2016-01-31 10:00:00

Polen: Hunderttage-Frist vor Überprüfung wäre sinnvoll gewesen


Polen ist in den Wochen nach dem Regierungswechsel im November 2015 vom „Europa-Musterschüler“ zu dem Land geworden, das die zweifelhafte Ehre erhalten hat, als erstes überhaupt im Rahmen der Überprüfung seiner Rechtsstaatlichkeit unter die strenge Beobachtung durch die EU-Kommission zu geraten. Grund dafür sind radikale Gesetzesänderungen, die nach internationaler Leseweise unter anderem die Arbeit des Verfassungsgerichtes gezielt erschweren sollen. Jörg Basten ist Polen-Referent im kirchlichen Hilfswerk Renovabis. Er hält die Reaktionen auf die Gesetzesänderungen, die sicher Besorgnis erregen können, doch für etwas verfrüht: „Wir denken, dass nur sechs Wochen nach dem Regierungsantritt in Polen die Europäische Union hier schon sehr harsch reagiert hat“, erklärt der Experte. „Es wäre vielleicht sinnvoll, die Hunderttage-Frist einzuhalten, wie wir das hier in unserem Land, bei unserer Regierung, ja auch beanspruchen.“ 

Dass die PiS überhaupt an die Macht kam und nun auch so rasch wichtige Gesetzesänderungen vornimmt, erklärt sich Basten unter anderem mit dem Willen der Bevölkerung, einen grundlegenden Wandel in der Politik, die nach acht Jahren Herrschaft der bisherigen Regierungspartei PO autokratische Züge angenommen hat, herbeizuführen. „Es ist eine gewisse Unzufriedenheit mit den Zuständen, die vorher herrschten; es ist eine gewisse wertkonservative Haltung, die dem Vorschub leistet; es sind gewisse ausländische Einflüsse, die man vor allem was die Medien betrifft, kontrollieren möchte; und das sind zweifellos bemerkenswerte und teilweise auch bedrohliche Szenarien, aber man muss auf der anderen Seite auch sehen, dass hier ein gewisser Demokratisierungsprozess stattfindet, denn erstmals seit der Wende gehen wieder Zehntausend Menschen in Polen auf die Straße, um sich dagegen zu wehren. Damit hätte man vorher nicht rechnen können.“

Die raschen Änderungen haben sich auch auf die öffentlichen Medien ausgewirkt, die nun – statt wie vorher weitgehend unabhängig vom aktuellen parteilichen Machtgefüge im Parlament zu sein – direkt dem Finanzministerium unterstellt sind. „Bei den staatlichen Medien sind die leitenden Persönlichkeiten ausgewechselt worden, da muss man nun erst einmal sehen, inwieweit das sich tatsächlich auf das operative Geschäft auswirkt“, gibt Basten zu bedenken. „Das kann man jetzt noch nicht sagen. Es widerspricht sicherlich der Meinungsfreiheit, und es ist eine staatliche Kontrolle, wie wir das so nicht gutheißen würden, aber wie die Auswirkungen letztlich sind – auch die Auswirkungen, die sich auf gesellschaftlicher Ebene ergeben, das bleibt noch zu beobachten.“

Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo hatte sich bei ihrer Befragung durch das Europäische Parlament Mitte Januar recht kämpferisch gezeigt und ihre Politik verteidigt. Doch die Europäische Union hatte am 13. Januar zum ersten Mal überhaupt einen formellen Rahmenprozess zur „Stärkung der Rechtstaatlichkeit“ angeregt, der letztlich auch zu Sanktionen führen kann. Es sei allerdings noch zu früh, einen Ausgang vorherzusagen, so Basten. „Das ist jetzt zum ersten Mal passiert, ich denke, das ist jetzt eine Art Kräftespiel, und man muss sehen, in welchen Bereichen die Regierung zurück rudert und wie das mit Sanktionen aussieht, welche EU-Mittel an Demokratisierungsprozesse gebunden sind. Dazu kann ich jetzt allerdings noch nichts sagen, denn dazu ist es auch noch etwas zu früh. Aber es ist ein gewisser Ball ins Spiel gekommen und die nächsten Monate werden erst die konkreten Ergebnisse zeigen.“

Die katholische Kirche in Polen schaltet sich vor allem mit mahnenden Worten zur Flüchtlingsdebatte ein, bislang hat es von offizieller Seite aber noch kaum Reaktionen zu den Gesetzesänderungen und den Sorgen der restlichen Europäischen Gemeinschaft zu den demokratischen Umständen in Polen gegeben. Doch die Entwicklungen werden sehr genau beobachtet, so Basten: „Die katholischen Bischöfe sind sehr wach, was die Entwicklung angeht und sind auch noch dabei, zu analysieren und zu deuten. Wo sie sich öffentlich zu Wort melden, geht es vor allem darum, dass vor einer Spaltung des Landes gewarnt wird und man den Politikern klar vor Augen hält, was für eine Verantwortung sie für die Einheit der Nation einerseits, andererseits aber auch für die Ruhe im Land haben. Welche Gespräche genau im Hintergrund geführt werden, vermag ich natürlich nicht zu sagen.“

(rv 29.01.2016 cs)








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