2016-02-20 12:33:00

Türkei: „Wir Christen halten hier zusammen“


Die Türkei wurde in den vergangenen Tagen gleich von zwei Terroranschlägen erschüttert, eine kurdische Gruppe bekannte sich zur Tat. Zunehmend entladen sich die Spannungen des Syrien-Konflikts auch in der Türkei selbst. Nikolaus Wyrwoll, Direktor des Ostkirchlichen Instituts in Istanbul, erklärte Radio Vatikan, wie die Christen des Landes die aktuelle Situation erleben und sprach auch über die Chancen, die sich für Christen dort auftun.

Die Türkei wurde in den vergangenen Monaten von mehreren Anschlägen erschüttert. Der bislang blutigste Anschlag war im Oktober bei einer prokurdischen Friedensdemonstration in Ankara, bei dem 103 Menschen getötet wurden. Damals soll der IS dahinter gesteckt haben. Seither gilt die höchste Terrorwarnstufe. Doch die Bevölkerung scheint sich davon nicht zu sehr aus der Ruhe bringen zu lassen – zumindest in Istanbul, wo unser Nikolaus Wyrwoll seit vielen Jahren ökumenische und interreligiöse Arbeit leistet.

„Aus unserer Perspektive – ich bin jetzt vier Jahre hier - hat sich die Situation durch die Terroranschläge nicht wesentlich verändert. Auch in den Predigten und Gottesdiensten kommt das eigentlich gar nicht vor. Man betet für die Opfer, aber man betet natürlich noch viel mehr für die Opfer der Bomben der Amerikaner und Russen in Syrien. Von daher spürt man das in den deutschen, italienischen, griechischen, armenischen, chaldäischen Gemeinden und in den Moscheen nicht besonders.“ 

Sicher ist die Türkei geschwächt, die Wirtschaft stagniert, vor der Haustür, in Syrien, tobt ein Bürgerkrieg. Das Land, das eigentlich gerade einen Wirtschaftsboom erlebte, verliere durch die Kriegshandlungen des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegen Kurden in Syrien und die sich häufenden Terroranschläge zunehmend an Stabilität. Auch die Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten tun ihr Übriges. In absoluten Zahlen nahm die Türkei bis 30. Juni 2015 mit 1,84 Millionen die meisten Flüchtlinge auf. Doch in den vergangenen Monaten haben insbesondere die Fluchtbewegungen in Richtung Norden, über das Ägäische Meer zugenommen. Kirchengemeinden und Caritas versuchen, den Flüchtlingen zu helfen und sie von der Flucht abzuhalten.

„Die Türkei bemüht sich, die Leute abzuhalten. Wenn sie gefangen werden, bevor sie nach Griechenland kommen, kommen sie für eine Woche ins Gefängnis bei Wasser und Brot. Hier in den Büros versuchen wir, Flüchtlingen davon abzuraten und sagen ‚bleibt hier und wartet erst mal ab‘, aber manche versuchen es doch und scheitern dann und sterben sogar.“

Immerhin kommen mit den Flüchtlingen aus Irak und Syrien auch viele weitere Christen in die Türkei. Das ist für die Kirchengemeinden eine Chance, denn dadurch werden sie gestärkt. Laut Nikolaus Wyrwoll gibt es sogar Überlegungen, ein neues syrisch-katholisches Bistum in der Türkei zu gründen, da die Gemeinden so gewachsen seien. In dieser Hinsicht ist die Regierung Erdogan auch hilfreich: Offenbar werden viele Kirchengüter, die unter Präsident Kemal Atatürk beschlagnahmt worden waren, wieder zurückgegeben und auch renoviert. Nicht nur finanziell hätten sich die Spielräume für die Kirchen erweitert, auch im Bereich Bildung gebe es Fortschritte: „Für uns Christen ist das wunderbar, dass wir, gerade weil wir hier so wenige sind, auch selber viel stärker zusammenarbeiten, als das in Europa oder anderswo möglich wäre. Zum Beispiel haben wir Christen uns vor Jahren beschwert, dass in der Schule nicht richtig über das Christentum berichtet wird. Dann hat der Kultusminister gesagt: ‚Dann macht doch mal einen Plan‘. Tatsächlich ist jetzt vor ein paar Wochen ein Lehrbuch erschienen, das alle Christen gemeinsam gemacht haben: Katholiken, Protestanten, Griechen, Syrisch-Orthodoxe, Chaldäer. Wunderbar, alle gemeinsam. Es ist eine große Freude, dass so etwas möglich ist.“

In den vergangenen Wochen sei in der griechischen Presse des Landes auch immer mal wieder die Rede von einer möglichen Rückkehr nach Syrien und die anderen Heimatländer, sollte der Krieg bald enden. Millionen Christen würden dann zurückgehen, heißt es. Doch nun sind sie erst einmal in der Türkei, wo sie viel leeren Wohnraum finden und sich gut integrieren können, findet Nikolaus Wyrwoll. Die neue Annäherung der verschiedenen Kirchen, die in der Minderheitensituation besonders zusammenhalten, könnte sich auch auf dem Panorthodoxen Konzil auf Kreta im Juni niederschlagen:

„Also dadurch, dass sich jetzt Papst Franziskus und Patriarch Kyrill in Kuba getroffen haben, ist hier noch einmal der ökumenische Patriarch Bartholomaios bestärkt worden. Er ist nicht mehr der einzige, der mit Rom Kontakt hat, auch Kyrill, der Vertreter der größten und lebendigsten orthodoxen Kirche ist. Die Stimmen der griechischen Zeitungen, die es hier immer noch gibt, sind sehr positiv und sagen, das Konzil und die Einheit sei noch einmal gestärkt worden. So könne das Konzil leichter in die Welt hineinsprechen, als das vor der Begegnung von Kyrill und dem Papst war, wo man immer fürchtete, dass die Russen gegen die Kontakte mit Rom sind.“

(rv 20.02.2016 cz)








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