2016-03-24 14:00:00

Österreich: Theologe warnt vor Abschottung nach Terror


Nach den jüngsten Anschlägen von Brüssel warnt der Innsbrucker Theologe und Gewaltforscher Wolfgang Palaver vor einer gesellschaftlichen Abschottung gegenüber Muslimen. Eine solche Reaktion sei fatal, so Palaver im Interview mit „Kathpress“, da es dem „Islamischen Staat“ (IS) und seiner Absicht in die Hände spiele, „die europäische Gesellschaft zu spalten“ und so immer neue Kämpfer und Attentäter zu rekrutieren. „Wenn Europa nun harsch mit Abschottung und einer massiven Einschränkung von Freiheit und Demokratie reagiert und es zu einer Steigerung der Islamophobie in den Gesellschaften kommt, hätte der IS sein Ziel erreicht“, betonte Palaver. Je angespannter nämlich das gesellschaftliche Klima werde, desto eher würde die Rekrutierung neuer Kämpfer für den IS greifen.

Anfällig für diese Rekrutierung und Radikalisierung seien laut Palaver vor allem jene Menschen, die sich biografisch in einer Sackgasse bzw. auf der „Verlierer-Straße" sähen und dafür nach Erklärungen suchten. So zeigten viele Täter-Biografien der jüngsten Vergangenheit, dass es sich bei ihnen nicht etwa um tiefgläubige Muslime handelt, sondern vielmehr um Menschen, die sich gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch als ausgegrenzt erachtet haben, dann einen Schritt in die (Klein)Kriminalität getan haben und schließlich „Opfer ideologischer Fanatiker wurden, die ihnen Identität und Selbstwert gegeben haben“.

„Politisch pervertierte Religiosität“

In diesem Kontext warnte der Leiter der Innsbrucker Forschungsplattform „Weltordnung-Religion-Gewalt" auch vor einer vorschnellen Zuschreibung der Terroranschläge als „islamischer“ oder „islamistischer“ Terror: Tatsächlich sei Religion bzw. der Islam bei den jüngsten Terror-Anschlägen wie auch jenen vom November in Paris ein „sekundärer Faktor“ bei der Radikalisierung der Täter: „Mit spirituell geprägter Religiosität hat das alles sehr wenig zu tun“, so Palaver. Religion sei vielmehr ein nachgeordneter Faktor, der bestehende Ressentiments, Aggressionen aber auch übersteigerte Identitäts-Bilder verstärke, sie aber nicht begründe. „Es handelt sich um eine stark politisch-ideologisch pervertierte Religiosität“.

Europa dürfe sich daher auch „nicht in die Sackgasse der Islamophobie treiben lassen“, warnte Palaver. Vielmehr gelte es, „die Achse zwischen den zum größten Teil moderaten Muslimen und den nicht-muslimischen Teilen der europäischen Gesellschaften zu stärken, damit die IS-Ideologie nicht zu einem Spaltpilz wird“. Auch verbiete ein geweiteter historischer Blick jede Form der Überheblichkeit: Das Christentum sei heute in einer historisch glücklicheren Lage, jedoch historisch betrachtet nicht minder anfällig für ideologische Vereinnahmungen und Legitimierungen von Gewalt, mahnte Palaver. „Religion kann politisch pervertiert werden. Davor ist keine Religion gefeit, nicht mal der Buddhismus.“

Nachbarschaft statt Radikalisierung

In Österreich stelle sich die Lage prinzipiell anders dar als Frankreich oder Belgien: Österreich trage nicht die historische Last als Kolonialmacht mit sich, so der Theologe, auch sei der Islam seit 1912 eine anerkannte Religion und somit gesellschaftliche Kraft. Dennoch gelte es „aufzupassen, dass sich nicht auch bei uns Ghettos bilden, die sich von der Gesellschaft abschotten und wo Radikalisierungen leichter greifen können“. Dagegen gelte es, eine Form neuer Nachbarschaft zu entdecken: Es räche sich ansonsten eines Tages, wenn man jahrelang nebeneinander lebe, ohne den anderen wirklich zu kennen. Hier seien auch die Kirchen gefordert, mahnte Palaver.

Als Testfall bezeichnete der Theologe in diesem Zusammenhang die aktuelle Flüchtlingskrise: So führten die Flüchtlingsströme dazu, „dass die europäischen Gesellschaften insgesamt pluraler werden“. Wie die einzelnen Gesellschaften auf diese Entwicklung reagieren, sei entscheidend: „Schaffen wir es, die Menschen zu integrieren, uns für sie wirklich zu interessieren, ihre Biografien ernst zu nehmen? – Oder blicken wir auf sie herab, grenzen sie aus und interessieren uns nicht für sie?“

(kap 23.03.2016 gs)








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