2016-03-19 10:23:00

Syrien: „Wir brauchen echten Frieden, nicht falsche Diplomatie“


Und dann waren da noch: die Friedensgespräche für Syrien. Seit fast einer Woche finden sie in Genf statt, andere Nachrichten – etwa das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei – haben sie aus den Schlagzeilen verdrängt. UNO-Sonderbeauftragter de Mistura sieht die Kriegsparteien noch weit auseinander; immerhin seien sie sich in einem Punkt einig, nämlich dass Syrien nicht in seine Einzelteile zerfallen dürfe.

Bischof Antoine Audo kommt gerade aus Genf zurück. Der chaldäische Bischof von Aleppo ist Präsident der syrischen Caritas; er sagt im Interview mit Radio Vatikan: „Also, für uns ist allein schon die Tatsache, dass sich da auf internationaler Ebene etwas tut, eine sehr positive Sache, die uns Hoffnung macht... auch wenn ich nicht weiß, zu welchem Ergebnis das führen kann. Die zweite, wichtige Sache ist, dass wir in Syrien selbst eine leichte Verbesserung erleben: Es gibt (in Aleppo) wieder etwas Wasser und Strom, und es fallen im Moment keine Bomben. Das ist ein bisschen neu für uns, und auch das macht den Leuten Hoffnung.“

Klingt so, als müsse sich der rührige Bischof – ein Jesuit – erstmal wieder an so etwas wie Frieden, oder wenigstens Waffenruhe, gewöhnen. Allerdings, die derzeitige Lage in Syrien ist heikel, eher ein eingefrorener Krieg: Keiner kann garantieren, dass sich die Tendenz wirklich umgekehrt hat. „Es ist eine Sache, die gerade erst anfängt... aber wenn es nicht zu einer klaren Vereinbarung, zu einer politischen Lösung kommt, dann werden die Leute auch künftig das Land verlassen.“

 

Es ist erst der Anfang

Wer kann, hat Syrien längst verlassen; nur die Alten, die Schwachen, die Kranken sind noch da. Bischof Audo will auf jeden Fall in Aleppo ausharren; wenn er Nachrichten über die Flüchtlingskrise in Europa hört, dann hat er gemischte Gefühle. „Ich habe immer gesagt: Die Lösung besteht nicht darin, dass man diese Menschen aufnimmt oder nicht aufnimmt, oder dass man die Türkei dazu bringt, ich weiß gar nicht was für eine Rolle zu spielen. Die eigentliche Verantwortung bestände darin, Frieden herzustellen und den Leuten zu helfen, wieder in ihre eigenen Länder zurückzukehren, damit sie dort leben können. Das wäre die Lösung! Um das nötige Vertrauen dazu zu schaffen, muss man jetzt auf eine politische Entscheidung warten: eine Entscheidung, die hoffentlich nicht zur Zerstörung Syriens führt, indem sie aus wirtschaftlichen oder strategischen Interessen heraus, auf internationalem und regionalem Level, diesen bewaffneten Gruppen hilft.“

Wie viele Kirchenleute in Syrien gehört Audo eher auf die Seite der bisherigen Stabilität unter Machthabers Assad, die Kirchen befürchten oft ein übles Spiel der großen Mächte. Eine doch eigentlich ganz positive Entscheidung wie die der US-Regierung, die Christenverfolgung durch den „Islamischen Staat“ als Völkermord einzustufen, klopfen sie auf Hintergedanken ab. Der syrisch-katholische Erzbischof Jacques Behnan Hindo aus Hassakè-Nisibi zum Beispiel sieht in dieser US-Entscheidung „eine geopolitische Operation, die die Kategorie des Völkermords für ihre eigenen Interessen instrumentalisiert“. Da werde so getan, als seien die Christen die einzigen oder zumindest die Haupt-Opfer des „Islamischen Staats“.

 

Üble Machtspiele

„Aber diese Verrückten töten Schiiten, Alawiten und auch Sunniten, die sich ihnen nicht unterwerfen“, sagt Hindo; „die Christen sind nur eine verschwindende Minderheit unter den Toten des syrischen Konflikts.“ Die USA sprächen jetzt von Völkermord, weil die Russen durch ihr Eingreifen in Syrien in der Region an Prestige gewonnen hätten; da wollten die USA jetzt wenigstens moralisch gleichziehen, indem sie sich zu Beschützern der Christen aufwürfen.

Bischof Audo formuliert nicht ganz so scharf wie Hindo. Doch auch er sagt: „Die Großmächte sollten ehrlich zu sich selbst sein. Sie sollten nicht falsche Diplomatie betreiben, indem sie über die christlichen Minderheiten weinen, wenn sie gleichzeitig alles tun, um sie aus Syrien zu entfernen!“ Spricht man den Bischof von Aleppo auf den von den USA verwendeten „Völkermord“-Begriff an, antwortet er knapp: „Ich glaube, es besteht (für die Minderheiten) keine Gefahr (in Syrien), weil es keine Bombardements gibt. Solange Hoffnung auf eine politische Lösung besteht, gibt es weniger Gefahr. Aber ohne eine politische Lösung für Syrien werden diese Leute weiter Waffen und Geld bekommen, und dann wird es wieder Gefahr für die Minderheiten, vor allem für die Christen, geben.“ „Diese Leute“ – damit meint Audo Dschihadisten, die nach seiner Überzeugung Unterstützung aus dem Ausland, etwa aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten, erhalten.

Also was jetzt – gibt es in Syrien, oder in Teilen Syriens, im Moment eine Verfolgung von Christen und anderen Minderheiten? Da windet sich der Bischof. „Ich persönlich ziehe es vor, wenn ich von Syrien rede, nicht von Verfolgung von Christen durch Muslime zu sprechen. Das ist nicht die wirkliche Geschichte der Christen in Syrien. Die wirkliche Ursache besteht darin, dass diese bewaffneten Gruppen dazu angestiftet werden, Christen anzugreifen. Warum? Das sollte man sich fragen: Warum? Um das Land zu destabilisieren, so dass man sagen kann, es gebe keine Lösung. Das ist das Problem.“

 

(rv 19.03.2016 sk)








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