2015-10-30 08:00:00

Europaminister Roth in Italien: Grundrechte wahren


Nicht die Zahl der Flüchtlinge sei das Problem, sondern die Geschwindigkeit mit der die Zahl der Flüchtlinge ansteigt. Europaminister Michael Roth (SPD), ranghöchster Mitarbeiter von Außenminister Frank Walter Steinmeier, besuchte Italien und erinnerte bei seinen bilateralen Treffen an die Wahrung der Grundrechte-Charta und die Parallelen der Migrationsbewegungen. Vor mehr als sechzig Jahren wurde am 20. Dezember 1955 das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien abgeschlossen. Rund vier Millionen Italiener sind seit 1955 in Deutschland eingewandert, in der Regel um ihrer wirtschaftlichen Notlage insbesondere in Süditalien zu entkommen. Heute ist es der Krieg, vor dem viele Menschen flüchten und diesen Menschen muss geholfen werden. Roth hatte im Zuge seines Aufenthalts auch die Möglichkeit, unterschiedliche Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen zu treffen, unter ihnen UNHCR-Vertreter und die Basisgemschaft Sant’Egidio.

„Es ging um die Fragen der Registrierung der Flüchtlinge, es geht um die Frage der Weiterleitung der Flüchtlinge. Wie werden die Menschen, die nach Italien kommen untergebracht, wie werden sie versorgt und betreut. Und ein Thema hat mich besonders interessiert, es sind nicht Flüchtlinge, die zu uns kommen, sondern Menschen und möglicherweise auch neue Bürger unseres Landes. Was können und müssen wir tun um diese Menschen auch in unsere Gesellschaft zu integrieren: Bildung, Arbeit, Qualifizierung… hier wollte ich mehr wissen. Und ich bin dankbar auch hier in Italien erfahren zu haben, dass es unheimlich viel ehrenamtliches Engagement gibt. “

Schockiert zeigte er sich über aktuelle Entwicklungen in Österreich und über die Aussagen der österreichischen  Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die von dem Schutz einer „Festung Europas“ sprach und der Ankündigung, entlang eines Teils der Grenze zu Slowenien einen Zaun zu errichten, um den ungeordneten Zugang von Flüchtlingen zu stoppen. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betonten aber, dass „Zäune keinen Platz in Europa haben“. Dies erklärten beide nach einem Telefongespräch zur Flüchtlingskrise. Keinen Platz für Zäune und Mauern sieht auch Roth:

„Es kann in der Flüchtlingsfrage keine nationale Antwort geben. Egal, was ein Staat, der der EU angehört tut oder auch nicht tut… es hat konkrete Auswirkungen auf die Nachbarn und auf die anderen Partner. Ob man nun Grenzen öffnet oder Grenzen schließt, ob man Menschen registriert oder nicht, ob man ein zügiges Asylverfahren hat oder eben auch keines, ob man sich in den Herkunftsländern um die Fluchtursachenbekämpfung bemüht oder eben nicht. All das hat unmittelbare Auswirkungen auf alle europäischen Partner und umso wichtiger ist es, dass wir alle an einem Strang ziehen. Dieser Trend der Renationalisierung, des Sich-Weg-Duckens oder den Kopf in den Sand stecken oder wie die drei Affen nichts sagen, nichts hören und nichts sehen ist für Europa verheerend. Europa ist aus der Erkenntnis groß und stark geworden, dass wir es gemeinsam besser können. Und diese Frage, wie gehen wir mit den Flüchtlingen um, was können wir tun um Menschen, die auf der Flucht sind eine Perspektive zu geben oder was können wir dafür tun, dass Menschen erst gar nicht flüchten müssen. Dafür brauchen wir mehr Gemeinsamkeit, mehr Solidarität, mehr gegenseitiges Verständnis und dahingehend ist es eine der größten Bewährungsproben seit Jahrzehnten. Hier droht Europa zu scheitern, wenn wir nicht aus dieser Renationalisierung herauskommen. Da ich aber überzeugter Europäer und Optimist bin, glaube ich, dass wir das schaffen, denn Europa ist immer gestärkt aus Krisen hervorgegangen.“

Ein positives Beispiel der Migrationsbewältigung sei Schweden, dort werden in nur 24 Stunden Flüchtlinge registriert und verteilt, doch auch Schweden komme an seine Grenzen, so der Minister. Schweden rechnet in diesem Jahr mit bis zu 190.000 Asylbewerbern – viel mehr als erwartet. Zum Jahresende könnten bis zu 45.000 Schlafplätze fehlen. In Deutschland stellten von Anfang Januar bis Ende September mehr als 300.000 Menschen einen Asylantrag. Die Zahl der eingereisten Flüchtlinge liege aber darüber: Von Jahresbeginn bis Ende September sollen es etwa 577 000 Menschen (allein 164.000 im September) gewesen sein. Das Problem liege auch darin, dass die Asylbeantragung noch viel zu viel Zeit in Anspruch nehme.

In der Kirche sieht Roth einen wichtigen Partner für die Wahrung der Menschenrechte und Menschenwürde, sowie der Bewältigung der Krise: „Ich bin so unendlich dankbar, dass es nicht nur in Deutschland sondern auch in Italien Kirchengemeinden gibt, die die Türen ihrer Gemeindezentren öffnen, die mit großer Hilfsbereitschaft und praktizierter Nächstenliebe Menschen, die furchtbares erlitten haben, eine neue Heimat geben. Das finde ich großartig. Ich würde mir durchaus wünschen, dass die katholische Kirche vor allem in den Ländern, in denen man sich derzeit auf die christlichen Wurzeln beruft, deutlich machen würde, dass ein guter Christ vor allem auch Nächstenliebe praktiziert und vor allem auch seine Herzen und Türen öffnet für Menschen auf der Flucht. Ansonsten weiß ich ganz genau, dass die katholischen und evangelischen Kirchen sowie andere Religionsgemeinschaften ganz wichtige Bündnispartner sind, ohne die wir das nicht schaffen.“

(rv 30.10.2015 no)








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