2015-07-08 17:30:00

Papst warnt in Ecuador vor „spirituellem Alzheimer”


Mehrere Tage lang hielt die Disziplin: bis zu diesem Mittwoch, um genau zu sein. Im Marienwallfahrtsort El Quinche bei Quito (Ecuador) vertraute Papst Franziskus seinen Zuhörern – vor allem Priestern und Ordensleuten – an, er habe eine Rede vorbereitet, aber „keine Lust, sie vorzulesen“. Also sprach der Papst zum ersten Mal auf seiner Lateinamerika-Reise völlig frei, und der Redetext wurde lediglich schriftlich überreicht. Da war er wieder, Franziskus, der spontane Papst.

In den Tagen, die er in Ecuador verbracht habe, sei ihm etwas „Seltsames“ am ecuadorianischen Volk und der Art und Weise, wie es ihn empfing, aufgefallen, setzte er an: „Was ist das Rezept dieses Volkes, hab ich mich gefragt.“ Er glaube, die Antwort hänge mit der Weihe Ecuadors ans Heilige Herz Jesu zusammen, dort komme „dieser ganze spirituelle, tiefe Reichtum, den ihr habt“, her. „Jesus liebt uns so sehr! Natürlich sind wir alle Sünder, ich auch - aber der Herr verzeiht alles...“ Franziskus wörtlich: „Vergessen Sie nicht, diese Weihe ist ein Meilenstein in der Geschichte Ecuadors. Von hier kommt die Gnade dieses Landes, etwas, das es speziell macht.“

„Wir sind die Objekte der Unentgeltlichkeit Gottes“

Dann meditierte der Papst über ein Wort Mariens bei der Hochzeit von Kana – eine Anweisung, die sie Dienern mit Blick auf Jesus gab: „Was er euch sagt, das tut.“ Maria sei „nie die Hauptperson“ gewesen, „sie hat sich immer in die letzte Reihe gestellt - die erste Jüngerin Jesu“. Was sie aber auszeichnete, so Papst Franziskus, das war das „Bewusstsein, dass alles von Gott kommt“. Er forderte seine Zuhörer auf: „Erinnern Sie sich jeden Tag an die Unentgeltlichkeit, mit der Gott uns beschenkt! Sie haben keinen Eintritt bezahlt, ums ins Seminar und ins religiöse Leben einzutreten, und Sie haben das nicht verdient, Priester oder Ordensleute zu werden. Alles umsonst... Alle, auch die Bischöfe, müssen auf diesem Weg der Unentgeltlichkeit vorangehen. Wir sind die Objekte der Unentgeltlichkeit Gottes! Wenn wir das vergessen, werden wir uns allmählich für wichtig halten und uns von dem entfernen, was Maria immer vor Augen stand: die Unentgeltlichkeit Gottes.“

Franziskus wies auf „Redemptoris Mater“ des hl. Johannes Paul II. hin. Dort stehe sinngemäß: „ Maria hätte sich im Moment, wo sie unter dem Kreuz stand, betrogen fühlen können. Aber das tat sie nicht!“ Er empfehle allen Menschen mit einem geistlichen Beruf „als ein Vater: Überantworten Sie sich jeden Abend der Unentgeltlichkeit Gottes... Denken Sie jeden Tag daran: Keiner von uns hat das verdient, was wir erreicht haben.“

Erneute Papst-Warnung vor „spirituellem Alzheimer“

Wie schon in seiner vielbeachteten Weihnachtsansprache an die römische Kurie im Dezember letzten Jahres warnte der Papst außerdem vor der „Krankheit des spirituellen Alzheimer“. „Verlieren Sie nicht das Gedächtnis! Vor allem denken Sie immer daran, wo Sie herkommen. Verleugnen Sie Ihre Wurzeln nicht, fühlen Sie sich nicht bevorzugt!“ Unentgeltlichkeit sei „eine Gnade, die nicht mit der Vorstellung von Beförderung zusammenpasst“. Franziskus wörtlich: „Wer in der Kirche eine Karriere machen will, der bekommt spirituelles Alzheimer, denn er vergisst, woher er kommt. Vergessen Sie den Dialekt, die Sprache Ihrer Kindheit nicht!“ Das sage er gerade in einem Land wie Ecuador, das über viele einheimische Sprachen verfüge. 

