2015-11-05 10:39:00

Italien: Roms Mafia und das bevorstehende Heilige Jahr


Nicht nur im Vatikan gibt es schwarze Schafe. Die Stadt Rom wird quasi von schwarzen Schafen mitregiert. Seit rund einem Jahr ist bekannt: Die Stadtverwaltung ist unterwandert von einer eigenen Mafiaorganisation, entstanden aus einer Komplizenschaft zwischen Kriminellen, Stadtbeamten und Politikern. An diesem Donnerstag wird aufgeräumt – vorerst. 46 Angeklagte kommen in Rom vor Gericht, darunter einer der vier Mafia-Könige von Rom, Massimo Carminati. Die Namen von weiteren 101 Politikern und Beamten, die in den Korruptionsskandal verwickelt sein sollen, stehen auf der schwarzen Liste der Ermittler. Es erinnert an die historischen Maxi-Prozesse in Sizilien in den 80er Jahren, als erstmals hunderte Mitglieder der Mafiaorganisation Cosa Nostra vor Gericht kamen.

Fast alle Bereiche Roms sind von Korruption unterwandert: Von der Müllabfuhr über die Instandhaltung von Parks und Kindergärten bis hin zu Roma-Lagern und Aufnahmezentren für Flüchtlinge. 40 Millionen Euro hat sich die Mafia jährlich allein durch das Geschäft mit den Einwanderern dazu verdient. Seit der Skandal im Dezember 2014 öffentlich gemacht wurde, will die Stadt die korrumpierten Bereiche der Stadtverwaltung wieder zurückgewinnen und strenger beaufsichtigen.

Nicht zuletzt blickt man bei der „Aufräumaktion“ Roms nach Mailand. Dort ging gerade die sehr erfolgreiche Weltausstellung Expo zu Ende. Prompt wurde der verantwortliche Präfekt von Mailand, Francesco Tronca, Anfang November nach Rom gerufen, um Bürgermeister Ignazio Marino abzulösen. Der Jurist Tronca gilt als erfahren im Umgang mit Krisen. Er soll nun das Heilige Jahr der Barmherzigkeit, das Papst Franziskus am 8. Dezember eröffnen wird, ebenso erfolgreich managen wie die Expo. Aber was die Stadt Rom betrifft, geht es hier nicht nur um die pünktliche Renovierung von Kirchenfassaden. Mailand gilt auch als Vorbild, weil es „sauber“ ist und streng gegen die Beteiligung der Mafia an der Expo vorgegangen sein soll. Gabriella Stramaccioni von der italienischen Antimafia-Organisation Libera sieht den Wechsel des Präfekten von Mailand nach Rom dennoch kritisch:

„Viele sagen, er habe eine ausgezeichnete Arbeit bei der Expo geleistet, was die Aufsicht der beteiligten Firmen und Aufträge angeht. Für den Moment scheint er recht qualifiziert zu sein. Der Präfekt soll gerne kommen. Ich frage mich nur, warum wir immer Präfekten und Richter holen müssen? Das bedeutet doch, dass der Primat der Politik verlorengegangen ist. Das ist aus gesellschaftlicher Sicht gravierend. Eigentlich müsste sich die Politik kümmern und gegen die Mafia und die Korruption vorgehen. Doch das ist unmöglich. Der sizilianische Anti-Mafia-Kämpfer Pio La Torre brachte es auf den Punkt: ‚Es ist besser, wenn sich die Politik um die Mafia kümmert, sonst kümmert sich die Mafia irgendwann um die Politik.‘“

Immerhin wird in Rom nun offen von Mafia gesprochen. Lange wurde dieses Thema in der italienischen Hauptstadt unter den Teppich gekehrt, ähnlich wie im Sizilien der 80er Jahre. In Rom herrscht aber ebenfalls schon lange, seit den 70er Jahren eine Mafiaorganisation, die sogenannte Bande von Magliana, benannt nach einem römischen Stadtviertel. Die römische Staatsanwaltschaft trug bei Antimafia-Aktivisten den Spitznamen „Hafen des Nebels“, weil sie alle Indizien für mafiöse Aktivitäten verschleierte. So konnte sich die Hauptstadt-Mafia zu einem parteiübergreifenden Wirtschaftssystem ausbreiten – von links über die politische Mitte bis nach rechts. Auch Renzis Partito Democratico blieb nicht verschont. „Den Mafiosi war das politische Lager egal, sie wollten die Leute kaufen“, sagt Stramaccioni. Und sie haben sie alle gekauft, ein Satz, der von einem der Mafiosi selber stammt und zum Sinnbild des Mafia-Skandals wurde.

