Volltext der Predigt von Papst Franziskus bei der Heiligen Messe in Quito am 7. Juli, Originaltext mit den frei gesprochenen Einschüben
Das Wort Gottes lädt uns ein, die Einheit zu leben, damit die Welt glaubt (vgl. Joh 17,21).
Ich stelle mir jenes Flüstern Jesu beim Letzten Abendmahl wie einen Jubelruf in dieser Messe vor, die wir im „Bicentenario-Park“ feiern, stellen wir uns das gemeinsam vor! In dem Park der Zweihundertjahrfeier jenes Jubelrufes der Unabhängigkeit Lateinamerikas. Das war ein Ruf, der aus dem Bewusstsein des Mangels an Freiheit, der Unterdrückung und Plünderung, der Unterwerfung unter die „zufälligen Nützlichkeiten der jeweiligen Machthaber“ hervorging (Evangelii gaudium 213).
Ich möchte, dass heute die beiden Jubelrufe angesichts der schönen Herausforderung der Evangelisierung tief übereinstimmen. Diese soll nicht von hochtönenden Worten ausgehen oder mit komplizierten Begriffen arbeiten, sondern aus der „Freude des Evangeliums“ entspringen, die „das Herz und das gesamte Leben derer erfüllt, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung“ (Evangelii gaudium 1). Wir, die wir uns hier alle mit Jesus um den Tisch versammelt haben, sind ein Jubelruf, ein Schrei, welcher aus der Überzeugung hervorgeht, dass seine Anwesenheit uns zur Einheit antreibt, dass sie „einen schönen Horizont aufzeigt, ein erstrebenswertes Festmahl anbietet“ (Evangelii gaudium 14).
„Vater, sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt“ (vgl. Joh 17,21), so wünschte es sich Jesus und erhob seine Augen zum Himmel. Diese Bitte bricht aus Jesus hervor im Zusammenhang mit einer Sendung: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh 17,18). In diesem Augenblick erfährt der Herr ganz persönlich die zunehmende Bosheit dieser Welt, die er trotzdem wie verrückt liebt: Intrigen, Misstrauen, Verrat – aber er zieht nicht den Kopf ein, er beklagt sich nicht. – Auch wir stellen tagtäglich fest, dass wir in einer Welt leben, die von Kriegen und Gewalt zerrissen ist. Es wäre oberflächlich zu denken, dass Spaltung und Hass sich nur auf die Spannungen zwischen Ländern und sozialen Gruppen beziehen. In Wirklichkeit sind sie ein Ausdruck dieses „verbreiteten Individualismus“, der uns trennt und uns gegeneinander stellt (vgl. Evangelii gaudium 99), ein Ausdruck dieser Wunde der Sünde im Herzen der Menschen, unter deren Folgen auch die Gesellschaft und die ganze Schöpfung leiden. In ebendiese herausfordernde Welt mit ihren Egoismen sendet uns Jesus, und unsere Antwort ist nicht, uns dumm zu stellen, uns damit herauszureden, dass wir keine Mittel haben oder dass die Wirklichkeit unsere Möglichkeiten übersteigt. Unsere Antwort wiederholt den Ruf Jesu und nimmt die Gnade und den Auftrag zur Einheit an.
Dem damaligen Ruf nach Freiheit, der vor etwas mehr als zweihundert Jahren hervorbrach, fehlte es weder an Überzeugung, noch an Kraft. Aber die Geschichte lehrt uns, dass er erst dann durchschlagend war, als er die Personalismen und das Streben nach einer einzigen Führung beiseite ließ und den Mangel an Verständnis für andere Befreiungsprozesse überwand, die anders geartete Charakteristiken besaßen, darum aber nicht antagonistisch waren.
Und die Evangelisierung kann ein Mittel der Einheit in Bestrebungen, Sensibilitäten, Wunschträumen und sogar in gewissen Utopien sein. Selbstverständlich; wir glauben daran und wir rufen es hinaus. Ich sagte bereits: „Während in der Welt, besonders in einigen Ländern, erneut verschiedene Formen von Kriegen und Auseinandersetzungen aufkommen, beharren wir Christen auf dem Vorschlag, den anderen anzuerkennen, die Wunden zu heilen, Brücken zu bauen, Beziehungen zu knüpfen und einander zu helfen, so dass »einer des anderen Last trage« (Gal 6,2)“ (Evangelii gaudium 67). Die Sehnsucht nach Einheit ist „die innige und tröstende Freude der Verkündigung des Evangeliums“ (Paul VI., Evangelii nuntiandi 80), die Überzeugung, ein unermessliches Gut zu haben, das zu teilen ist, und wenn es geteilt wird, Wurzeln fasst; und jeder Mensch, der diese Erfahrung gemacht hat, wird sensibler für die Bedürfnisse der anderen (vgl. Evangelii gaudium 9). Von daher ist es notwendig, für die Inklusion auf allen Ebenen zu kämpfen, ja, für die Inklusion auf allen Ebenen zu kämpfen, die Egoismen zu vermeiden, die Kommunikation und den Dialog zu fördern sowie zur Zusammenarbeit zu ermutigen. Man soll „das Herz ohne Ängstlichkeit dem Weggefährten anvertrauen, ohne Misstrauen, und vor allem auf das schauen, was wir suchen: den Frieden im Angesicht des einen Gottes. Sich dem anderen anvertrauen ist etwas »Selbstgemachtes«. Der Friede ist selbstgemacht” (Evangelii gaudium 244). Es ist undenkbar, dass die Einheit aufstrahlt, wenn uns die geistliche Weltlichkeit durch ein steriles Streben nach Macht, Prestige, Vergnügen oder wirtschaftlicher Sicherheit in einem Krieg unter uns beharren lässt. Dieses Streben lebt auf Kosten der Ärmsten, der Schwächsten, der Ausgeschlossenen.
