2015-07-09 13:32:00

Was Jorge Bergoglio einer paraguayischen Kommunistin verdankt


Papst Franziskus will bei seiner Reise nach Ecuador, Bolivien und Paraguay zur Aufarbeitung der früheren Diktaturen beitragen, die bisher in weiten Teilen nur bruchstückhaft geschehen ist. Das Anliegen ist eng mit der Biografie des Pontifex aus Argentinien verknüpft. In den späten 1970er-Jahren hat Jorge Mario Bergoglio das damalige brutale Militärregime seiner Heimat hautnah miterlebt. Was  Paraguay betrifft, wohin Franziskus am Freitag reist, kommt ein großes persönliches Trauma des Papstes in diesem Kontext ins Spiel. Ein Kathpress-Hintergrundbericht von Johannes Pernsteiner.

In seiner Funktion als argentinischer Jesuitenprovinzial hatte Bergoglio zur Rettung zahlreicher Menschen vor dem Staatsterror beigetragen - teils mit Erfolg, aber nicht immer. Denn für manche Weggefährten und Freunde war der Einsatz vergeblich. Zu Letzteren gehörte Esther Ballestrino de Careaga (1918-1977). Die Paraguayanerin und Menschenrechtsaktivistin war die erste Arbeitgeberin des heutigen Papstes.

Eine „großartige Frau", humorvoll und eine „außergewöhnliche Chefin" sei Esther Ballestrino gewesen, gab Bergoglio an, als er 2010 über seine Funktion als Ordensoberer bei jenem Tribunal aussagte, das sich der Aufarbeitung der argentinischen Diktatur widmete. Der promovierten Biochemikerin und Pharmazeutin verdanke er viel - etwa, dass er von ihr den Wert und Ernst der Arbeit gelernt habe. „Sie war eine Frau, die mir beigebracht hat, wie man arbeitet. Wie man exakte Analysen rund um Glycerin und ähnliche Substanzen durchführt, und wie man gut wissenschaftlich arbeitet."

Die Zeit, auf die sich Bergoglio bezog, waren die Jahre 1953 und 1954. Jorge Mario war gerade 17. Er versuchte sich als Chemielaborant, die promovierte Biochemikerin und Pharmazeutin Ballestrino, die aus Paraguay flüchten musste,  leitete das Labor in Buenos Aires. 

Im Buch „El Jesuita" wird Bergoglio sogar damit zitiert, die Arbeit sei „eines jener Dinge im Leben, die mir am besten getan haben", gewesen, und er sei seinem Vater Mario Jose Francisco stets dankbar dafür gewesen, dass er ihn arbeiten geschickt habe, habe er doch im „das gute und schlechte von jeder menschlichen Arbeit gelernt".

Doch auch Bergoglios Interesse für Politik wurde laut seinen Angaben von Ballestrino geweckt. Die Paraguayerin war bekennende Kommunistin und in ihrer Heimat Gründerin und Generalsekretärin der feministischen Bewegung gewesen. Sie gehörte einer revolutionären Partei sozialistischer Prägung an, weshalb sie von der Militärdiktatur unter Higinio Morinigo verfolgt wurde. 1947 flüchtete sie ins Exil im benachbarten Argentinien, heiratete hier und hatte drei Töchter. Immer wieder versorgte sie den heutigen Papst mit Lesestoff, anschließend wurde darüber diskutiert.

Just in die Chemielaborszeit fiel für den jungen Bergoglio der Moment seiner Berufung zum Priestertum.  Er trat in den Jesuitenorden sowie ins Priesterseminar ein, der freundschaftliche Kontakt zu der um 18 Jahre älteren Ballestrino blieb jedoch trotz getrennter Wege bestehen.

Entführung, Folter und Ermordung

Der argentinische Staatsstreich vom 24. März 1976 durch General Jorge Videla und dessen Repressalien gegen mutmaßlich Oppositionelle stellte alles unter neue Vorzeichen: Zwei Schwiegersöhne und eine im dritten Monat schwangere Tochter Ballestrinos wurden entführt und gefoltert, worauf die Chemikerin mit anderen Angehörigen von Verschwundenen die Gruppe „Madres de la Plaza de Mayo" gründete. Nach der geglückten Freilassung der Tochter floh Ballestrino mit ihrer Familie nach Brasilien und Schweden, kehrte jedoch bald wieder nach Argentinien zurück mit dem Vorhaben, weiter für die Auffindung von Entführungsopfern zu kämpfen.

Zur letzten Begegnung von Bergoglio mit seiner früheren Chefin kam es, als Ballestrino den Jesuitenoberen am Telefon um die Krankensalbung für ihre Schwiegermutter bat. Der heutige Papst erfüllte den Wunsch, wenngleich er ihm eigenartig vorkam, auch wenn die Schwiegermutter als einzige der Familie gläubig und „einigermaßen fromm" gewesen sei. Ballestrino nutzte die Gelegenheit, um den Ordensmann um ein Versteck für die Bibliothek zu fragen; ihr war bewusst, dass das Regime jede ihrer Aktivitäten überwachen ließ.

Längst waren auch die geheimen Treffen der „Madres de la Plaza de Mayo", die in der Kirche „Santa Cruz" stattfanden, infiltriert. 13 Mitglieder - darunter Ballestrino sowie zwei französische Ordensschwestern, Alice Domon und Leonie Duquet - flogen am 8. Dezember 1977 durch einen Spion der Armee auf, der der Gruppe als vermeintlicher Angehöriger eines Verschwundenen beigetreten war. Sie wurden von einem Kommando der Diktatur verschleppt, zehn Tage lang gefoltert und schließlich auf einem der zu trauriger Berühmtheit gelangten Todesflüge umgebracht. Als Todesdatum gilt der 18. Dezember 1977. 

Vergeblicher Einsatz

Gegenüber dem Tribunal erklärte Bergoglio 2010, er sei „erschüttert" gewesen, als er von der Verschleppung und Ermordung Ballestrinos erfuhr. Der Jesuitenprovinzial wollte sich mit Verwandten der Aktivistin in Verbindung setzen, doch waren diese untergetaucht. Er suchte deshalb den Kontakt mit Menschenrechtlern - in der Hoffnung, diese könnten aufgrund ihrer Beziehungen Näheres in Erfahrung bringen oder etwas für die Verschwundenen unternehmen. Er sprach vor bei Mitarbeitern der Rechtsabteilung der Erzdiözese, die formell für den Behördenkontakt zuständig waren.

Erst 2005 wurden die sterblichen Überreste Ballestrinos und ihrer Mitstreiter identifiziert. Sie waren 1978 an der Küste bei Buenos Aires aufgefunden und in ein Massengrab geworfen worden. Bergoglio, nunmehr Kardinal und Erzbischof der Hauptstadt-Diözese, gab die Erlaubnis für eine Bestattung in der Kirche Santa Cruz, die seither eine Gedenkstätte ist.

(kap 09.07.2015 pr)








All the contents on this site are copyrighted ©.