2016-01-11 12:33:00

Europa und die Flüchtlinge: „Starke Themensetzung des Papstes“


Die Neujahrsansprache 2016 von Papst Franziskus an das Diplomatische Corps hatte einen ungewöhnlich starken Fokus. Während die Päpste zu diesem Anlass sonst einen ausgewogenen Rundgang durch die Weltpolitik unternehmen, widmete Franziskus seine Rede an die Diplomaten diesmal fast zur Hälfte der Migration, speziell in Europa. Im Kern hat Papst Franziskus dabei das berühmte Diktum der deutschen Kanzlerin Angela Merkel wiederholt: Wir schaffen das. War die päpstliche Botschaft in dieser Klarheit überraschend? Das fragte Gudrun Sailer den Botschafter der Republik Österreich beim Heiligen Stuhl, Alfons Kloss.

„Nein, eigentlich nicht. Ich denke, Papst Franziskus hat generell eine starke Themensetzung, wenn er sich mit weltpolitischen Herausforderungen auseinandersetzt. Das trifft nicht nur für Klimaschutz, Frieden und Abrüstung zu, sondern auch Menschenrechte, Migration, Kampf gegen Menschenhandel. Alle diese Themen hat man in der Rede wiedergefunden, aber, Sie haben recht, ein besonders starker Fokus auf Migration, die natürlich für jemanden, der in Europa lebt, wie Franziskus, eine ganz große und sehr aktuelle Herausforderung ist.“

Franziskus spricht unumwunden von einem „schweren Migrations-Notstand“. Er stellt auch die Frage nach möglichen kulturellen und atmosphärischen Veränderungen, die mit der Aufnahme sehr vieler Flüchtlinge entstehen, das lässt an die Silvestervorkommnisse in Köln denken, die ähnlich auch etwa aus Salzburg gemeldet wurden. Und natürlich an die wachsende Gefahr von Terrorismus. Empfiehlt Papst Franziskus aus Ihrer Sicht die richtigen Mittel, um diesen Gefahren zuvorzukommen?

„Ich denke, der Papst hat in der heutigen Botschaft an die Diplomaten gerade auch die verschiedenen Aspekte ausgewogen dargestellt. Einerseits aus Sicht der Kirche und des Papstes die Notwendigkeit eines verständnisvollen Herangehens an den bedürftigen Mitmenschen, der ja nicht ohne Grund aus seinem Ursprungsland flieht. Franziskus ist eingegangen auf die Dramatik der Krisen, die der Ursprung letztlich dieser Flüchtlingsbewegung sind, und zugleich hat er deutlich gemacht, dass das für die aufnehmenden Gesellschaften eine Herausforderung ist. Da gibt es auch Punkte, die zu berücksichtigen sind und in der Gesamtsituation eine Rolle spielen. Ich habe das Gefühl, er hat ein wenig Druck herausgenommen aus einer Überforderung, weil er die beiden Aspekte dargestellt hat. Mir scheint auch, dass er sehr deutlich alles, was er heute präsentiert hat, ableitet von seinem Motto des Heiligen Jahres: Barmherzigkeit. Die Menschen sind aufgerufen, auf den Mitmenschen, auf die Probleme in der Gesellschaft in diesem Sinn zuzugehen, aber es gibt natürlich Punkte, die ein gesellschaftlicher Zusammenhalt berücksichtigen muss, Ordnung, so hat Franziskus ausdrücklich auf die Gesetze und die Kultur der Aufnahmestaaten hingewiesen.“

Die Angst in den europäischen Aufnahmeländern, diagnostiziert der Papst, entsteht aus der Leere, aus dem Verlust der auch religiösen Identität bei uns. Kann man dieser Diagnose zustimmen, wenn man bedenkt, dass in säkularen Ländern wie Schweden eine hohe Aufnahmebereitschaft herrscht und in starken katholischen Ländern wie Polen viel Angst und Abwehr?

„Generell ist es schwer, die Frage in Schemen zu bringen. Es dürfte stark auch ein Punkt sein, das Umgehen mit dem Thema der Flüchtlinge – einerseits kann es ein theoretisches Thema sein, und da hat man Hinterfragungen, die schwer zu artikulieren sind. Das andere ist: Wenn man dem Menschen gegenüber ist, die Schicksale sieht, wenn man mit den Leuten redet, stellt es sich oft auch anders dar; und da kommt der Aspekt hinzu, den der Papst selbst immer wieder nennt - keine Gleichgültigkeit, er spricht gegen die Globalisierung der Gleichgültigkeit. Und das heißt zugleich, wir müssen auf den anderen zugehen und versuchen, sein Schicksal zu begreifen, aber das ist in einer unmittelbaren Begegnung leichter als in abstrakten Zusammenhängen.“

Franziskus bricht eine Lanze nicht nur für Kriegsflüchtlinge, sondern ruft auch zu Aufnahmebereitschaft für Armuts- und Klimaflüchtlinge auf. Kann ein solches Ansinnen politisch in einem Land wie Österreich, aber auch auf EU-Ebene irgendwie auf fruchtbaren Boden fallen oder ist es schlichtweg naiv?

