2016-03-19 10:50:00

Brasilien: „Die demokratischen Institutionen sind stabil“


Vom „Land der Zukunft“ (Stefan Zweig) zum Wackelkandidaten: Brasilien taumelt. Zu der Wirtschaftskrise – schlimmste Rezession seit über hundert Jahren – gesellt sich eine politische Krise, wie sie das Land noch nicht erlebt hat. Das Oberste Gericht hindert den früheren Präsidenten Inácio Lula da Silva daran, Stabschef seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff zu werden – damit wird es immer wahrscheinlicher, dass der frühere sozialistische Präsident wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft genommen wird. Rousseff selbst droht die Amtsenthebung. Auf den Straßen demonstrieren Hunderttausende: mal für, mal gegen die Regierung. Eine ganze politische Klasse versinkt immer tiefer in einem Korruptionssumpf, der sich mit dem Ölkonzern Petrobras verbindet.

„Wir erleben eine spezielle politische Lage“, sagt uns Kardinal Odilo Scherer von Sao Paolo – und wägt spürbar seine Worte. „Die politische Krise, die sich seit über anderthalb Jahren hinzieht, hat zu der schweren Wirtschaftskrise beigetragen, und das hat vor allem für die schwächeren Teile der Bevölkerung üble Konsequenzen... Das Problem an Lulas Ernennung (zum Stabschef) war, dass viele darin vor allem einen Trick sahen, damit sich der Ex-Präsident vor der Strenge der Ermittlungen und der Justiz in Sicherheit bringen konnte. Die Demonstrationen vieler Brasilianer sind eine Art Revolte. Aber was uns ein bisschen Vertrauen gibt, ist die Tatsache, dass unsere demokratischen Institutionen stabil sind und bisher einigermaßen gut durch diese ganze Krise gekommen sind. Auch jetzt, im schlimmsten Moment der Krise, halten diese Institutionen.“

 

Eine Art Revolte

Und was sagt nun die Kirche zu diesem politischen Durcheinander? Da reagiert der Erzbischof schmallippig. Als Papst Franziskus im Sommer vor drei Jahren in Brasilien war, gab es längst eine politisch aufgeheizte Lage, und der Papst ermunterte junge Leute explizit, sie sollten auf die Straße gehen und „Wirbel machen“, statt „vom Balkon aus zuzugucken“. So weit geht die brasilianische Kirche nicht. „Wir verfolgen die Lage und versuchen, ruhig zu bleiben und den Leuten Ruhe zu vermitteln. Das sind Momente im öffentlichen Leben, bei denen man vorsichtig, mit Ruhe, allerdings auch mit Wahrheit vorgehen muss.“

Aber dann sagt Kardinal Scherer doch noch etwas, was sich auf das Gezerre um den früheren Präsidenten Lula bezieht. „Wenn man etwas mehr Glaubwürdigkeit für die politische Klasse will und für das politische Handeln, dann muss man Klarheit schaffen, das Gesetz respektieren. Dann muss jeder vor dem Gesetz verantwortlich sein, dann darf es keine Privilegien geben.“ Die Kirche verhalte sich „ruhig“, wiederholt der Erzbischof von Sao Paolo: „Aber natürlich stehen wir gleichzeitig auf der Seite derer, die weniger Korruption fordern, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Klarheit in der Regierung, mehr Entscheidungen und mehr Respekt vor den Institutionen!“

 

(rv 19.03.2016 sk) 








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