Unentgeltlichkeit und Gedächtnis nannte der Papst „die zwei Säulen unseres spirituellen Lebens“. Es sei „eine tägliche Arbeit, diese zwei Prinzipien zu leben“. „Das wird Ihnen erlauben, Ihr Leben im Geist des Dienens und voller Freude zu führen.“ Eine Haltung des Dienens sei gerade dann wichtig, „wenn wir müde sind und wenn die Leute uns auf die Nerven gehen“, so Franziskus. „Wer auf dem Weg des Dienens geht, darf nicht die Geduld mit den Leuten verlieren, denn dieser Dienst gehört ihm nicht.“ Und er fuhr fort: „Bitte, bitte: Setzen Sie keine Preise fuer die Gnade fest! Ihre Seelsorge soll gratis sein, sonst verliert sie etwas Wesentliches.“ 

„Wir gehören nicht mehr uns selbst“

Franziskus war an der Wallfahrtskirche von El Quinche ausgesprochen enthusiastisch empfangen worden; Sicherheitsbeamte mussten Ordensfrauen daran hindern, ihn am Gewand zu zerren. Vor dem Gnadenbild in der Kirche legte der Papst nach kurzem Gebet einen Blumenstrauß nieder. Auf dem Podium draußen hieß ihn u.a. ein Priester schwarzer Hautfarbe willkommen, der unter starkem Applaus der Menge die einzelnen ethnischen Gruppen der Teilnehmer aufzählte. Eine junge Ordensfrau stellte in einer kurzen Rede das Ordensleben als einen Gegenentwurf zur Gesellschaft dar, als Hinweis auf die gelebte „Utopie“ der Gerechtigkeit. Zum Schluß der Begegnung überreichten die Patres, die die Basilika betreuen, dem Papst ein Miniaturmodell der Kirche. 

„Was er euch sagt, das tut“: Von diesem Satz Mariens im Johannesevangelium geht auch der schriftliche Redetext des Papstes aus, den er nicht verlies. Wer in der Kirche einen besonderen Auftrag habe, solle sich an diesen Worten Marias orientieren. Der Marienwallfahrtsort El Quinche erinnere an die Darbringung der Jungfrau im Tempel – und damit daran, dass es ein Kind war, Maria, das von Gott erwählt wurde. Das sei eine Tatsache, die sich häufig in der Heiligen Schrift wiederhole: Gott antworte auf die Klage seines Volkes, indem er ein schwaches Kind schicke.

„Dies bewahrt uns vor der Selbstbezogenheit“, so Franziskus in dem schriftlichen Text. „Es gibt uns zu verstehen, dass wir nicht mehr uns gehören, dass unsere Berufung von uns verlangt, uns von allem Egoismus, von allem Streben nach materiellem Gewinn oder affektivem Ausgleich abzuwenden, wie uns das Evangelium gesagt hat. Wir sind keine Tagelöhner sondern Diener. Wir sind nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen, und das tun wir in völliger Loslösung, ohne Stock und ohne Vorratstasche.“

Er bete darum, dass dieses Heiligtum alle daran erinnere, von den „egoistischen Interessen und den übermäßigen Sorgen um uns selbst“ herabzusteigen, sie sollten alle nicht vergessen, wovon Gott die Menschen gerettet habe, mahnte der Papst. „Die „Vollmacht“, welche die Apostel von Jesus empfangen, ist nicht für ihren eigenen Vorteil bestimmt: Unsere Begabungen dienen der Erneuerung und dem Aufbau der Kirche. Weigert euch nicht zu teilen, sträubt euch nicht zu schenken, schließt euch nicht in die Bequemlichkeit ein, seid Quellen, die überfließen und die anderen erfrischen, besonders die, die durch die Sünde, die Enttäuschung und den Groll bedrückt sind“.

Kirche: „eine Schule der Gemeinschaft“

Außer dieser Selbstlosigkeit betonte der Papst die Beharrlichkeit als Charakteristikum des Auftrags in der Kirche. „Beharrlichkeit in der Mission bedeutet, nicht von einem Haus in ein anderes zu ziehen (vgl. Lk 10,7) auf der Suche, wo man uns besser behandelt, wo es mehr Mittel und Annehmlichkeiten gibt.“ Diese Beharrlichkeit habe mit Jesus und dessen Schicksal zu tun, das sei der Maßstab.

Ein Drittes lehre das Heiligtum alle, die einen Auftrag in der Kirche hätten, fuhr Papst Franziskus fort. Der Ort habe sich seit den Zeiten der Inka zu einer multi-ethnischen Siedlung herangebildet. Kirche solle eine Schule der Gemeinschaft sein, dazu griff der Papst den von ihm gerne verwendeten Begriff der „Kultur der Begegnung“ auf. All das vereine sich zum Auftrag der Seelsorger in der Kirche und zeige sich besonders in ihren Aufgaben. Als eine ganz wichtige dieser Aufgaben nannte der Papst die Pflege der Volksfrömmigkeit. Das sei die Weise, in der der Glaube sich in einer eigenen Sprache ausdrücke.

Und all diese Aufgaben lies der Papst in dem Mantra münden, das er gerne zu diesen Anlässen wiederholt: „Eine Kirche im Aufbruch ist eine Kirche, die sich nähert, die sich anpasst, um nicht weit weg zu sein, die aus der eigenen Bequemlichkeit herausgeht und den Mut hat, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen.“

(rv 08.08.2015 ord)








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