2016-06-19 08:15:00

Sebastian Castellio - Wirren der Reformation


Sebastian Castellio war in der Reformationszeit der große Gegenspieler von Johannes Calvin. Der protestantische Pfarrer Ueli Greminger in St.Peter in Zürich geht  in seiner auf Fakten basierenden Studie der Aktualität Castellios – einem unerschrockenen Vorkämpfer für religiöse Toleranz und mutigen Wegweiser der Menschenrechte -  

 
*Herr Pfarrer Greminger – mit Ihrem jüngsten literarischen Werk haben Sie Sebastian Castellio aus der allgemeinen Vergessenheit gehoben. Welche waren nun in der Rückschau die markanten Merkmale dieses ungewöhnlichen Mannes aus der Reformationszeit?
 
Sebastian Castellio war ein äussert begabter und fleissiger Gelehrter, der geprägt war vom Geist der Renaissance. Als Pädagoge verfasste er als erster biblische Dialoge für seine Lateinschüler nach dem Vorbild der vertraulichen Gespräche des Erasmus von Rotterdam. Im Geist des Humanismus war er Zeit seines Lebens daran, die Heilige Schrift zu übersetzen und sich für einen zeitgemässen Glauben einzusetzen. Es war seine feste Überzeugung, dass nur ein freier Glaube den Menschen ihre Würde gibt und ein friedliches Zusammenleben fördert.
Sebastian Castellio hatte die besondere Gabe, komplexe Zusammenhänge ganz einfach zu formulieren, zB. “Jesus ist der Sohn Gottes, die Vernunft ist die Tochter Gottes.” Wie viel er sagt mit dieser einfachen Aussage!
 
*Sebastian Castellio war ursprünglich ein Bewunderer des kühnen und scharfsinnigen Denkers und Predigers Johannes Calvin. Wie kam es, dass die beiden eines Tages sich als erbitterte Gegener genüberstanden?
 
Johannes Calvin hatte die pädagogische Begabung Sebastian Castellios erkannt und ihn zum Schulleiter nach Genf berufen. Schnell wird er dann realisiert haben, dass Castellio theologisch ganz anders dachte als er selber. Castellio stellte sich Gott ganz als Güte vor. Die Menschen sollen lernen, Gott und die Menschen so zu lieben, wie er es tut. Sie sollen Grossmut üben und verzeihen, wie Jesus es vorgelebt hat. Der schlichte Glaube an die Güte Gottes führte ihn dazu, im militanten Glauben das Übel seiner Zeit zu sehen. Die Medizin gegen dieses Übel entdeckte er im kritischen Denken. Er prägte dafür den Begriff der Kunst des Zweifelns. Es gilt die Erkenntnis, dass aus dem Nicht-Zweifeln dort, wo der Zweifel angebracht wäre, ebensoviel Übel entsteht, wie aus dem Unglauben dort, wo man glauben müsste. Für Johannes Calvin war das kritische Denken ein Zeichen von Schwäche.  In seinen Augen stellte der Zweifel stellte Einheit der Doktrin in Frage. In schwierigen Zeiten – und die Zeiten in der Mitte des 16.Jahrhunderts waren schierig - denken wir an den beginnenden Bürgerkrieg in Frankreich – wurde das einheitliche Denken und die Kirchenzucht bei den Reformierten vor allem  in Genf immer wichtiger.

*Die Auseinandersetzung der beiden Reformatoren, Castellio und Calvin, eskalierte also nach der vor den Toren Genfs erfolgten Verbrennung von Michael Servetus als Ketzer. Calvin rechtfertigte diese Hinrichtung, Castellio hingegen verurteilte sie scharf setzte sich für ein allgemeines Verbot der Todesstrafe ein. Für die damalige Zeit ein großer Schritt nach vorne, Er argumentierte: “Einen Menschen töten, heißt nicht, eine Lehre zu verteidigen, sondern einen Menschen zu töten”.  Durch die mutige Fürsprache für Servetus und andere Ketzer wurde Castellio Calvin so verhaßt, dass Calvin ihn sogar als “Werkzeug des Satans” bezeichnete und folglich die Schriften Castellios verbot. War religiöse Toleranz für Johannes Calvin ein absolutes Fremdwort?
 
