2015-09-21 00:00:00

Vesper in der Kathedrale von Havanna mit Papst Franziskus


Die Ansprache, die Papst Franziskus bei der Feier der Vesper mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen in der Kathedrale von Havanna am 20. September 2015 halten wollte, aber nicht gehalten hat. Wir dokumentieren hier die offizielle deutsche Übersetzung des Textes, den er zur Veröffentlichung freigegeben hat.

Wir haben uns in dieser historischen Kathedrale versammelt, um mit den Psalmen die Treue Gottes zu seinem Volk zu besingen und Dank zu sagen für seine Gegenwart, für seine unendliche Barmherzigkeit. Von Treue und Barmherzigkeit sprechen uns nicht nur die Wände dieses Gebäudes, sondern auch einige „ergraute Häupter“ – eine lebendige Erinnerung und Vergegenwärtigung des Psalmwortes: „Ewig währt seine Huld, von Geschlecht zu Geschlecht seine Treue.“ Brüder und Schwestern, lasst uns gemeinsam Dank sagen!

Danken wir für die Gegenwart des Geistes mit dem Reichtum der verschiedenen Charismen auf dem Antlitz so vieler Missionare, die auf diese Inseln gekommen sind und schließlich Kubaner unter Kubanern waren – ein Zeichen seiner ewig währenden Huld.

Das Evangelium zeigt uns Jesus im Gespräch mit seinem Vater, es stellt uns ins Zentrum der Vertrautheit zwischen dem Vater und dem Sohn, die zu Gebet wird. Als sich seine Stunde näherte, betete Jesus zum Vater für seine Jünger, für diejenigen, die bei ihm waren, und für die, welche kommen sollten (vgl. Joh 17,20). Es tut uns gut, daran zu denken, dass Jesus in der für ihn entscheidenden Stunde das Leben der Seinen, unser Leben ins Gebet aufnimmt. Und er bittet seinen Vater, sie in der Einheit und in der Freude zu bewahren. Jesus kannte das Herz der Seinen gut, er kennt unser Herz gut. Darum betet er, er bittet seinen Vater, damit sie nicht von einem Bewusstsein eingenommen werden, das zur Isolierung neigt, dazu, sich in die eigenen Sicherheiten, die eigene Geborgenheit, die eigenen Räume zurückzuziehen; sich nicht um die anderen zu kümmern, indem sie sich auf kleinen „Gutshöfen“ niederlassen, die das vielgestaltige Gesicht der Kirche zersplittern. Das sind Situationen, die in individualistischer Traurigkeit enden, in einer Traurigkeit, die nach und nach Unmut, ständige Klage und Eintönigkeit aufkommen lässt. „Das ist nicht Gottes Wille für uns, das ist nicht das Leben im Geist“ (Evangelii gaudium, 2), zu dem Jesus sie einlud, zu dem er uns einlud. Darum betet er und bittet, dass die Traurigkeit und die Isolierung unser Herz nicht einnehmen. Wir wollen dasselbe tun, wir wollen uns dem Gebet Jesu, seinen Worten anschließen, um gemeinsam zu sagen: »Vater, bewahre sie in deinem Namen […] damit sie eins sind wie wir« (Joh 17,11) „und damit ihre Freude vollkommen wird“ (vgl. Joh 15,11).

Jesus betet und lädt uns ein zu beten, weil er weiß, dass es Dinge gibt, die wir nur als Gabe erhalten können, Dinge, die wir nur als Geschenk leben können. Die Einheit ist eine Gnade, die uns nur der Heilige Geist geben kann; unsere Aufgabe ist es, darum zu bitten und unser Bestes zu tun, um durch diese Gabe verwandelt zu werden.

Häufig wird Einheit verwechselt mit Einheitlichkeit, damit, dass alle dasselbe tun, empfinden und sagen. Das ist aber nicht Einheit; das ist Homogenität. Es bedeutet, das Leben des Geistes auszulöschen, es bedeutet, die Charismen zu ersticken, die er zum Wohl seines Volkes verteilt hat. Die Einheit wird jedes Mal bedroht, wenn wir die anderen als unser Abbild und uns ähnlich gestalten wollen. Darum ist die Einheit eine Gabe und nicht etwas, das man mit Gewalt oder per Dekret aufzwingen kann. Ich freue mich, euch hier zu sehen, Männer und Frauen verschiedenen Alters, aus divergierenden Zusammenhängen und mit unterschiedlichen Biographien, vereint durch das gemeinsame Gebet. Bitten wir Gott, dass er in uns den Wunsch nach Nähe wachsen lasse. Dass wir „Nächste“ sein, einander nahe sein können, mit unseren Verschiedenheiten, Macken, Stilen, aber nahe. Mit unseren Diskussionen und Streitereien, indem wir offen reden und nicht hinter dem Rücken. Dass wir volksnahe Hirten sind, dass wir uns von unseren Leuten in Frage stellen und befragen lassen. Die Konflikte, die Diskussionen sind in der Kirche wünschenswert, und ich wage sogar zu sagen: notwendig. Sie sind ein Zeichen, dass die Kirche lebendig ist und dass der Geist weiter wirkt, sie weiter in Schwung hält. Weh den Gemeinschaften, wo es weder ein Ja noch ein Nein gibt! Sie sind wie diese Ehen, in denen nicht mehr diskutiert wird, weil man das Interesse verloren hat, weil man die Liebe verloren hat.

An zweiter Stelle betet der Herr, dass wir von derselben vollkommenen Freude erfüllt sein mögen, die er besitzt (vgl. 17,13). Die Freude der Christen und besonders die der Geweihten ist ein ganz deutliches Zeichen der Gegenwart Christi in ihrem Leben. Wenn es traurige Gesichter gibt, ist das ein Warnsignal, dann stimmt etwas nicht. Und Jesus erbittet dies vom Vater ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als er sich anschickt, zum Ölberg zu gehen, als er sein „Fiat“ erneuern muss. Ich zweifle nicht, dass ihr alle die Last nicht weniger Opfer tragen müsst und dass für einige die Opfer seit Jahrzehnten drückend sind. Jesus betet – auch von seinem Opfer aus –, dass wir nicht die Freude darüber verlieren, zu wissen, dass er die Welt besiegt. Diese Gewissheit ist es, die uns antreibt, Morgen für Morgen unseren Glauben neu zu bekräftigen. „Mit einem Feingefühl, das uns niemals enttäuscht und uns immer die Freude zurückgeben kann, erlaubt er uns [mit seinem Gebet und seinem Abglanz auf dem Angesicht unseres Volkes], das Haupt zu erheben und neu zu beginnen“ (Evangelii gaudium, 3). Wie wichtig, welch ein kostbares Zeugnis für das Leben des kubanischen Volkes ist es, immer und überall diese Freude auszustrahlen, trotz der Müdigkeit, der Skepsis, sogar der Hoffnungslosigkeit, die eine sehr gefährliche Versuchung ist, welche die Seele zerfrisst! 

Brüder und Schwestern, Jesus betet, dass wir eins seien und dass seine Freude in uns bleibe. Tun wir dasselbe und vereinen wir uns miteinander im Gebet!

(rv 20.09.2015 pdy)








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