2016-02-23 14:37:00

Vatikan/Ägypten: Warum es hilft, mit Al-Azhar zu reden


Die Idee, den Großimam der Al-Azhar-Universität in den Vatikan einzuladen, war eine gute Wahl zum rechten Zeitpunkt. So kommentiert im Gespräch mit Radio Vatikan der ägyptische Jesuit und Islamforscher Pater Samir Khalil Samir den jüngsten Besuch einer vatikanischen Delegation bei der Kairoer Universität, die als bedeutendste theologische Bildungsstätte des sunnitischen Islam gilt.

Während des Pontifikats von Benedikt XVI. seien die Beziehungen zu Al-Azhar „gespannt“ gewesen, resümiert Pater Samir. Der Konflikt zwischen dem Heiligem Stuhl und der Kairoer Islam-Universität „entstand, weil einige der Worte von Benedikt zum Vorwand genommen wurden, Worte, die sich gegen niemanden richteten, aber die Religionsfreiheit verteidigten. Diese Einladung an den Großimam ist ein Versuch, den Dialog mit dem sunnitischen Islam wieder aufzunehmen“, so Samir. Benedikt hatte einen schweren Terroranschlag auf Christen in Alexandria bei einem Angelusgebet 2011 als „feige Geste des Todes“ verurteilt. Daraufhin hatte Al-Azhar den Dialog mit dem Heiligen Stuhl ausgesetzt.

Al-Azhar wurde vor rund tausend Jahren gegründet und ist die weltgrößte Ausbildungsstätte für sunnitische Religionsgelehrte.

„Die islamische Welt erlebt heute vielleicht ihre tiefste Krise in den letzten Jahrzehnten“, so Samir weiter. „Das ist ein echter innerer Zusammenprall, ausgelöst von der Ideologie, die der sogenannte Islamische Staat verbreitet. Eine inakzeptable Ideologie, die der islamischen Welt Unrecht antut. Genau deshalb hilft es, die islamische Welt zu unterstützen. Sie zu bekämpfen, führt nicht weiter, vielmehr muss man die eigene Erfahrung anbieten, wo wir doch in der katholischen Kirche ähnliche Probleme erfahren haben.“

Die Grundfrage im islamischen Denken sei heute die Auslegung des Koran, diagnostiziert der ägyptische Jesuit. „Die wörtliche Auslegung besonders jener Passagen, die Gewalt betreffen, ist heute unmöglich. Unmöglich ist folglich auch die Anwendung dieser Prinzipien, wie der „IS“ sie predigt. Die Universität Al-Azhar stellt sich dieser wörtlichen Koran-Auslegung rundweg entgegen. Wahr ist aber auch, dass die IS-Terroristen sich an Auslegungen und Texte von sunnitischen Imamen halten, die die wörtliche Koran-Auslegung nicht direkt verurteilen.“

Er selbst bemühe sich im Gespräch mit muslimischen Islamgelehrten immer daran zu erinnern, dass der Islam diesen Streit selbst bereits im Mittelalter beigelegt habe, fuhr Samir fort. „Man war zu dem Schluss gekommen: der Text muss interpretiert werden. Und erst seit einem Jahrhundert dominiert die Tendenz, ihn wörtlich zu nehmen. Diese Änderung kam unter dem Einfluss fundamentalistischer Strömungen wie dem Wahabismus zustande. Diese Doktrin stammt aus Saudi-Arabien und Qatar, den reichsten Provinzen der islamischen Welt, die aus diesem Grund ihre Ideologie – Ideologie, mehr als Theologie - überall verbreiten und auferlegen können. Deshalb halte ich es für hochbedeutsam, die Freundschaft mit Al-Azhar zu erhalten, um dieser Bildungsstätte zu helfen und sie zu ermutigen, diesen Tendenzen entgegenzutreten.“

Auf diese Weise könne man dazu gelangen, Terrorismus nur noch als Terrorismus anzusehen, „ohne Verbindung zum wahren Islam“, so der Jesuit. „Den Islam neu auszulegen, ist heute der Weg des Heils. Wir als Christen können diesen Prozess unterstützen, indem wir zeigen, dass auch in unserer Tradition die wörtliche Auslegung der Bibel überwunden wurde.“ Der Schüssel sei es, Glaube und Vernunft miteinander leben zu lassen, so wie Papst Benedikt XVI. es in seiner berühmten, missverstandenen Regensburger Rede 2006 tat. Glaube und Vernunft, „das ist der echte Schritt nach vorne, um aus der Krise des Islam herauszukommen“, so Pater Samir.

(rv 23.02.2016 gs)








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