Diese Einheit ist bereits eine missionarische Tätigkeit „damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). Die Evangelisierung besteht nicht darin, Proselytismus zu betreiben, Proselytismus, diese Karrikatur der Verkündigung. Sondern sie besteht darin, mit unserem Zeugnis die Fernstehenden anzuziehen und in Demut auf jene zuzugehen, die sich fern von Gott und der Kirche fühlen, die furchtsam oder gleichgültig sind, um ihnen zu sagen: „Der Herr ruft auch dich, Teil seines Volkes zu sein, und er tut es mit großer Achtung und großer Liebe!“ (Evangelii gaudium 113). Denn Gott respektiert uns, trotz unserer Sünden.
Die Sendung der Kirche als Sakrament des Heils steht im Einklang mit ihrer Identität als pilgerndes Volk, mit ihrer Berufung, auf ihrem Weg alle Völker der Erde aufzunehmen. Die Kirche in den Kontext der Mission zu stellen heißt für uns, die Gemeinschaft wiederherzustellen, da es nicht mehr um eine nur nach außen gerichtete Tätigkeit geht... Wir missionieren nach innen, und wir missionieren nach außen und zeigen uns dabei „ als Mutter …, die dem Menschen entgegengeht, als ein gastfreundliches Haus und eine ständige Schule missionarischer Gemeinschaft“ (Dokument von Aparecida, 370).
Dieser Traum Jesu ist möglich, denn er hat uns geheiligt: „Ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,19). Das geistliche Leben des Verkünders des Evangeliums geht aus dieser so tiefen Wahrheit hervor und ist nicht zu verwechseln mit manchen religiösen Momenten, die einen gewissen Trost schenken; der Auftrag Jesu ist konkret, „geht und handelt genauso“, „geht und handelt genauso“, wie er es nach dem Gleichnis des barmherzigen Samariters gesagt hat, „geht und handelt genauso“. Jesus heiligt uns, um eine persönliche Begegnung mit ihm auszulösen, welche die Begegnung mit den anderen, den Einsatz in der Welt und die Leidenschaft für die Evangelisierung nährt (vgl. Evangelii gaudium 78).
Das Innere Gottes, das uns unbegreiflich ist, wird uns in Bildern geoffenbart, die uns von Gemeinschaft sprechen, von Mitteilung, von Schenkung und Liebe. Darum ist die Einheit, um die Jesus bittet, nicht Einförmigkeit, „sondern vielgestaltige Harmonie, die anzieht“ (Evangelii gaudium 117). Der unermessliche Reichtum der Mannigfaltigkeit, die Vielheit, die jedes Mal, wenn wir das Gedächtnis jenes Gründonnerstags begehen, die Einheit erreicht, entfernt uns von der Versuchung durch Vorschläge, die eher Diktaturen, Ideologien oder dem Sektenwesen ähneln. Ebenso wenig ist es eine Übereinkunft nach unserem Maß, in der wir es sind, die die Bedingungen stellen, die Mitglieder wählen und die anderen ausschließen. Jesus betet, dass wir Teil einer großen Familie werden, in der Gott unser Vater ist und wir alle Geschwister sind. Dies baut nicht darauf auf, den gleichen Geschmack, die gleichen Sorgen und die gleichen Talente zu haben. Wir sind Geschwister und niemand ist ausgeschlossen, weil Gott uns aus Liebe erschaffen und uns allein durch seinen Ratschluss dazu bestimmt hat, seine Kinder zu sein (vgl. Eph 1,5). Wir sind Geschwister, weil „Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz sandte, den Geist, der ruft: Abba! Vater!“(Gal 4,6). Wir sind Geschwister, weil wir durch das Blut Jesu Christi gerechtfertigt sind (vgl. Röm 5,9), weil wir vom Tod zum Leben hinübergegangen und „Erben“ der Verheißung geworden sind (vgl. Gal 3,26-29; Röm 8,17). Dies ist das Heil, das Gott wirkt und das die Kirche freudig verkündet: Teil des göttlichen „Wir“ zu sein.
Unser Jubelruf an diesem Ort, der an jenen ersten Jubelruf der Freiheit erinnert, aktualisiert das Wort des heiligen Paulus: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16). Er ist ebenso dringend und unerlässlich wie jener der Sehnsucht nach Unabhängigkeit. Er hat eine ähnliche Faszination, das gleiche Feuer, das anzieht. Seid ein Zeugnis der brüderlichen Gemeinschaft, das hinausstrahlt!
Wie schön wäre es, wenn alle bewundern könnten, wie wir füreinander sorgen. Wie wir uns gegenseitig ermutigen und einander begleiten. Die Selbsthingabe ist das, was die zwischenmenschliche Beziehung begründet, die nicht dadurch entsteht, dass man „Dinge“ schenkt, sondern sich selbst. In jeder Gabe schenkt man seine eigene Person. „Sich geben“ heißt, in sich selbst die ganze Macht der Liebe, die der Geist Gottes ist, wirken zu lassen und damit den Weg für seine schöpferische Kraft freizugeben. Wenn der Mensch sich verschenkt, begegnet er wieder sich selbst in seiner wahren Identität als Kind Gottes, dem Vater ähnlich und wie er Lebensspender, als Bruder Jesu, von dem er Zeugnis gibt. Das heißt evangelisieren, das ist unsere Revolution, und weil unser Glaube immer revolutionär ist, ist das unser tiefster und ständiger Jubelruf.
(rv 07.07.2015 ord)
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