2016-05-07 08:00:00

Der Zaun - An den Grenzen Europas unterwegs


Der Kontinent, der über das Fallen der Mauern jahrzehntelang so stolz war, spricht nun über seine Grenzen, über neue wie alte. Die Flüchtlingskrise hat ihnen neue Aufmerksamkeit geschenkt und Politiker meinen, nur so Land und Wohlstand verteidigen zu können, Österreich hat sogar ein Gesetz gemacht, in dem das Wort „Notstand“ vorkommt. Noch sind die Grenzen fern und wir kennen nur die Bilder von dort. Aber immer wieder gibt es Journalisten, die sich die Lage genauer ansehen und die Menschen dort treffen. Einer, der das so ausführlich gemacht hat wie wenige, ist Dietmar Telser. 2014 hat er gemeinsam mit einem Fotografen die Außengrenzen Europas, dort wo die Flüchtlinge ankommen und oft genug stranden, bereist.

„Die Idee kam mir bei einer Recherche, die ich 2012 unternommen habe“, berichtet Telser im Gespräch mit Radio Vatikan. Er war damals in den Ländern des arabischen Frühlings unterwegs und wollte darüber berichten, wie sich die Länder entwickelt hatten. „Ich reiste quer durch Nordafrika und traf an den Grenzen immer wieder Menschen, die festsaßen und nicht mehr weiter kamen. Das waren schon damals syrische Flüchtlinge oder es waren Migranten aus Afrika, die den Weg nach Europa suchten.“ Zurück in Europa hat er dann die Idee für die dem Buch zugrunde liegenden Reise an die Außengrenzen Europas entwickelt. „Was wir brauchten, war sehr viel Zeit. Ich habe dafür ein halbes Jahr Auszeit genommen, und der Fotograf Benjamin Stoeß und ich haben beschlossen, dass wir einfach losreisen und die Routen entlang zu reisen.“ Aufschreiben was sie hören und fotografieren was sie sehen wollten sie, daraus sind die Geschichten von den Menschen am Zaun entstanden. Zuerst war das dann online zu verfolgen, dann ist es bis in die Süddeutsche Zeitung vorgedrungen.

„Was uns sehr berührt hat waren vor allem die Szenen nach den Ankünften“, erinnert sich Telser. „Als die aus dem Meer geretteten Menschen in den Booten ankamen, das waren Momente, die einem nahe gehen, weil man in den Gesichtern der Menschen sehen konnte, was sie auf dieser Reise erlebt haben.“ Das Ganze ist nun auch als Buch erschienen, es versammelt die Geschichten und die Bilder von damals, die heute nicht viel anders, wenn nicht sogar noch dramatischer, sind. Der Untertitel lautet ‚Wo Europa an seine Grenzen stößt’.

Ob sich Europa verändern werde und wie könne er selber nicht sagen, sagt Telser, ihn interessieren vor allem die Menschen, und die Zäune veränderten die Menschen - vor allem die, die unterwegs sind. „Menschen, die scheitern, die neue Wege suchen müssen, gefährlichere Routen nehmen müssen, diese Perspektive sollte man nie vergessen.“ Die Geschichten stammen alle aus dem Jahr 2014 und der Journalist meint, dass es wichtig wäre, diese Reise bald wieder zu machen. Zynisch könnte man sagen, dass die Reise an die Zäune Europas heute nicht so lange dauern würde, die Zäune sind ja näher gekommen. Wichtig sei es, die Reise dann zu machen, wenn nicht alle Medien dorthin schauten; wenn Europa wieder anfange, wegzusehen. „Es droht die Gefahr, dass das Problem wieder an die Grenzen weggeschoben wird.“ Sie hätten in allen Gesprächen mit Grenzschützern, Bürgermeistern, Aktivisten und Flüchtlingen niemanden getroffen, den die Situation gleichgültig gelassen hätte, schreibt Telser im Vorwort zum Buch. Bulgarien, Griechenland, Türkei, Italien und das Mittelmeer, Tunesien und Marokko hießen die Stationen damals, als sich das, was wir heute die Flüchtlingskrise nennen, schon abzeichnete. „Ich finde, dass es sehr, sehr wichtig wäre, gerade jetzt, wo nicht mehr so viele Journalisten dort unterwegs sind, wieder hin zu fahren und zu schauen, was jetzt passiert.“

Dietmar Telser: Der Zaun. Wo Europa an seine Grenzen stößt. Styria Premium Verlag, etwa 25 Euro.

(rv 07.05.2016 ord)








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