2016-03-31 14:43:00

Brasilien-Experte: „Die alten Eliten wollen zurück an die Macht“


Brasilien wird zurzeit von einer politischen Krise erschüttert. Der Präsidentin Dilma Rousseff droht die Suspendierung aus dem Amt, die geplante Regierungskoalition ihrer Arbeiterpartei mit der rechtsliberalen Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) ist geplatzt. Die Gesellschaft ist gespalten aus Anhängern und Gegnern von Roussef. Auch an diesem Donnerstag werden anlässlich des Jahrestags des Militärputsches vor 30 Jahren wieder Tausende Anhänger Rousseffs auf die Straße gehen. Radio Vatikan sprach mit dem Adveniat-Referenten für Brasilien, Norbert Bolte, über die wohl größte Krise des Landes seit Jahrzehnten.

Brasilien - eine Erfolgsstory?

Eigentlich war Brasilien eine Erfolgsstory. Das Schwellenland verzeichnete ein rasantes Wirtschaftswachstum, seit Luiz Inácio Lula da Silva mit seiner Arbeiterpartei die Elite der Reichen und Mächtigen durchbrach und 20 Millionen aus der Armut führte. Auch seine Nachfolgerin Dilma Rousseff konnte zunächst diesen Erfolg weitertragen und eine bemerkenswerte Sozialpolitik für das Land betreiben. Doch nun gerät sie durch die alten Eliten des Landes, aber auch durch Teile der Bevölkerung, enorm unter Druck. Angefangen hat alles mit der Fußball-WM und den Protesten. Hier hat auch Rousseff Fehler gemacht, berichtet Bolte.

„Im Nachhinein muss man sagen, da ist sicherlich einiges falsch gemacht worden. Von den Räumungen und Zwangsumsiedlungen sind auch viele unserer Projektpartner betroffen gewesen. Da hat es einen großen Aufschrei gegeben, warum so viel Geld für eine Großveranstaltung ausgegeben wird, die dem Land nur Schulden hinterlässt und die dafür sorgt, dass die Bevölkerung diese Schuldengelder noch Jahrzehnte lang zurückzahlen muss.“

Angespannte Atmosphäre am Zuckerhut

Bolte sieht einen Propagandafeldzug der Opposition - der Oberschicht - gegen die Präsidentin, die mit allen Mitteln die Regierung wieder zurückerobern wolle. Noch immer beherrsche die Elite weite Teile der Medienlandschaft, habe die Mehrheit im Kongress, beeinflusse die Justiz und den Polizeiapparat. Zu den „fragwürdigen Methoden“ der reichen Opposition gegen die Präsidentin gehört auch das Amtsenthebungsverfahren, über das Mitte April abgestimmt werden soll. Dabei hätten sie und ihr Vorgänger keine großen Fehler gemacht, findet Bolte. „Ihnen selbst ist aber kein Fall von Korruption nachgewiesen worden. Dennoch wird damit eine Stimmung in der Bevölkerung betrieben, mit deren Hilfe die Präsidentin aus dem Amt getrieben werden soll.“

Bolte ist gerade erst von einer Reise nach Brasilien zurückgekehrt und beschreibt die Stimmung im Land als sehr kritisch: „Ich habe die Stimmung während meiner Reise als sehr angespannt wahrgenommen. Es gibt sehr massive Zeichen von Hass, Gewalt und Bedrohungen, von Kriminalisierung von sozialen Bewegungen auch von verschiedenen Projektpartnern von uns. Viele von denen werden heute auf die Straße gehen, um für ihre demokratischen Rechte zu kämpfen, auch um für das zu kämpfen, was das Land seit dem Ende der Militärdiktatur vor 30 Jahren Positives erreicht hat. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Gesellschaft Brasiliens tief gespalten ist. Wenn sich die Opposition gegen Rousseff auf den Straßen bewegt, ist es überwiegend die Oberschicht, die dort protestiert. Während diejenigen, die sich für Demokratie und stärkere Teilhabe engagieren, sind es meist die ärmeren Bevölkerungsschichten und diejenigen, die sich damit assoziieren.“

Kirche als moralische Instanz

Die Kirche des Landes ist besorgt. Der brasilianischen Gesellschaft fehle es an ethischen und moralischen Pfeilern, erklärten Brasiliens Bischöfe. Sie riefen zu Dialog und gegenseitigem Respekt auf. Eine wichtige Stimme in dieser kritischen Situation, findet Bolte. „Die Katholische Kirche habe ich auf meiner Reise, aber auch schon davor als eine weiterhin sehr wichtige ethisch-moralische Instanz erlebt, die sich den sozialen und politischen Herausforderungen stellt und Missstände im Land ganz deutlich anklagt. Vor allen Dingen Korruption verurteilt sie vorbehaltslos. Sie sagt aber auch gleichzeitig, dass das, was nach dem Militärputsch an demokratischem und sozialem Fortschritt erreicht wurde, muss unbedingt erhalten, verteidigt und vielleicht sogar ausgebaut werden.“

 „Rio bewegt uns“ 

Ob die brasilianische Regierung aus den Fehlern während der Fußballweltmeisterschaft gelernt hat und es bei den Olympischen Spielen besser macht, bezweifelt Bolte. „Im Hinblick auf die Olympischen Spiele scheint es mir wichtig zu sagen, dass die Spiele und auch die Paralympics zwei Events sind, die die Stadt am Zuckerhut sicherlich nur für kurze Zeit in Partystimmung versetzen wird. Und viel wichtiger scheint aus der Sicht Adveniats zu sein, was können diese Spiele für die Menschen vor Ort bringen. Deswegen hat Adveniat zusammen mit Misereor und anderen Partnern vor Ort in Brasilien das Aktionsbündnis „Rio bewegt uns“ ins Leben gerufen. Dadurch sollen konkrete Lebenssituationen von den Menschen in Rio und in den Favelas in den Vordergrund gerückt werden. Projekte in Armenvierteln werden gefördert, damit man am Ende der Spiele und später in ein, zwei oder vier Jahren sagen kann, dass es außerhalb dieser Großevents auch Gewinner gibt.“

(rv 31.03.2016 cz)








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