„Ich glaube, es gibt da ganz klare Regeln für die Art und Weise, welche Flüchtlinge in den Ländern aufgenommen werden sollen, es gibt Kriterien und internationale Vertragswerke, und letztlich ist es eine Situation, die man in der Gemeinschaft, nur zusammen mit den anderen europäischen Partnerstaaten wird lösen können. Wir befinden uns da sicher in einer sehr akuten Situation, wo die Notwendigkeit groß ist, sich gegenseitig abzustimmen, und unter den Partnern ein Vorgehen zu finden, das eine gute Lösung sicherstellen kann.“

Franziskus hat in seiner Neujahrsansprache den Ländern gedankt, die in der Flüchtlingsfrage Großes getan haben. Österreich war 2015 unter den Hauptaufnahmeländern von Flüchtlingen in Europa. Kann sich die Regierung in Wien von den Ermutigungen des Papstes bestärkt fühlen, oder muss sie noch in vielen Punkten, die der Papst nannte, aufholen?

„Ich denke, beides ist sinnvoll – auch anhand des Textes nochmals zu sehen, wo er die Akzente setzt. Was er denkt, was getan werden soll. Das andere ist sicher auch positiv zu vermerken, wie er Ländern dankt, die sich in diesem Bereich positiv engagiert haben und da kann sich Österreich durchaus sehen lassen mit der Zahl der Menschen, die in den vergangenen Monaten aufgenommen oder auf der Durchreise betreut wurden. Es ist klar, dass der Papst ausdrücklich genannt hat er die, die in besonderer Weise exponiert sind, das sind die Nachbarländer: er hat Libanon und Jordanien genannt und die Länder in Europa, die die ersten Anlaufstationen sind, Griechenland und Italien.“

Was waren Ihre allgemeinen Eindrücke von dieser Rede?

„Mein Eindruck war, dass es eine sehr inhaltsreiche Rede war, wo Franziskus sich vieler Themen deutlich und akzentuiert angenommen hat. Als Zeichen dafür, dass für Papst Franziskus sich der Heilige Stuhl aktiv in die globale Agenda einbringen soll, das heißt wir werden auch im kommenden Jahr den Heiligen Stuhl als einen engagierten Partner in der internationalen Außenpolitik sehen, und ich denke, das ist zu begrüßen. Wir haben ja gesehen, dass er abgesehen von der Flüchtlingsthematik, die sehr zentral war, sich eine Reihe von anderen großen Herausforderungen geäußert hat. Bei der Klimafrage hat er ausdrücklich das Ergebnis von COP21 gelobt, die nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO, wo er selbst dort war und eine wichtige Rede gehalten hat, das ist ja letztlich auch ein positiver Ausblick in das, was die Staaten und die Welt tun sollte, um eine allgemeine Entwicklung zu fördern. Dann hat er ausdrücklich den Waffenhandel angesprochen, kritisch, wie das der Linie des Heiligen Stuhles entspricht, und den Kampf gegen Armut und Ausgrenzung im Generellen. Das ist das Programm des Papstes in der internationalen Agenda, und ich glaube wir, die Staaten, sehen hier einmal mehr, was in nächster Zeit Punkte sind, wo wir uns als Partner einbringen können.“

Sehen Sie Papst Franziskus als besonders politischen Papst?

„Ich sehe ihn als einen Papst, der sehr stark Themen, die ihm wichtig sind, auch operativ einbringen will. Er prägt es nicht nur als Anliegen der Kirche, sondern will dafür sorgen, dass diese Themen durch den Apparat des Heiligen Stuhles, durch die Diplomatie, die Außenpolitik transportiert wird, aber auch im Dialog mit den Partnern, die Staaten, die wir alle hier vertreten sind und aufgerufen sind zu sehen, was den Papst und den Heiligen Stuhl bewegt und der Papst den Eindruck hat, dass etwas voranschreiten sollte.“

(rv 11.01.2016 gs)








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