2015-12-07 11:43:00

Tück: Noch viele ungehobene Konzils-Schätze


Es ist kein Zufall, dass Papst Franziskus das Heilige Jahr der Barmherzigkeit am 8. Dezember starten lässt. An diesem Tag jährt sich genau zum fünfzigsten Mal der feierliche Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils. Für den Wiener Theologen Jan-Heiner Tück ist die „Rezeption des Konzils noch lange nicht am Ende“. Das sagte er an diesem Montag, einen Tag vor den Feiern in Rom, der österreichischen katholischen Nachrichtenagentur kathpress.

„Wie es zum Reformprogramm des Konzils gehörte, dass es eine neue Erinnerung der biblischen und patristischen Quellen angstoßen hat, um einer besseren Zukunft willen, so ist es heute unsere Aufgabe, die in der Tat etwas mühsam zu lesenden Dokumente wieder zu erinnern, neu aufzuschlüsseln, um den Herausforderungen der Zukunft angemessen begegnen zu können. Man muss sich heute in die Situation vor 50 Jahren erst einmal zurückversetzen, um die Innovationspotenziale der Texte zu erkennen. Diese gibt es jedoch - ich nenne nur das Stichwort Gewalt und Terror: Da bietet das Konzil zum Beispiel ganz konkrete Handlungsorientierungen - nämlich den Auftrag an die Religionen, eine Kultur des Respekts zu entwickeln, ohne die eigene Tradition einzuklammern und gemeinsame Allianzen zu bilden auf der Grundlage von Religions- und Gewissensfreiheit. Das scheint mir heute ein ganz wichtiger Punkt zu sein, wenn es um die Frage der Zukunftsfähigkeit des Konzils geht.“

Das bedeutet: Vatikanum 2 ist nicht lange her, sondern hat weiterhin große aktuelle Potentiale. Offenbar mussten erst ein paar Jahrzehnte vergehen, bis man die Konzilstexte als Kompass fürs Morgen einsetzen konnte. „Wenn man die Rezeption des Konzils in groben Blöcken nachzeichnet, kann man sagen, dass nach 1965 zunächst eine Phase der Euphorie dominierte, die dann - wie es immer ist, wenn überzogene Erwartungen gehegt werden - einer umso größeren Ernüchterung gewichen ist; und seit den 1990er-Jahren sind wir in einer Phase der genaueren historischen Rekonstruktion, die auch die Textgenese beachtet, und der theologischen Kommentierung. Und unter Papst Franziskus gibt es jetzt nochmal neue Akzentuierungen, die bislang brachliegende Potenziale stark machen.“

Und das, obwohl Franziskus der erste Papst ist, der nicht selbst an den Debatten in der Konzilsaula teilgenommen hat. Dafür war er allerdings „an der lateinamerikanischen Implementierung des Konzils maßgeblich beteiligt“, so Tück; die Erfahrungen der großen lateinamerikanischen Bischofskonferenzen hätten ihn „geprägt und veranlasst, die Motive der Synodalität und der Kollegialität neu zu akzentuieren“.

Weiteres Konzils-Potential, das Franziskus freigelegt habe, sei das „Programm einer armen Kirche der Armen“, das sich an etwas versteckter Stelle in „Lumen gentium“ finde. Dreh- und Angelpunkt der Neuerungen, die das Konzil gebracht habe, ist aus der Sicht des Theologen „die viel zitierte Rede von den Zeichen der Zeit. Sie sei „weit mehr als bloßer textlicher Zierrat“; zu ihr gehöre, dass die Kirche „die relative Autonomie“ von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft usw. anerkenne. „Hier wird eine neue Verhältnisbestimmung von Theologie und Welt und in Folge von Theologie und Pastoral deutlich: Es ist nun nicht mehr so, dass die Theologie die Prinzipien vorgibt, die in der Pastoral einfach angewendet werden; vielmehr wurde festgehalten, dass die unterschiedlichen Orte von Welt selbst mit in die Glaubensreflexion und damit in die theologische Selbstverständigung hineingehören. Das hat weitreichende Folgen, insofern damit das Dogma, wenn man so will, situativ und kommunikativ verflüssigt worden ist.“

„Verflüssigung des Dogmas“ – diese Formulierung werden Traditionalisten wohl nicht so gerne hören. Weitere Konzils-Impulse, die heute besonders wichtig scheinen, sind nach Ansicht Tücks die Öffnung zu den nicht-christlichen Religionen und die Erneuerung der Liturgie. „Man hat eben auch die Leseordnung erweitert, so dass die Schätze des Alten Testaments viel stärker Berücksichtigung finden“, sagt der Theologe. Das sei „insofern wichtig, als die konstitutive Bedeutung des Judentums für die Kirche dadurch auch liturgisch zum Ausdruck gebracht wird“. Tück fragt: „Wer würde dies heute missen wollen?“

„Aber wenn Sie nach Perlen fragen, dann sollte man wohl auch auf das fünfte Kapitel in der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ verweisen. Da finden sich kaum rezipierte Aussagen „zur allgemeinen Berufung zur Heiligkeit“. Das klingt auf den ersten Blick etwas fromm, ist aber der Anstoß, Abstand zu nehmen von einer passiven Haltung der Versorgung durch die Kleriker, und der Aufruf, dass jeder Laie dafür sorgen soll, einen entschiedenen christlichen Lebensstil zu finden. Und angesichts der Tatsache, dass die Säkularisierung voranschreitet und Kirche zunehmend zu einer qualifizierten Minderheit wird, sind hier auch spirituelle Impulse neu zu heben, die dazu führen könnten, dass die Strahlkraft des Christentums auch hierzulande wieder etwas zunimmt.“

Die Rezeption des Konzils muss weitergehen – das heißt für Tück auch: Wir brauchen jetzt kein neues Konzil. „Abgesehen davon wäre es allein schon kommunikationspragmatisch äußerst schwierig, ein neues Konzil zu planen und durchzuführen: Waren vor 50 Jahren mehr als 2.000 Bischöfe in der Konzilsaula versammelt, so wären es heute sicher mehr als doppelt so viel. Allein eine gemeinsame Geschäftsordnung zu kreieren, geschweige denn gemeinsame Texte zu erarbeiten, wäre eine enorme, kaum zu bewältigende Aufgabe. Nein, ich denke, es würde mehr als ausreichen, das Konzil neu zu lesen und eine Art "Erinnerung an die Zukunft" damit anzustoßen.“

(kap 07.12.2015 sk)








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