2016-07-12 16:54:00

Österreich: „Theologie nach Auschwitz“ muss präsent bleiben


Die Katastrophe von Auschwitz - die Shoah - führte vor allem in den 1980er und 90er Jahren zu einer tiefen Erschütterung in der katholischen Theologie. Unter dem Schlagwort der „Theologie nach Auschwitz“ wurde die bekannte Frage nach Gott und dem Leiden (Theodizee) neu kontextualisiert und radikalisiert. Angesichts der Monstrosität von Auschwitz könne man von Gott nurmehr unter Verzicht auf das Prädikat seiner Allmacht sprechen, lautete etwa eine prominente Position des Philosophen Hans Jonas. Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück plädiert nun vehement für die bleibende Relevanz der „Theologie nach Auschwitz“ in der akademischen Theologie.
 

Es sei wichtig, die Fragen nach dem Nicht-Eingreifen Gottes in dieser geschichtlich singulären Katastrophe ernst zu nehmen, „weil es heute wieder Tendenzen gibt, die hinter diese Lernprozesse zurückgehen, gerade im erzkonservativen Spektrum des Katholizismus“, betonte Tück in einem ausführlichen Interview mit dem Deutschlandfunk am Dienstag. In diesem Kontext könne etwa die Kehrtwende des Konzilsdokuments „Nostra Aetate“ mit seiner Absage an jede Form des Antisemitismus gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden, so der an der Universität Wien lehrende Dogmatiker. So habe das Dokument „Anstöße gegeben, die antijudaistischen Spuren in der eigenen Tradition aufzuarbeiten, und vor allem angeregt, nicht nur das Judentum als vergangene Größe, sondern auch als heutigen Dialogpartner in den Blick zu nehmen“.

Gerade angesichts der wieder virulent werdenden Auseinandersetzungen mit der Piusbruderschaft habe die katholische Kirche heute „allemal Grund, sich die blinden Flecken spiegeln zu lassen und daraus zu lernen“. Schließlich sei auch in der Theologie das Phänomen feststellbar, dass antisemitisches Gedankengut wieder salonfähig werde. „Und da muss eine Theologie, die die Erinnerung an Auschwitz wachhält, zugleich ein waches, moralisches Sensorium entwickeln, um hier auch direkt zu intervenieren.“

Zu den „klassischen“ Antworten im Diskurs einer „Theologie nach Auschwitz“ gehört laut Tück etwa der Versuch Hans Jonas', Gott als ohnmächtig zu denken. Mit der Schöpfung habe sich Gott seiner Allmacht und seines Zugriffs auf die Schöpfung entschlagen - mit der Folge, dass er auch bei den größten Katastrophen tatenlos zusehen müsse. In einer zeitgemäßen katholischen „Theologie nach Auschwitz“ führe eine solche Aussage jedoch laut Tück nicht weiter, da man ansonsten die Täter dauerhaft über die Opfer triumphieren lasse - eine aus Sicht katholischer Soteriologie unhaltbare Position.

Tück hingegen plädiert für eine christologische, gleichwohl zurückhaltende, also nicht triumphalistische Deutung des Kreuzesgeschehens: „Die Passion Jesu hat ein ganzes Ensemble an Motiven, die mir in dem Zusammenhang wichtig erscheinen“. So etwa das „Motiv der Compassion“, d.h. der Mitleidenschaft Gottes mit dem sterbenden Jesus. Darin spiegele sich zugleich auch „die Schattenseite verfehlter Freiheit“.

Insgesamt lehre der jüdische Einspruch und die jüdische Anklage, die etwa prominente Holocaust-Überlebende wie der unlängst verstorbene Elie Wiesel vorgebracht hatten, dass man sich als Christ vor jeder „überaffirmativen Beantwortungstheologie“ hüten müsse, so Tück. Dies habe das Christentum tatsächlich vom Judentum gelernt – „dass quasi mit Christus nicht alle Fragen beantwortet sind“.

(kap 12.07.2016 sk)








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