Antikörper gegen das Mafia-Virus impfen

Nun gilt es also, auch in Rom „Antikörper“ gegen das Mafia-Virus zu impfen. Der Maxi-Prozess an diesem Donnerstag ist zumindest ein Anfang, sagt Stramaccioni, die sich, seit der katholische Priester Don Luigi Ciotti vor 20 Jahren Libera ins Leben rief, für die Antimafia-Organisation engagiert.

„Wir haben gerade erst angefangen aufzuräumen, es wird weitere Untersuchungen und Festnahmen geben. Da ist vieles noch nicht herrausgekommen, denken wir nur an die U-Bahn und weitere öffentliche Aufträge. Ein wenig ist der Schleier gelüftet worden. Es gibt jetzt sicher mehr Bewusstsein für das korrupte Verfahren der Mafia. Auf der anderen Seite ist die Stadtverwaltung schwach. Man kann Politiker wegsperren und verurteilen, aber wenn man nicht das gesamte Verwaltungssystem umkrempelt, das der Politiker geleitet hat – bei der Stadt Rom arbeiten schließlich 50.000 Angestellte, von denen viele in das korrupte System verwickelt sind – wenn man also nur den Chef austauscht, aber nicht auch zügig das System dahinter, bleibt es so korrupt wie vorher. Das Verwaltungssystem muss aufgeräumt werden. Das ist für Rom fundamental.“

Neben engagierten Staatsanwälten und Antimafiaorganisationen gibt es in Rom noch eine andere Stimme, die im Kampf gegen die Korruption Gewicht hat, meint Stramaccioni: Die Stimme des Papstes:

„Dieser Papst ist mutig gewesen. Von Anfang an. Ich vergesse nie, als wir ihn zum Treffen mit Angehörigen von Mafia-Opfern in Latina einluden und er sofort zusagte. Das war ein unvergesslicher Tag. Und schließlich nutzt er jede Gelegenheit, um sich gegen Mafia und Korruption auszusprechen. Hoffen wir, dass auch er sein Werk weiterführen kann. Weil wir eine starke Stimme brauchen. Das, was in der Politik fehlt, übernimmt jetzt der Papst.“

Immerhin befassen sich in Rom seit gut drei Jahren erfahrene Staatsanwälte aus dem Süden Italiens mit der Mafia von Rom. Giuseppe Pignatone und Michele Prestipino aus Sizilien und Reggio Kalabrien brachten ihre Expertise im Kampf gegen die Mafia mit. Seit sie in der Stadt sind, haben sich die vier „Könige von Rom“, Carminati, Fasciani, Senese und Casamonica darauf verständigt, dass kein Blut mehr fließt. Denn je weniger Wind um die Mafia ist, desto ungestörter kann sie agieren. Deshalb war die pompöse, lautstarke Beerdigung von Clanchef Vittorio Casamonica im Sommer auch ein grober Fehler, meint Stramaccioni.

„Mit diesem Exzess hat sich der Clan selber ins Bein geschossen. Sie waren dermaßen arrogant und haben sich auch nicht besonders schlau angestellt, dass sie sich ihr eigenes Grab geschaufelt haben. Denn jetzt lässt ihnen keiner mehr so schnell etwas durchgehen. Sie wollten es übertreiben und zeigen, wie stark sie sind. Weil es für sie bis zu dem Zeitpunkt gut lief. Sie konnten sich in einem Großteil der Stadt frei und ungestört bewegen. Sie hatten auch physisch die Oberhand, sie hatten eigene Häuser und alles. Die Beerdigung von Vittorio Casamonica war die endgültige Beerdigung des Casamonica-Clans. Denn sowohl der Präfekt als auch die Staatsanwaltschaft haben nun eine Wut im Bauch. Ebenso die Bürger. Kommenden Samstag werden sie sich im römischen Stadtteil Cinecittà wieder gegen die Mafia versammeln.“

(rv 5.11.2015 cz)








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