2015-09-09 13:05:00

Marx: Europa darf keine Insel des Wohlstands werden


Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat die Wiedervereinigung Deutschlands vor 25 Jahren als großes Geschenk bezeichnet, das sich gleichzeitig in Europa weiter entwickeln müsse. Beim St. Michael-Jahresempfang am Dienstagabend in Berlin betonte er, dass mit der Wiedervereinigung viele Bilder und Hoffnungen erfüllt worden seien. Gleichzeitig stünden Deutschland und Europa heute noch vor großen Herausforderungen.

Kardinal Marx sprach vor mehr als 800 Gästen, unter ihnen Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel, zum Thema „Beten – Denken – Arbeiten: Eine Ermutigung zur Politik“. Dabei sprach er zu aktuellen Fragen der Flüchtlingskrise in Europa:

„Niemand – ich glaube es jedenfalls - kann im Augenblick sagen: Wie wird eine positive Entwicklung in den nächsten Jahren aussehen? Viele fragen sich, wie es sicherer werden kann, wie kann die Entwicklung dieser Länder vorangehen, dass wir nicht eine Insel des Wohlstands werden - und an unseren Grenzen die Unruhen, die prekären Verhältnisse, die Zerbrechlichkeit und Bedrohung zunehmen. Und innerhalb Europas die Spannungen, das Misstrauen, das Überlegen, was das Projekt Europas eigentlich bedeutet eher zugenommen hat.“

Europa brauche gemeinsame, klar definierte Standards, so Marx. In Deutschland und allen Ländern der Europäischen Union müsse klar sein, dass jede Person menschenwürdig behandelt werde und ein faires Verfahren erhalte. Auf dieses Minimum an Standards müsse sich Europa verständigen. Andernfalls sei die Identität Europas in Gefahr.

„Viele machen sich Sorgen um die Identität Europas, berufen sich auf eine Identität, die sich definiert nach dem Motto „Wir und die Anderen“. Aber so findet man keine Identität. Die Identität Europas ist nicht „Wir und die anderen da draußen“, sondern das Suchen nach einer neuen Einheit und einem neuen Miteinander. Nach einer neuen Zukunftsperspektive, die natürlich getragen ist von der großen Tradition Europas. Die geprägt ist von dem Suchen nach Menschenwürde, nach der Verteidigung der Freiheit – das ist die Identität Europas. Europa verliert die Identität, wenn es die Flüchtlinge nicht menschenwürdig behandeln würde. Das wäre ein Angriff auf die Identität Europas.“

25 Jahre nach der deutschen Einheit müsse klar sein, dass diese nicht nur innerhalb Deutschlands vollendet werden könne, sondern in Europa und in der Welt. Auch dürfe es keine deutschen Interessen geben, ohne die Interessen der anderen, besonders der Armen, zu berücksichtigen. Hierbei berief Kardinal Marx sich auf die Worte von Papst Franziskus, der ein Umdenken bei der globalen Wirtschaftsordnung fordert:

„Es braucht ein umfassenderes Bild von Wachstum und Fortschritt. Das ist eigentlich die Intention des Papstes. Auch die Diskussionen, die wir im Bereich von TTIP führen, müssen auf diese Ausrichtung mit achten. Dass man sieht, es geht nicht nur um Wirtschaftswachstum. Darum geht es auch. Es geht aber auch darum, dass die Chancen für die Armen größer werden. Und dass die Ungleichheit, die ja auch eine Ursache ist für die Wanderungsbewegung - und der Klimawandel kann das noch einmal verschärfen und befördern – dass diese Ungleichheit Schritt für Schritt überwunden wird beziehungsweise nicht zu groß wird.“

Wenige Wochen vor Beginn der Weltbischofssynode zu Ehe und Familie warnte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz vor einer neuen Definition der Ehe durch staatliche Organe. Ehe und Familie seien vor dem Staat da gewesen und könnten nicht von ihm „neu definiert" werden, sagte Marx. Die überwiegende Mehrheit der Menschen wünsche sich eine lebenslange Verbindung zwischen Mann und Frau sowie Kinder. Gleichzeitig bekräftigte der Münchner Erzbischof, dass jede Diskriminierung überwunden werden müsse. An dieser Stelle müsse auch die Kirche wohl noch deutlicher werden als bisher.

(domradio/rv 09.09.2015 cz)








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