2015-10-24 08:29:00

Unser Buchtipp der Woche


Navid Kermani, Ungläubiges Staunen. Über das Christentum. Ein Buchtipp von Stefan v. Kempis.

Am Anfang war das Staunen: Für Plato wie für Aristoteles bildet das Staunen den Ausgangspunkt aller Philosophie (das Staunen und nicht etwa, wie für Descartes, das Zweifeln). „Ungläubiges Staunen“ hat Navid Kermani, der vor ein paar Tagen in Frankfurt mit einer herausragenden Rede den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegengenommen hat, sein Buch über das Christentum genannt; das ist ein schönes Spiel mit dem Prädikat „ungläubig“, denn Kermani ist Muslim, noch genauer: Schiit. Er kommt aus dem Iran, lebt in Köln und reist viel. Mit dieser Biografie im Rücken nähert er sich nun dem Christentum in einer Haltung des Nachdenkens, des Respekts – und eben des Staunens. Ein Ansatz, der sofort überzeugt.

Kermani beugt sich in den hier gesammelten Essays in der Regel über ein historisches Fresko oder Gemälde, das Szenen aus dem Neuen Testament zeigt oder Gestalten der Kirchengeschichte. Er sieht genau hin, befragt dieses Bild, beobachtet Details, lässt sich auch selbst in Frage stellen – eine berührende Gottsuche. Nein, dieses Buch ist alles andere als eine interreligiöse Pflichtübung: Es ist Kermanis ‚West-östlicher Diwan’. Fast 200 Jahre nach Goethe hat sich die Blickrichtung verändert; jetzt ist es der Orient, der interessiert auf das Christentum blickt. Kermani selbst spricht von einer „Meditation“; sie geht vor allem auf einen langen Rom-Aufenthalt zurück, in dem er zu seinem „eigenen Christentum“ gefunden habe. Fremdes und Vertrautes in genialer Brechung – eine grenzgängerische Meisterleistung!

Navid Kermani, Ungläubiges Staunen. Über das Christentum. Beck Verlag. Ca. 25 Euro.

(rv 23.10.2015 sk)








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