2016-03-17 08:30:00

Poetikdozentur an der Uni Wien: „Sprachschule für Theologen“


Sibylle Lewitscharoff, Thomas Hürlimann und Nora Gomringer – alles renomierte und darüber hinaus preisgekrönte Autoren deutscher Sprache. Ab April haben sie etwas gemeinsam: Sie referieren an der Universität Wien an der Theologischen Fakultät über das Verhältnis von Literatur und Religion. Eine neue „Poetikdozentur“ an der Fakultät macht es möglich. Zum Auftakt spricht am 19. April die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff („Mit Dante über Dante hinaus. Zum Verhältnis zwischen Literatur und Religion"), es folgen am 20. Mai der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann („Der Club der Atheisten. Erfahrungen eines Klosterschülers") und am 16. Juni die Bachmann-Preisträgerin 2015, Nora Gomringer („Man sieht's. Der Gott zwischen den Zeilen der Nora G.").

Initiiert hat das Projekt Jan Heiner Tück, deutscher Dogmatikprofessor in Wien und als Autor von Werken über Paul Celan, Peter Handke und Martin Walser oder das Thema Tod in der Gegenwartsliteratur kein Fachfremder. „Poetikdozenturen gibt es im deutschsprachigen Raum sehr viele“, so Tück. „Aber keine thematisiert das Verhältnis von Literatur und Religion.“ Das sei das Neue bei diesem Projekt. Geboren worden sei es bei der Beschäftigung mit Peter Handke und Arnold Stadler, dort gebe es eine „gewisse Renaissance religiöser Spuren“, die in der Germanistik und Literaturwissenschaft bisher eher stiefmütterlich registriert werden. Ziel der Poetikdozentur sei ein interdisziplinärer Austausch und eine Überwindung von Gräben, die es zwischen Literatur, Literaturwissenschaft und Theologie noch immer gebe, so Tück. „Noch sind Literaturwissenschaft und Theologie wenig miteinander im Gespräch. Hier wollen wir einen Gegenimpuls setzen, um wechselseitige Vorbehalte auszuräumen".


„Wie Trüffelschweine"

Theologen, die sich mit Literatur befassen, neigten derzeit häufig dazu, „schöne Stellen zu suchen, gewissermaßen wie ein Trüffelschwein Literatur abzusuchen", um einen Text oder eine Predigt zu illustrieren, so Tück. Was dabei zu kurz komme, sei der Kontext. „Umgekehrt kann man bei Literaturwissenschaftlern nach wie vor eine gewisse Reserve gegenüber religiösen Themen feststellen. Das hängt teilweise mit antikirchlichen Affektlagen und der Sorge zusammen, Literatur theologisch zu funktionalisieren." Beide Haltungen gelte es aufzubrechen.

Darüber hinaus könne die Theologie viel von der Literatur lernen, zeigt sich Tück überzeugt: „Literatur rezipieren bedeutet für Theologen immer auch, in eine Sprachschule zu gehen" – schließlich gebe es in der Theologie zunehmend „verbrauchte Vokabulare", das Bedürfnis nach neuen Bildern und Sprachspielen sei groß. „Insofern würde ich sagen, ist nicht nur die Philosophie, sind nicht nur die Humanwissenschaften wichtige Referenzpunkte für die Gegenwartstheologie, sondern auch die Literatur."

Der Zugang, der auch im Rahmen der Poetikdozentur gewählt werden soll, setzt laut Tück bewusst nicht beim Offensichtlichen an; es gehe nicht darum, explizite Reflexionen auf religiöse Fragen in Literatur auszumachen, sondern „über anthropologische Grenzerfahrungen - Liebe, Trauer Tod - den Zugang zu finden". Es gebe zahlreiche Autoren der Gegenwart, die über solche Grenzerfahrungen schreiben und dabei eine sprachliche Dichte erreichen, „die gar nicht religiöses Vokabular bemühen muss; wo im Subtext eigentlich schon die metaphysische Obdachlosigkeit, aber auch eine Reduktion der Wirklichkeit auf das nur-Sichtbare durchbrochen wird".

 

(kap 17.03.2016 ord)

 








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