2015-10-03 08:45:00

Buchtipp: Augustinus, Genie und Heiliger


Klaus Rosen: Augustinus, Genie und Heiliger. Ein Buchtipp von Stefan v. Kempis.

Der heilige Augustinus hat, genau am Knick zwischen Antike und Mittelalter, das literarische Genre der Autobiografie erfunden: Durch seine „Confessiones“, zu Deutsch „Bekenntnisse“, wissen wir mehr über ihn als über die meisten großen Menschen aus der Frühzeit des Christentums. Der Althistoriker Klaus Rosen hat jetzt auf der Grundlage des umfangreichen schriftlichen Werks des Bischofs von Hippo eine Augustinus-Biografie erstellt, die uns geradewegs zu Zeitgenossen des Kirchenlehrers werden lässt.

Wohltuend unaufgeregt, aber mit genauem Blick für sprechende Details zeichnet Rosen Augustinus’ Weg nach: vom ehrgeizigen, innerlich unruhigen Rhetoriklehrer bis zum weisen, aber unermüdlichen Prediger, der wegen Atemnot aber zeitlebens von plötzlichen Todesängsten heimgesucht wird. Deutlich wird, wie das Gedankengut der Manichäer Augustinus’ ganzes Leben prägt: Zuerst hängt er ihm leidenschaftlich an, nach seiner Bekehrung bekämpft er ihn dann mit eben demselben Furor bis an sein Lebensende. Ein Paulus, den seine Saulus-Vergangenheit nie mehr ganz loslässt.

Auf vieles in diesem kurvenreichen Lebenslauf wirft Rosen neues Licht – zum Beispiel auf die Beziehung des Heiligen zu seiner (ebenfalls heiligen) Mutter Monika. Dass der 30jährige (in der Zeit vor seiner Bekehrung) aus Karthago nach Rom flüchtet, ohne ihr auch nur Bescheid zu sagen, erscheint da als Hinweis auf ein eher kühles Verhältnis des Sohns zu ihr. „Neun Jahre lang hatten 250 Kilometer zwischen ihm und seiner Mutter gelegen, und er war in der Zeit ganz gut ohne sie ausgekommen... Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als die Aufdringliche mit einer Notlüge abzuschütteln...“

Später sollte Augustinus den „Verrat an der Mutterliebe“ zu seinen schlimmsten Sünden rechnen. „War seine Bekehrung nicht auch ein Teil der Wiedergutmachung an der Mutter und ihrem unerschütterlichen katholischen Glauben?“, fragt Rosen. Und er fährt fort: Mancher Mann merke eben „erst in den Vierzigern, wie teuer ihm seine Mutter war, die er in früheren Jahren von sich gestoßen hatte“.

Ähnlich nüchtern schildert Rosen auch Augustinus’ gar nicht so einfaches Verhältnis zu Ambrosius, Bischof von Mailand – oder die ungewöhnliche WG des Augustinus in Mailand vor seiner Bekehrung: Da lebte er mit seiner Konkubine, seinem Sohn Adeodatus, seiner (ihm nachgereisten) Mutter, seinem Bruder und zwei Vettern zusammen. Kurz vor seiner Bekehrung war Augustinus, so erfahren wir, ein berühmter Professor und „pater familias eines respektablen Haushalts“, der nach Rosens Vermutung wohl auch Sklaven beschäftigte – auch wenn ihm diese in seinen Schriften später „keiner Rede wert“ waren. Weil er plante, ein minderjähriges Mädchen zu heiraten, verließ ihn seine Konkubine nach anderthalb Jahrzehnten des Zusammenlebens, woraufhin er sich eben eine neue nahm. „In der Großstadt Mailand war es nicht schwer, ein armes Mädchen zu finden, das ... gegen Kost und Logis den Geschlechtstrieb eines Professors befriedigte“, so Rosen.

Warum ich das alles hier ausbreite? Weil es Augustinus aus seiner Eindimensionalität herausholt; dieses Leben war schillernd und interessant, die Brüche in seiner Biografie lassen ihn geradezu modern erscheinen. Und zweitens tut es doch, so kurz vor der Bischofssynode zu Ehe und Familie im Vatikan, ganz gut zu sehen, dass auch große Heilige in ihrem Ehe- bzw. Sexualleben einmal großes Durcheinander erlebt haben. Drittens belegt es, dass Rosen hier eine solide Biografie vorgelegt hat und nicht etwa eine Hagiografie.

Die berühmte Bekehrung des Augustinus sieht der Autor in Zusammenhang mit einer Lebenskrise: Augustinus musste wegen einer schweren Erkrankung seine Rhetorikprofessur aufgeben, unvermittelt hatte er begonnen, nach der Wahrheit hinter den gängigen philosophischen Lehren zu suchen, und sein Plan, eine „Lebensgemeinschaft von Philosophen“ zu gründen, war gescheitert. In dieser Situation erreichte ihn der berühmte Ruf eines Kindes „Nimm und lies“; Augustinus’ Schilderung dieser Szene, so kunstvoll sie auch literarisch gestaltet sein mag, hält Rosen für in den Grundzügen durchaus historisch.

Ein gut lesbares, hochinteressantes, sachkundiges Buch – alles andere als langweilig. Und wegen seiner Fußnoten auch eine gute Einführung in das Werk des heiligen Augustinus. Rosen (übrigens einer meiner Prüfer beim Geschichtsstudium an der Universität Bonn in den 1990-er Jahren; ich habe ihn als Gentleman in Erinnerung) ist das Kunststück gelungen, uns einen Kirchenlehrer des vierten Jahrhunderts sehr, sehr nahe zu bringen.

Klaus Rosen: Augustinus, Genie und Heiliger. Philipp von Zabern Verlag. Ca. 25 Euro.

(rv 03.10.2015 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.