2016-06-16 11:49:00

Neue Studie: Integration aus Sicht von Muslimen


Das Bild ging um die Welt: Mesut Özil, Fußballer der deutschen Nationalelf, steht mit ernster Miene und weißem Pilgergewand in Mekka. Die Herkunft deutscher Nationalspieler war in den vergangenen Wochen Dauerthema, doch das Bild von Özil zeigt: Junge Muslime in Deutschland gehen selbstbewusst mit ihrem Glauben und ihrer Herkunft um. Das ist auch das Ergebnis einer neuen Emnid-Umfrage des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster mit türkeistämmigen Muslimen, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach fühlen sich die meisten Türkeistämmigen in Deutschland wohl, rund die Hälfte aber sozial nicht anerkannt. Dabei kann Integration nur gelingen, wenn Herkunft und Anpassung miteinander einander einhergehen, so der Leiter der Studie, Religionssoziologe Detlef Pollack im Gespräch mit Radio Vatikan.

Für die Umfrage „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ wurden gut 1.200 Zuwanderer aus der Türkei und ihre Nachkommen ab 16 Jahren befragt. Die Befragten der ersten Generation leben im Durchschnitt seit 31 Jahren in Deutschland. 40 Prozent der Befragten wurden in Deutschland geboren.

Auffallend ist, dass die 2. und 3. Generation der Türkeistämmigen einerseits bewusster und reflektierter mit der eigenen Religion umgeht und sich in diesem Punkt schärfer von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzt. Zugleich nehme die religiöse Alltagspraxis mit regelmäßigen Gebeten und Moscheebesuchen bei den jüngeren Muslimen eher ab, weiß Detlef Pollack:

„Man trägt den Islam gewissermaßen vor sich her, man versteht sich als Muslim oder Muslima, obwohl man den Islam nicht so häufig und intensiv praktiziert wie die Älteren.“

Zugleich gibt es nach der Umfrage einen beträchtlichen Anteil an islamisch-fundamentalistischen Einstellungen, die schwer mit den Prinzipien moderner Gesellschaften zu vereinen sind. 47 Prozent halten die Befolgung der Islam-Gebote für wichtiger als die deutschen Gesetze. Der Anteil derer mit verfestigtem fundamentalistischem Weltbild liege bei 13 Prozent. Allerdings sieht das Forscherteam eine abnehmende Popularität dieses Weltbilds bei der jüngeren Generation Türkeistämmiger.

„Sofern die Integration weiter gut verläuft, würde ich sagen, kann man damit rechnen, dass fundamentalistische Einstellungen sich rückläufig entwickeln, aber es hängt wirklich davon ab, ob man der deutschen Sprache mächtig ist, ob man Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft hat und in den Arbeitsmarkt integriert ist.“

Ein weiterer Punkt spielt mit hinein, nämlich das Gefühl, ob man sich in seiner Herkunft und religiösen Identität anerkannt fühlt. Zwar fühlten sich nur wenige Türkeistämmige tatsächlich diskriminiert, aber oft in ihrem Anderssein von der Mehrheitsgesellschaft nicht wertgeschätzt. Der Mangel an sozialer Anerkennung führe zu einer teilweise vehementen Verteidigung des Isla. Im scharfen Gegensatz zur Haltung der Mehrheitsbevölkerung schreiben die Türkeistämmigen dem Islam vor allem positive Eigenschaften wie Solidarität, Toleranz und Friedfertigkeit zu. Auch haben Muslime wiederum ähnlich wie die Mehrheitsgesellschaft ein deutlich positiveres Bild vom Christentum.

Wenn diese Anerkennung der kulturellen Unterschiede nicht gegeben sei, verstärkten sich fundamentalistische Tendenzen, so Pollack. Einfach gesagt, verhärten sich die Fronten, je stärker die Vorurteile werden. Erst am Mittwoch wurde an der Universität Leipzig eine Studie vorgestellt, die auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft eine zunehmende Ablehnung von Muslimen, Asylsuchenden sowie Sinti und Roma feststellt. 

„Wir müssen nach beiden Seiten argumentieren. Also die Mehrheitsgesellschaft muss mehr Verständnis aufbringen, für die Integrationsprobleme offener sein. Auf der anderen Seite müssen wir auch feststellen, dass es auch beachtliche fundamentalistische Tendenzen innerhalb der muslimischen Bevölkerung gibt und auch darüber muss auch gesprochen werden. Und das ist eine Anfrage an die Muslime selbst, damit muss man sich in den muslimischen Gemeinden selbstkritisch auseinandersetzen.“

Das Forscherteam rät Politik und Zivilgesellschaft dringend dazu, mehr Kontakte zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu fördern. Ob in Sportvereinen, Schulen, Bildungshäusern, Kirchen- oder Moscheegemeinden. Sie sollten sich treffen, gemeinsam aktiv werden, vorurteilsfrei diskutieren oder feiern. Signale mangelnden Respekts und verweigerter Anerkennung seien zu vermeiden, so die Wissenschaftler.

„Auf der einen Seite möchten sich die Türkischstämmigen anpassen, aber gleichzeitig auch zu eigenen Herkunftskultur stehen können. Und das ist in der Tat eine Botschaft an die AfD. Und zwar insofern als dort diese beiden Aspekte auseinanderdividiert werden. Man tut so, als ob man sich nur anpassen könnte, indem man die eigene Herkunftsprägung ablegt. Und das ist Unsinn. Man muss sehen, dass es eine enorme Leistung ist, sich zu integrieren. Das kann aber nur in dem Maße gelingen, wie man die eigene Herkunftsprägung und Religiosität in der Lage ist zu integrieren, mitzunehmen, zu akzeptieren und nicht einfach die über Bord zu werfen. Das ist eine falsche Erwartung.”

Auch angesichts der aktuellen Einwanderung muslimischer Flüchtlinge nach Deutschland könnte die Studie hilfreich sein. Konzipiert wurde sie im Vorfeld der Flüchtlingskrise; im Zuge der Entwicklungen im vergangenen Jahr wurden aber auch Syrischstämmige Muslime in Deutschland befragt. Die Ergebnisse sollen alsbald mit denen der aktuellen Emnid-Umfrage verglichen werden.

(rv 16.06.2016 cz)








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