Die Welt der Arbeit war das Tor nach Turin – die erste Begegnung Papst Franziskus‘ fand auf dem Königsplatz statt, der Piazzetta Reale, eine Arbeiterin, ein Landwirt und ein Unternehmer begrüßten ihn in ihrer Stadt. Turin galt schon immer als eines der wirtschaftlichen Schwergewichte des Landes, es ist die Stadt von Fiat, Olivetti und Lavazza, mit allen Herausforderungen, die das mit sich gebracht hat und heute wieder mit sich bringt, besonders was die „klassische“ Industrie angeht, etwa Fiat. Außerdem ist Turin eine der säkularisiertesten Städte Italiens. Die Begegnung mit dem Papst war also bewusst gewählt, denn auch der Katholizismus in der Stadt ist von dieser Entwicklung geprägt.
Don Bosco, Pier Giorgio Frassati, Giuseppe Agostino Benedetto Cottolengo: Turin ist reich an Zeugen für einen aktiven Glauben, wie ihn das 19. und beginnende 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Und die Turiner Katholiken sind auch Stolz auf sie. Die Geschichte Italiens in dieser Zeit war turbulent und für die Kirche nicht immer einfach, die politische Einigung des Landes unter dem Königshaus der Savoyer aus Turin, die Industrialisierung im Norden, das Ausbilden von Parteien und Gewerkschaften und anderen sozialen Gruppen, alles das fiel zusammen.
Johannes Bosco ist der Bekannteste unter den berühmten Zeugen, und er ist auch der Anlass für den Papstbesuch. Die Ordensgemeinschaften der Salesianer Don Boscos feiert in diesem Jahr den 200. Geburtstag ihres Gründers, aus diesem Anlass wurde auch das Grabtuch außerhalb des normalen Rhythmus ausgestellt. Don Bosco ist vor allem wegen seiner pädagogischen Methoden im Umgang mit Jugendlichen berühmt geworden, in einer Zeit zerbrechender Familien und Beanspruchung durch die sich völlig ändernde Arbeitswelt. Diese Tradition wird bis heute in den Ordensgemeinschaften der Salesianerinnen und der Salesianer weiter geführt. Papst Franziskus ist bei den Salesianern am Sonntagnachmittag zu Gast.
Neben Don Bosco gehört auch ein weiterer Zeuge zu den so genannten „Turiner Sozialheiligen“ des 19. Jahrhunderts: Giuseppe Cottolengo. Er stand im Turin seiner Zeit vor allem für den Protest gegen die völlig unzureichende Gesundheitsversorgung. Die von ihm gegründete Institution, das kleine Haus der göttlichen Vorsehung, ist unter seinem Nachnamen „Cottolengo“ in Italien bis heute sprichwörtlich. Heute ist das „Cottolengo“ in Turin eine Institution für Menschen mit Behinderung, für Waisen, Sterbende und Kranke. Aus dem „Kleinen Haus“ ist allerdings ein ganzer Stadtteil geworden, 1.000 Menschen leben dort derzeit ständig, es gibt Hospize, Krankenhäuser und Heime. Papst Franziskus wird das Institut am Sonntagnachmittag besuchen.
Der dritte im Bunde ist Pier Giorgio Frassati, jung 1925 im Alter von 24 Jahren gestorben und damit Generationen jünger als die Sozialheiligen, aber auch er gehört in diesen Bereich. Er war sozial, kirchlich und politisch engagiert, in einer Zeit, in der der Vatikan parteipolitisches Engagement von Katholiken in Italien noch verbot. Er verband liberale Politik mit christlicher Überzeugung und kirchlichem Einsatz. Seliggesprochen 1990 liegt er in der Kathedrale der Stadt begraben, Papst Franziskus machte dort zu einem kurzen Gebet halt, nachdem er das Grabtuch besucht hatte.
Die Armut nehme auch in Turin zu, sagte der Erzbischof der Stadt, Cesare Nosilia, vor dem Papstbesuch im Interview mit Radio Vatikan. Gleichzeitig steige aber auch die Bereitschaft vieler, sich einzusetzen. Alle auf ihre eigene Art und Weise, wie auch die Sozialheiligen vor ihnen.
Aus Turin Pater Bernd Hagenkord für Radio Vatikan.
(rv 21.06.2015 ord)
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