2016-03-21 13:09:00

Gedenktag an Mafia-Opfer: „Mafia geht uns alle an“


Der 21. März ist nicht nur Frühlingsanfang, sondern auch der 21. Gedenktag für die unschuldigen Opfer der Mafia in Italien. Die Anti-Mafia-Organisation „Libera“ lädt seit gut 20 Jahren an diesem Tag Angehörige der Opfer ein, um zu erinnern und zu mahnen. In Rom trafen sich am Montag auf einem von der Mafia konfiszierten Gelände zahlreiche Schulklassen mit den Angehörigen. Claudia Zeisel sprach mit einigen Schülern und Salvatore Vecchio, dem neuen Leiter des Vatikanischen Arbeitsbüros (ULSA). Auch sein Vater fiel der Mafia zum Opfer.

Es ist der 31. Oktober 1990 in Catania, Sizilien. Francesco Vecchio steigt mit einem Arbeitskollegen nach Feierabend ins Auto. Doch er kommt nicht weit. Ein Auto verfolgt ihn, dann fallen Schüsse, die beiden sind sofort tot. Die Täter entkommen, bis heute ist keiner von ihnen gefasst, geschweige denn verurteilt. Francesco Vecchio musste sterben, weil er seine Arbeit korrekt machte. In dem Stahlwerk, wo er arbeitete, trug er die Verantwortung für das Personal und die Lieferungen. In dieser Zeit änderte die Mafia ihre Strategie in der Wirtschaft. Das ganze Kapital, das sie durch kriminelle Machenschaften angehäuft hatte, wollte sie investieren - und begann die Wirtschaft und die Industrie zu unterwandern. So traf es auch die Firma, wo Francesco Vecchio arbeitete. Doch Vecchio wollte nicht wegschauen. Das sollte ihm zum Problem werden. Sein Sohn Salvatore Vecchio erinnert sich:

„Sie fingen an, uns zu bedrohen, erst riefen sie im Büro an, dann zuhause. Einmal ging ich ran. Das war ein schrecklicher Moment. Ich habe heute noch die Stimme von diesem Mann im Ohr, der mich bedrohte und sagte, wenn mein Vater sein Verhalten nicht ändere, würde er ihn und uns alle umbringen. Mein Vater beugte sich diesen Drohungen aber nicht. Denn er wusste: Wenn du einmal Ja sagst zur Mafia, beugst du dich für immer. Er hätte seine Würde als freier Mann verloren.“

Wie viele der Opfer, an die am 21. März in Italien erinnert wird, hat auch Francesco Vecchio seine Aufrichtigkeit mit dem Leben bezahlt. Sein Sohn Salvatore wartet bis heute – 26 Jahre später – auf Gerechtigkeit. Bisher vergeblich - da geht es ihm wie vielen Angehörigen von Mafia-Opfern.

„Das ist deprimierend für jemanden, der auf Gerechtigkeit hofft. Ich bin überzeugt, dass es Gerechtigkeit vor dem Herrn gibt, der über uns richten wird am Ende unseres Lebens. Dort wird es mit Sicherheit Gerechtigkeit geben. Aber meiner Mutter zu sagen, dass endlich die Wahrheit ans Licht gekommen ist über den Mord an meinem Vater, diese Genugtuung werde ich in diesem Leben wahrscheinlich nie bekommen.“

Bleibt, an die Opfer zu erinnern und weiter gegen die Mafia zu kämpfen. Seit vielen Jahren engagiert sich Vecchio in Schulen, klärt Kinder und Jugendliche auf über die Prinzipien der Mafia und was man dagegen tun kann.

„Es gibt eine Unaufmerksamkeit gegenüber dem Phänomen Mafia, die sehr schuldhaft ist. Alle denken, dass sie das Phänomen nichts angeht. Sie denken, ihr Leben kann auch weitergehen, ohne sich wirklich im Kampf gegen die Mafia zu engagieren. Weil sie denken, dass sie damit nie in Berührung kommen werden. Dabei kann das leider immer passieren. Neben all den Justizbeamten, Polizisten und Politikern, die ihr Leben für den Kampf gegen die Mafia geopfert haben, gibt es auch viele Opfer, die einfach nur ihre Arbeit gut machen wollten und ein normales Leben führen wollten. Die Mafia hat auch sie nicht verschont. Das bedeutet, dass die Mafia uns alle angeht, dem wir uns alle des Problems bewusst sein müssen. Es ist ein Phänomen, das die Gesellschaft und die Wirtschaft zerstört und Einfluss hat auf alle unsere Lebensbereiche.“

Der ehemalige Personalmanager des päpstlichen Kinderkrankenhauses Bambino Gesù traf zusammen mit anderen Angehörigen der Mafia-Opfer auch schon Papst Franziskus.

„Er hatte den Mut, die Menschen mit dieser Mentalität zu exkommunizieren. Damit hat er ein Zeichen gesetzt, das hoffentlich die ganze Kirche aufnimmt und effektiv umsetzt. Als er sich mit uns Angehörigen der Opfer getroffen hat, ist er für einen Moment einer von uns geworden, er hat unser Leid miterlebt. Und er hat uns die Hoffnung gegeben, dass die Dinge sich ändern können. Mit dieser Hoffnung gehen wir jeden Tag voran.“

Bei der Gedenkveranstaltung am Montag waren auch hunderte Schüler mit dabei. Sie lasen die Namen vor, nahmen Anteil an den Geschichten der Opfer und Familien. Manche von ihnen engagieren sich auch in ihrer Freizeit für den Kampf gegen die Mafia, so wie die 18-jährige Viola aus Rom, die in ihren Sommerferien auch mal auf von der Mafia konfisziertem Grund beim Anbau von Obst und Gemüse mithilft, dem Projekt „Libera Terra“ der Anti-Mafia-Organisation.

„Es war eine super Erfahrung, weil wir wirklich aktiv mithelfen konnten, um etwas zu ändern und auch der Organisation Libera eine Stimme zu geben. Neben den Arbeiten auf dem von der Mafia konfiszierten Land haben wir auch die Produkte verkauft. Das war eine schöne Erfahrung, weil ich da Jugendliche aus ganz Italien kennengelernt habe und wir uns austauschen konnten.“

Wichtig seien im Einsatz gegen die Mafia die Vorbilder – im Zweifel auch in der eigenen Familie, findet die 15-jährige Angelica.

„Ich habe Gott sei Dank eine Familie, die mit gutem Beispiel vorangeht. Mein Vater ist Gewerkschafter, arbeitet in der Politik. Er hat jeden Tag mit diesen Dingen zu kämpfen. Er ist für mich ein Vorbild. Nicht viele haben heute das Glück, ein solches Vorbild zu haben. Im Kleinen haben wir alle etwas damit zu tun, auch die Jugendlichen. Wir sind eben kleine Fische im großen Ozean.“

(rv 21.03.2016 cz)








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