Nein. In den Anfängen war Calvins Theologie durchaus humanistisch geprägt. In der ersten Fassung der zentralen Schrift von Johannes Calvin, der Institutio religionis christianae, kommt die Toleranz Andersdenkender gegenüber vor. Das hatte Sebastian Castellio dazu bewogen, sich mit Calvin zu verbünden. Es waren dann die politischen Umstände in Genf, die den ursprünglich humanistischen Theologen Johannes Calvin formten und seine Theologie und seine Kirchenpolitik militant machten. Ich habe es in meiner Schrift so formuliert. Es sind Gedanken, die sich Castellio auf der Flucht aus Genf macht:  Er hatte seine ganze Hoffnung in Johannes Calvin gesetzt.       Er wollte sich neben ihm behaupten, nicht gegen ihn. Mit ihm zusammen wollte er in Genf dem neuen Glauben Gestalt geben. Er wollte Calvin vom 3.Weg überzeugen von der Toleranz, von der Milde. Calvin hatte einst darüber geschrieben. Es war seine erste Schrift gewesen. De clementia. Die Milde ist die Haltung, die Jesus em ehesten entspricht. Darauf allein kommt es an. Er hatte Calvin einmal daran erinnert. “Wo ist die Milde geblieben, worüber du doch einst geschrieben hast? Hast du sie vergessen?” Was hatte Calvin geantwortet? “Milde ist schon recht, wenn das Wetter gut ist. Aber bei Wind und Sturm braucht es einen Glauben, der kräftiger ist, der die Gemeinde zusammenschweisst.”
Wie Schuppen war es Sebastian Castellio von den Augen gefallen. Er hatte sich in Calvin getäuscht. Er war auf dem Weg der militanten Reform.
 
*Castellios Ideen von Toleranz und Religionsfreiheit hatten in der Folgezeit einen großen Einfluss auf die frühe Aufklärung und auch auf den Humanismus im allgemeinen. Langsam aber immer mehr stellte sich heraus, dass Sebastian Castellios nach seinem frühen Tod – er starb mit 48 Jahren - immer mehr aus dem Schatten Calvins heraustrat. Gibt es eine moderne Zeitperiode, die mit den Gegensätzen der beiden Reformatoren, Calvin und Castellio, irgendwie vergleichbar wäre? Ich denke dabei zum Beispiel an die unterschiedliche Islamische Welt ?
 
Die Katholiken und die Reformierten sind gleich weit von Gott entfernt, wenn sie Hass und Gewalt predigen und zu den Waffen greifen, um ihre Glaubensbrüder zu töten.”  So lautet die Diagnose von Sebastian Castellio. Nach 500 Jahren ist diese Diagnose immer noch wahr. Sie betriftt allerdings nicht mehr das Verhältnis zwischen den Katholiken und den Reformierten. Gott sei Dank sind die schrecklichen Zeiten der Konfessionskriege des 16. und im 17.Jahrhunderts vorbei. Wie Sie es erwähnten aber gibt es auch in unserer Zeit ganz schreckliche Religionskriege in der islamischen Welt, dabei die verschiedenen religiösen Parteien eine traurige Rolle spielen. Aber seien wir nicht vorschnell. Es gibt die Militanz nach wie vor auch bei den Christen. Diese äussert sich nicht nur im religiösen Fanatismus und im blinden Glauben. Gehen wir einen Schritt weiter. Denken wir an die Bergpredigt. Militanz beginnt nicht nur bei den anderen. Jesus lehrt uns, zuerst den Balken aus dem eigenen Auge zu ziehen, um dann den Splitter aus dem Auge des Bruders zu entfernen.
 
*Wie war die Einstellung und Beurteilung der neben Calvin anderen maßgebenden Gestalten der Reformation gegenüber Sebastian Castellio?Waren sie dem Beispiel von Johannes Calvin gefolgt und stimmten mit
ihm überein oder hatten sie eine tolerantere Einstellung zu Johannes Castellio?

Martin Luthers Gefährte, der grosse Humanist Philipp Melanchthon hat Sebastian Castellio einmal einen rührenden Brief geschrieben. Darin anerkennt er seine Schriften und seinen Einsatz für den Religionsfrieden.      Er schreibt in seinem Brief auch, dass er Castellio gerne persönlich kennenlernen möchte. Prompt wurde er von Johannes Calvin zurückgepfiffen. Melanchthon hat sich nie mehr bei Castellio gemeldet. Das war bitter für Castellio. Da wird ihm so richtig bewusst geworden sein, dass er in den Reihen seiner Kirche keinen Platz mehr hat.

*Die historische Bedeutung von Castellio wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt, Kein geringerer als Stefan Zweig verarbeitete Castellios Auseinandersetzung mit Calvin in seinem 1936 erschienenen Roman: “Ein Gewissen gegen Gewalt”. Für ihn war Sebastian Castellio ein Held und er rühmt ihn als “Unbekannten Soldaten”. Inwieweit deckt sich Ihr jüngsten Werk über Castellio, Herr Greminger, mit den Gedanken diesen großen österreichischen Schriftstellers?
 
