2015-12-02 14:13:00

Franziskus im Interview: Warum Barmherzigkeit der Weg ist


Papst Franziskus hat sich in einem Interview über seinen besonderen Zugang zur Barmherzigkeit als Weg der Kirche geäußert. Er habe diesen Schwerpunkt seines Pontifikats keineswegs selbst erfunden, sagte der Papst im Gespräch mit „Credere“, der offiziellen Zeitung des Jubiläums der Barmherzigkeit. Die Kirche falle manchmal selbst in Versuchung, „eine harte Linie zu fahren“ und „nur die moralischen Normen zu betonen“, räumte Franziskus ein. Die Welt sei aber darauf angewiesen, den Gott der Barmherzigkeit zu entdecken und zu sehen, „dass die Verurteilung nicht der Weg ist“. Franziskus erzählte auch einige persönliche Begebenheiten, die ihn überzeugten, dass Barmherzigkeit das Gebot der Stunde für die Kirche ist.

Das Bestehen auf der Barmherzigkeit Gottes ist eine verhältnismäßig junge Tradition, hält der Papst eingangs fest. Es habe sich mit Paul VI. Bahn gebrochen, Johannes Paul II. habe die Barmherzigkeit stark betont. Franziskus erinnerte an sein erstes Angelus als Papst im März 2013, in dem er den zahlreichen Pilgern und Besuchern auf dem Petersplatz das Buch „Barmherzigkeit“ von Kardinal Walter Kasper ans Herz legte, das dieser ihm kurz vor dem Konklave als Zimmernachbar in der Casa Santa Marta überreicht hatte. Auch in seiner ersten Predigt als Papst – in der vatikanischen Pfarrei Sant‘ Anna – habe er über Barmherzigkeit gesprochen. „Das war keine Strategie, das kam von innen heraus: der Heilige Geist will etwas“, so der Papst.

„Es ist der Jahr der Vergebung, das Jahr der Versöhnung“, sagte Franziskus und holte weit aus: „einerseits sehen wir Waffenhandel, die Herstellung von Waffen, die töten, den Mord an Unschuldigen mit den schlimmsten überhaupt möglichen Methoden, die Ausbeutung von Menschen, Kindern: Man begeht, der Ausdruck sei mir erlaubt, ein Sakrileg gegen die Menschheit. Denn der Mensch ist heilig, er ist das Bild des Lebendigen Gottes. Und nun sagt der Vater: hört auf und kommt zu mir. Das ist, was ich in der Welt sehe.“

Zur Beichte gehe er selbst alle zwei bis drei Wochen, erzählte der Papst in dem Interview. Er fühle sich als Sünder, „ich bin sicher, einer zu sein“. Aber „ich bin, wie ich den Gefangenen in Bolivien sagte, ein Mann, dem vergeben wurde. Gott hat mich mit Barmherzigkeit angesehen und mir vergeben“. Er habe immer das Gefühl gehabt, dass Gott sich in besonderer Weise um ihn sorge. Abermals erzählte Franziskus vom Tag seiner Berufung zum Priester am 21. September 1953, als er in seine Pfarreikirche in Buenos Aires eintrat, einen ihm fremden Priester sah und, ohne wirklich zu wissen warum, sich zur Beichte bei ihm entschloss. „Ich war praktizierender Katholik, ging am Sonntag zur Messe, mehr aber nicht“, so Franziskus. „Und ich weiß nicht, was geschah, aber ich kam anders, verändert, wieder heraus.“ Der betreffende Priester, Carlos Benito Duarte Ibarra, hatte Leukämie und starb ein Jahr später, ein Jahr, in dem er den jungen Jorge Mario Bergoglio geistlich begleitete. Nach der Beerdigung dieses Priesters, so bekannte Franziskus, habe er bittere Tränen geweint und sich von Gott verlassen gefühlt,. „Das war der Moment, in dem ich auf die Barmherzigkeit Gottes gestoßen bin.“

In der Barmherzigkeit werde auch „die mütterliche Dimension Gottes“ sichtbar, erklärte Papst Franziskus. Allerdings würden diesen Ausdruck nicht alle verstehen, er sei „nicht populär im guten Sinn des Wortes“, sondern gehöre wohl einer „etwas gewählten Sprache“ an. „Deshalb rede ich lieber von der Zärtlichkeit, die einer Mutter eigen ist, die Zärtlichkeit Gottes. Gott ist Vater und Mutter.“

Den Gott der Barmherzigkeit zu entdecken verändere den Menschen, mache ihn toleranter, geduldiger und zärtlicher, so Franziskus weiter. „Während der Synode 1994 sagte ich in einer der Arbeitsgruppen, man müsse eine Revolution der Zärtlichkeit in Gang bringen, und ein Synodenvater – ein guter Mann, den ich respektiere und schätze, sehr alt schon – antwortete mir, ein solcher Ausdruck sei nicht angebracht, und er gab mir vernünftige Erklärungen, als intelligenter Mann, aber ich sage nach wie vor, dass heute die [Stunde der] Revolution der Zärtlichkeit ist, denn daher rührt die Gerechtigkeit und alle übrige.“ Und wieder wurde Franziskus sehr konkret: Wenn ein Unternehmer einen Angestellten nur elf Monate im Jahr anstelle und für den zwölften Monat entlasse, um ihn dann neu einzustellen, dann zeige er „keine Zärtlichkeit, sondern er behandelt den Angestellten wie ein Objekt. Wenn man sich aber in den Betroffenen hineinversetzt, statt an die eigenen Taschen zu denken, dann ändern sich die Dinge.“

Die „Revolution der Barmherzigkeit“ wünscht sich der Papst als bleibendes Ergebnis des Heiligen Jahres. Er kündigte an, er werde an jedem Freitag des Jubiläums „eine andere Geste“ setzen. Einzelheiten dazu ließ er sich nicht entlocken.  

(rv 02.12.2015 gs)








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