2016-06-27 11:53:00

Kolumbien: Bei Fussball wird mehr gejubelt


Der Friedensprozess in Kolumbien ist in einer heiklen, aber doch erfolgversprechenden Phase angekommen. Das sagte die Kolumbien-Expertin des deutschen bischöflichen Hilfswerks Adveniat, Monika Lauer-Perez, an diesem Montag in einem Interview mit Radio Vatikan. Der vor ein paar Tagen feierlich unterzeichnete Waffenstillstand zwischen der Regierung und den FARC-Rebellen sei sicher ein wichtiger Schritt. „Auf der anderen Seite, kann man natürlich sagen, ist ein Waffenstillstand fast die Minimalvoraussetzung dafür, dass es überhaupt an den Aufbau von Frieden gehen kann. Denn Frieden ist ja ein Prozess, der langsam konstruiert werden muss, und da müssen sehr viel mehr Akteure beteiligt werden als nur diese beiden, die jetzt den Waffenstillstand unterschrieben haben.“

Damit zielt Lauer-Perez zum einen auf die zweitgrößte Guerillagruppe ELN. Aber nicht nur: „Es gibt noch eine kleinere, alt-neue Guerilla namens EPL. Vor einiger Zeit ist deren Kommandant ermordet worden, und man hatte gedacht, damit sei diese Guerilla ausgeschaltet, aber sie ist in letzter Zeit in bestimmten Regionen des Landes doch wieder stärker geworden.“ Außerdem gebe es noch „Reste“ von paramilitärischen Gruppen, die 2006 demobilisiert worden sind – aber nicht vollständig. Hinzu komme das organisierte Verbrechen, „bewaffnete Akteure, die noch viel zur Gewalt in Kolumbien beitragen.“

Dennoch, das Grundsignal in Kolumbien sei mittlerweile doch auf „Frieden“ gestellt, so die Expertin. „Zunächst einmal ist ein Bewusstsein dafür geweckt, dass Konflikte nicht nur mit Waffen oder mit Gewalt gelöst werden können, sondern dass das eben auch am Verhandlungstisch geht. Und ich glaube, das ist ein ungemein wichtiges Signal in dieser Gesellschaft, wo man jahrzehntelang nichts anderes kannte, als eben Konflikte mit Gewalt zu lösen.“

Die katholische Kirche Kolumbiens spielt nach Lauer-Perez‘ Einschätzung „eine wichtige Rolle“ im Friedensprozess – und das, obwohl sie bei den offiziellen Verhandlungen, die in der kubanischen Hauptstadt Havanna stattfinden, gar nicht mit am Tisch sitzt. „Man hatte sie am Anfang vor fast vier Jahren gebeten, mit an den Verhandlungstisch zu kommen, was sie aber abgelehnt hat – klugerweise, muss man sagen. Sie hat gesagt: Wir stehen bereit für die Momente, in denen es schwierig wird. Dann werden wir dafür sorgen, dass die Verhandlungen nicht abgebrochen werden. Da war sie einige Male gefordert, tatsächlich dazu beizutragen, dass die Verhandlungen weitergingen und nicht die Beteiligten aufgestanden sind mit den Worten: Das hat alles keinen Sinn!“

Eine zweite Aufgabe der Kirche während des Prozesses bestand darin, sechzig repräsentative Opfer auszuwählen und nach Havanna zu begleiten. Opfer, die den Regierungsvertretern wie den FARC-Rebellen ihr Leiden geschildert haben. Auch jetzt arbeite die Kirche weiter mit den Opfern des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zusammen; ihr gehe es darum, „die Erfahrungen zu systematisieren und nutzbar zu machen auch für andere Momente“.

Dass die Kirche hinter dem Friedensprozess stehe, sei für die Gesellschaft sehr wichtig. „Es ist ja tatsächlich so in Kolumbien: Da, wo gar nichts mehr ist und wo auch der Staat nicht mehr präsent ist, da ist dennoch die Kirche da. Da gibt’s eine Kapelle und einen Priester; überall ist jemand von der Kirche vor Ort und arbeitet im Sinne des Friedens mit der lokalen Bevölkerung.“

Eine wichtige grassrouts-Arbeit – auch deswegen, weil der Friedensprozess durchaus noch seine lautstarken Skeptiker hat. Vor allem in den großen Städten: Bogotà, Medellin, Cali. „Es gibt Menschen, die behaupten, (Präsident) Santos hätte den Rechtsstaat verraten mit seiner Annäherung an die FARC. Man muss aber dazu sagen, dass diese Skeptiker fast ausnahmslos Menschen sind, die nicht dort leben, wo die Gewalt am heftigsten ist.“

Kleine Beobachtung am Rande: Der Jubel in Kolumbien sei größer, wenn die Nationalmannschaft ein wichtiges Fussballspiel gewinne, als wenn Regierung und Rebellen einen Waffenstillstand unterzeichnen, so Lauer-Perez. Trotzdem sei mit diesem Waffenstillstand „doch ganz viel Hoffnung verbunden“.

Von Rom aus verfolgt der lateinamerikanische Papst Franziskus den Friedensprozess in Kolumbien mit grossem Interesse. Das wurde an diesem Freitag einmal mehr deutlich. Auf dem Hinflug nach Armenien sagte der Papst, er sei „glücklich“ über das Waffenstillstandsabkommen: „Und das nach fünfzig Jahren Krieg, Guerilla und so viel vergossenem Blut!“ Er hoffe, dass die Länder, die den Friedensprozess begleiten, „ihn auch abschirmen, damit man nicht mehr zu einem Kriegszustand zurück kann“, so Franziskus.

(rv 27.06.2016 sk)








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