Ich war durch Stefan Zweigs Essay auf Sebastian Castellio gekommen. Der jüdische Schriftsteller hatte beim Humanisten Castellio etwas entdeckt, das ihm so sehr imponierte, dass dieser sein Vorbild im Kampf gegen die Barbarei des Nationalsozialismus wurde. Es war die Verbindung von kritischem Denken und von Frömmigkeit, was Überzeugung und Widerstandskraft gibt. Ich habe meiner Schrift über Castellio die Worte vorangestellt, ich finde, sie bringt seine Haltung auf den Punkt: “Die Wahrheit leben und sie so sagen, wie man sie denkt, kann niemals ein Verbrechen sein.” Leider hat man Stefan Zweig seine Schrift über Castellio verübelt, weil er Calvin in düsteren Farben schilderte und das ausgerechnet in dem Jahr, da die reformierte Welt das Calvin Jubiläum feierte. Allerdings wäre es wohl sinnvoller gewesen, statt im Jahr 1936 Johannes Calvin zu feiern, sich die Haltung von Sebastian Castellio zu vergegenwärtigen.In meiner Schrift folge ich der Spur von Stefan Zweig. Meine Kirche hat in Hinsicht auf Johannes Calvin und Sebastian Castellio noch einiges zu lernen. Mit meiner Schrift will ich dazu beitragen.
 
*Was ist nun Bemerkenswertes zu sagen über das bürgerliche Leben des Basler Humanisten Sebastian Castellio: er stammte ja von einer einfachen Bauernfamilie ab, im Unterschied zu seinem Widersacher Johannes Calvin. Er war sehr sprachbegabt und übersetzte – neben vielen anderen Schriften die Bibel ins Französische und Lateinische. Wie verlief sein eher kurzes weltliches Dasein- und wo liegt er begraben?
 
Im Exil in Basel lebte Sebastian Castellio in bitterer Armut . Er trug Wasser, fischte, betrieb einen Gemüsegarten. Gelegentlich konnte er beim Buchdrucker Johannes Oporin aushelfen. Er hatte eine grosse Familie zu ernähren. Dann bekam er doch noch eine Anstellung als Griechischprofessor an der Universität von Basel. Gleichzeitig wurde er von der Kirche zunehmend bespitzelt. Kurz vor seinem Tod  wurde er beim Basler Rat wegen Holzdiebstahl verleumdet.
Immerhin wurde er, wie dies bei Universitätsprofessoren üblich war, im Kreuzgang des Basler Münsters in allen Ehren begraben. Drei polnische Studenten stifteten eine Grabtafel, die jedoch einige Jahre später entfernt – und bis auf den heutigen Tag nicht ersetzt wurde.  

*Zum Abschluß, Herr Greminger: Ist die Welt seit Castellios Kampf  gegen Intoleranz und Meinungszwang besser geworden? Was ist von diesem außergewöhnlichen Mann geblieben, der von Calvin verstoßen, aber viele seiner Zeitgenossen nicht nur als einen der edelsten, sondern auch der gelehrtesten Männer seines Jahrhunderts gerühmt hatten?
 
Wissen Sie, gerade lese ich das Buch von Antoine Leiris mit dem Titel: „Ihr bekommt meinen Hass nicht.“  Antoine Leiris hat bei den Anschlägen im vergangenen November in Paris seine Frau verloren.  In seiner Verzweiflung, wandte er sich auf Facebook in einer Art offenem Brief an die Männer, von denen sie getötet wurde. Seine Wort bewegen die Menschen zurecht. Sie enthalten eine besondere Stärke. Er weigert sich, sich von der Militanz des Terrors anstecken zu lassen. Nein. Die Welt ist nicht besser geworden. Aber es gibt sie Gott sei Dank immer noch, diese Haltung: “Ihr bekommt meinen Hass nicht.” Dieses starke Wort des traurigen Antoine Leiris erinnert mich an Sebastian Castellio. In seinem schweren Leben voll von Verfolgung und Gewalt gelang es ihm, eine starke Haltung zu entwickeln und zu formulieren zB. “Je besser man die Wahrheit kennt, desto weniger  neigt man dazu, andere zu verurteilen.”  Was mich persönlich an Sebastian Catellio immer mehr fasziniert, er konnte verbinden, was uns heute kaum mehr so richtig gelingt: er war ganz kritisch und ganz fromm.

*Am 29. Dezember 1563, genau 35 Tage nachdem er seine Verteidigung dem Basler Rat übergeben hatte, starb Sebastian Castellio im Alter von 48 Jahren. Die genauer Todesursache ist nicht bekannt. Von diesem Tag an hüllte sich Johannes Calvin in Schweigen. Nur wenige Monate nach Castellio starb auch er. Sebastian Castellio hinterließ acht Kinder aus zwei Ehen. Sein jüngster Sohn Friedrich, der bei seinen Tod erst ein Jahr alt war, wurde später Professor der Rhetorik an der Universität Basel.
 
Aldo Parmeggiani
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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