2015-07-15 13:13:00

Deutscher Missionar bestätigt: Keine Ebola-Entwarnung in Sierra Leone


Die Ebola-Epidemie hält die Welt weiterhin in Atem: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat inzwischen 27.000 Ebola-Fälle registriert. In den drei am schwersten betroffenen Ländern Sierra Leone, Guinea und Liberia hat die Epidemie mittlerweile mehr als 11.000 Menschenleben gekostet. Salesianerbruder Lothar Wagner ist Leiter von Don Bosco Fambul in Sierra Leones Hauptstadt Freetown. Im Telefoninterview mit dem deutschen Kindermissionswerk berichtet er über die aktuelle Ebola-Situation. Mit seiner letzten E-Mail vom Montag kamen die ernüchternden Zahlen: 14 neue Ebola-Fälle – alle in den bisher bekannten Krisengebieten.

„Seit Monaten gibt es jede Woche rund zehn Neuinfektionen. Die Ebola ist also immer noch da und sie war immer da. Zu keiner Zeit gab es keine Ebola-Fälle. Es bestätigt sich jetzt, dass es einfacher ist, von 100 Fällen auf zehn zu kommen, als von zehn auf null. Die Regierung hat die dreiwöchige Ausgangssperre für den Norden des Landes bis zum 30. September noch einmal deutlich verlängert. Auch der landesweite Notstand bleibt weiterhin in Kraft. Und das, so denke ich, wird wohl auch bis Jahresende der Fall bleiben. Bei den Menschen herrschen Resignation und Armut. Hunger und Not macht sich einfach breit, und zwar sichtbar breit.“

Große Erleichterung ging durch Liberia, als die Weltgesundheitsorganisation am 9. Mai die Ebola-Epidemie für beendet erklärte. 42 Tage lang hatte es keinen neuen Fall in dem westafrikanischen Land gegeben. Damit, so hoffte die Bevölkerung, sei die verheerende Epidemie nach fast eineinhalb dramatischen Jahren besiegt. Doch so leicht lässt sich das Virus nicht ausmerzen.

Bruder Lothar: „Das, was ich seit einem Jahr sage, gilt auch heute immer noch: Viele Menschen glauben, dass man die Pandemie vom Büro aus steuern kann. Es fehlen einfach nach wie vor Helfer, die effektiv und effizient arbeiten und direkt bei den Menschen sind. Das fängt damit an, dass es auch zwischen den großen Organisationen, vor allem den Organisationen der Vereinten Nationen, keine gute Zusammenarbeit gibt. Der Informationsfluss an die Bevölkerung ist immer noch mangelhaft. Auch hier müssen sich die Organisationen fragen, wie ihre Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen in der Vergangenheit gelaufen sind.

Jetzt zeigt sich noch ein weiteres ganz großes Problem: Menschen, die in Kontakt mit Ebola-Patienten waren, brechen aus Quarantänezonen aus. Das ist möglich, wenn die Polizisten und Soldaten bestochen werden, und das führt natürlich die Quarantänezone ad absurdum. Es ist logisch, dass so irgendwann und irgendwo neue Krankheitsfälle auftauchen.“

Die aktuellen Schwerpunkte der Arbeit von Don Bosco Fambul „nach“ der großen Pandemie betreffen vor allem die Straßenkinder, so Salesianerbruder Wagner.

„Die Situation der Straßenkinder hat sich durch die Pandemie nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Daher sind die Sozialarbeiter natürlich auch nachts unterwegs. Wir kümmern uns täglich um die Kinder im Zentralgefängnis von Freetown. Wir haben festgestellt, dass ihre Zahl zugenommen hat. Verschiedene Organisationen melden außerdem eine Zunahme an Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen. Das bekommen wir besonders in unserem Frauenhaus zu spüren. Erst gestern haben wir ein neunjähriges Mädchen aufgenommen, das von fünf Männern vergewaltigt wurde. Da muss Don Bosco natürlich da sein, ob mit oder ohne Ebola. Unsere Kinder-Telefonberatung, die schon seit fünf Jahren arbeitet, ist nach wie vor gefordert. Hier müssen wir die Schlagzahl wieder erhöhen. Da bin ich sehr dankbar über die gute Zusammenarbeit mit dem Kindermissionswerk „Die Sternsinger“. So können wir ein zentrales Element der Gesundheitsvorsorge und der Krisenintervention anbieten. Wir stehen weiterhin vor großen Herausforderungen. Natürlich müssen wir die Kinder in den Mittelpunkt stellen, die traumatisiert sind, die Belastungsstörungen haben, die aus der Schule ausgeschlossen oder aus ihren Familien verstoßen worden sind. Das ist natürlich eine Herkulesaufgabe, die da auf uns wartet.“

Zur Prognose für die nächste Zeit sagt der Missionar in Sierra Leone:

„Ich befürchte, dass uns Ebola noch eine lange Zeit erhalten bleiben wird. Den Kampagnen der Weltgesundheitsorganisation, die postulieren, dass es bald zu Ende ist, schließe ich mich nicht an. Bei vielen Menschen hier herrscht mittlerweile eine Gleichgültigkeit vor, nach dem Motto: „Es ist mir doch egal, ob ich an Malaria, Cholera, Typhus oder Ebola erkranke und sterbe. Die medizinische Versorgung ist einfach katastrophal. Das Versagen der Weltgesundheitsorganisation geht meines Erachtens weiter.

Erst vergangene Woche konnten wir einen vierjährigen Jungen mit einer Ebola-Folgeerkrankung an der Universitätsklinik in Erlangen versorgen lassen. Da stelle ich mir natürlich die Frage: Warum ist das notwendig? Warum kann die Weltgesundheitsorganisation nicht hier vor Ort Ebola-Infizierten medizinische Hilfe anbieten. Was ist mit den vielen Menschen, die nicht die Möglichkeit bekommen, in Deutschland behandelt zu werden? Es werden Millionen Euro Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, die müssen aber direkt und unmittelbar bei den Menschen ankommen. Solange das nicht der Fall ist, herrscht hier bei den Menschen eine Resignation – und das ist fatal für die Bekämpfung der Ebola, weil dann die Bereitschaft der Bevölkerung auch nachlässt. Ich denke, da können wir bei Don Bosco gemeinsam mit dem Kindermissionswerk doch einiges vorweisen, wenn es denn heißt, mit den Menschen sein und direkt und unmittelbar zu helfen.“

Zur Person

Bruder Lothar Wagner (41) lebt seit sechs Jahren in Sierra Leone. In der Hauptstadt Freetown leitet er das Don Bosco Zentrum Fambul (zu Deutsch „Familie“). Der deutsche Salesianerbruder und sein Team kümmern sich vor allem um Straßenkinder. Sie begleiten die Mädchen und Jungen von der medizinischen und sozialen Erstversorgung bis hin zum Schulbesuch und der Versöhnung mit der Familie. Sport und Spiel sind dabei ebenso Therapiebestandteile wie Anti-Gewalttraining, HIV- und Aids-Aufklärung und aktuell auch Ebola-Prävention und -Aufklärung. Das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ unterstützt die Arbeit von Don Bosco Fambul seit vielen Jahren.

(pm 15.07.2015 mg)








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