2016-01-10 10:56:00

Jesuitenpater: „Vertuschung der Vertuschung aufklären!“


Der Zwischenbericht zu den Regensburger Missbrauchsfällen zeigt, dass es deutlich mehr Übergriffe gab als bisher angenommen. Den Jesuitenpater Klaus Mertes überrascht diese Entwicklung nicht, wie er im Interview mit dem Domradio erklärt. Man müsse nicht nur die Missbrauche aufklären, sondern gleichzeitig auch die Aufklärung der Vertuschung und dann die Aufklärung der Vertuschung der Vertuschung des Missbrauchs nicht vergessen, so Pater Mertes. Er hatte die Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg publik gemacht, dessen Rektor er damals war und gilt damit als Pionier der Aufklärung. Im Jahr 2010 hatte er die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs an katholischen Einrichtungen angestoßen. Pater Mertes:

„Wir haben selbst die Erfahrung gemacht, auch zum Beispiel in Amerika, dass es eine Welle der Aufklärung gibt, die sich dann über Jahre hinwegzieht. Das hängt damit zusammen, dass sich zunächst einmal die Opfer dazu durchringen müssen, zu sprechen. Für sie ist das eine schwere und schwerwiegende Entscheidung. Aber ihre Entscheidung ist entscheidend für die Aufklärung.“

Es sei ein unglaublicher Schmerz, der das gesamte Selbstverständnis der Institution infrage stelle und äußere sich zunächst in einer Abwehrhaltung den Opfern gegenüber. „Das, was die Opfer zu sagen haben, will man nicht hören“, so Pater Mertes weiter. Zugleich sei es eine Aufklärung, wenn man sie ernst nimmt, „ja immer verbunden mit der Entscheidung, den Opfern zu glauben“. Und auch das sei eine schwerwiegende Entscheidung. „Denn wenn man den Opfern dann Glauben schenkt, hat das unmittelbare Konsequenzen für das Selbstbild“, fügt der Jesuitenpater an.

Dass Georg Ratzinger, der langjährige Leiter des Knabenchores, von den Missbrauchsfällen gewusst haben soll, wie es Sonderermittler Ulrich Weber gesagt habe, schockiere natürlich viele. Pater Mertes:

„Ich kenne dasselbe Phänomen ja auch von uns Jesuiten am Canisiuskolleg in Berlin. Damals hatten wir einen Täter und vermuteten hundert Opfer oder mehr. Und auch da mussten wir uns fragen: Wie kann es sein, dass ganz integre Menschen es gewusst und verschwiegen haben? Ich erkläre das damit, dass die Betreffenden die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs in seinen Konsequenzen irgendwie gespürt haben und den Schmerz dieser Information nicht an sich heranlassen wollten. Man kann Opferberichten nicht zuhören ohne die Bereitschaft, sich selbst zu verändern. Das ist der entscheidende Punkt.“

Das dauernde Sich-Entschuldigen nachträglich reiche nicht, so Mertes weiter. Die erste entscheidende Konsequenz sei, die Verantwortung zu übernehmen für das, was man getan oder unterlassen habe; sich dem Gespräch mit den Opfern zu stellen und aufzuhören, ständig Sündenböcke zu suchen, auf Nestbeschmutzer oder die Presse oder andere zu schimpfen. „Man muss eben jetzt wirklich Verantwortung zu übernehmen, auch für das eigene Vertuschen“, sagt Mertes. „Meines Erachtens kann das bis zu Rücktritten führen. Ich fordere hier keine Rücktritte, aber ich verstehe nicht, wie es möglich ist, dass man hier ungeschoren aus so einer Geschichte herauskommt, nachdem man einen solchen Vorlauf von Vertuschung zugelassen hat - von Nichthören und Weghören. Ich will das gar nicht moralisch bewerten, sondern es geht im Kern darum, endlich wirklich Verantwortung zu übernehmen. In Regensburg ist ja der Prozess auch nicht erst seit 2010, sondern schon seit 2002 im Grunde genommen in Gange, als erste Vorgänge im Bistum bekannt wurden.“

(domradio 10.01.2016 mg)








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