen tatenlos zusehen müsse. In
einer zeitgemäßen katholischen „Theologie nach Auschwitz“ führe eine solche Aussage
jedoch laut Tück nicht weiter, da man ansonsten die Täter dauerhaft über die Opfer
triumphieren lasse - eine aus Sicht katholischer Soteriologie unhaltbare Position.
Tück hingegen plädiert für eine christologische, gleichwohl zurückhaltende, also nicht
triumphalistische Deutung des Kreuzesgeschehens: „Die Passion Jesu hat ein ganzes
Ensemble an Motiven, die mir in dem Zusammenhang wichtig erscheinen“. So etwa das
„Motiv der Compassion“, d.h. der Mitleidenschaft Gottes mit dem sterbenden Jesus.
Darin spiegele sich zugleich auch „die Schattenseite verfehlter Freiheit“.
Insgesamt lehre der jüdische Einspruch und die jüdische Anklage, die etwa prominente
Holocaust-Überlebende wie der unlängst verstorbene Elie Wiesel vorgebracht hatten,
dass man sich als Christ vor jeder „überaffirmativen Beantwortungstheologie“ hüten
müsse, so Tück. Dies habe das Christentum tatsächlich vom Judentum gelernt – „dass
quasi mit Christus nicht alle Fragen beantwortet sind“.
(kap 12.07.2016 sk)
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