Um Boko Haram langfristig zu bekämpfen, müssen parallel die Armut und Korruption in Nigeria angegangen werden – Militäreinsätze allein reichen nicht, um der Terrorsekte den Saft abzudrehen. Daran erinnert im Interview mit Radio Vatikan der Afrika-Experte Raffaello Zordan von der Kombonianer-Zeitschrift „Nigrizia“.
In Abuja sitzt seit Mai ein neuer Präsident. Muhammadu Buhari zeigt sich engagierter als sein Vorgänger im Kampf gegen die Islamisten: Mit einer multinationalen „Task Force“ will er Boko Haram systematisch zurückdrängen. 8.000 Mann aus Nigeria, Kamerun, Tschad, Niger und Benin soll die neue Truppe stark sein, bis Ende Juli soll sie einsatzfähig sein. Dass der Nachfolger von Goodluck Jonathan dem Terrorismus so entschieden den Kampf ansagt, hat mit den letzten Transformationen der Terrorgruppe zu tun, sagt Afrika-Experte Raffaello Zordan: Boko Haram destabilisiere nicht nur Nigeria, sondern inzwischen die gesamte Region. „Der ehemalige Präsident war gegenüber dieser Lage ein wenig nachgiebig und vermied, das Problem entschieden anzugehen. Sein Nachfolger muss dagegen ein Zeichen der Diskontinuität setzen – auch um den Tschad, Kamerun und Niger zu beruhigen, die über die Situation beunruhigt sind.“
Militäraktionen allein nützen wenig
Die tieferen Ursachen des Terrorismus lägen im sozialen Ungleichgewicht in Nigeria, so Zordan weiter: „Boko Haram ist für Nigeria nicht allein ein Sicherheitsrisiko: Die wirtschaftliche Rückständigkeit der nordöstlichen Regionen des Landes ist die Schmiede dieser Gruppierung, die Ursachen dieses Dschihadismus sind Armut und die Unfähigkeit, diesem Teil der Bevölkerung Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Diese Menschen werden am Rande der nigerianischen Wirtschaft gehalten, die – erinnern wir uns – eigentlich die stärkste auf dem afrikanischen Kontinent ist. Diese Militäroperation hat also nur einen Sinn, wenn dabei auch dieser Kontext berücksichtigt wird.“
Morde und Selbstmordattentate, Eroberungen ganzer Regionen und Entführungen – seit 2009 starben aufgrund von Boko Harams Gewalttaten über 15.000 Menschen. Es sind die Ausmaße eines Krieges, der nicht enden will: Im nordöstlichen Bundesstaat Borno attackierte die Terrorsekte zuletzt wieder drei Dörfer – Matangale, Buraltima und Dirmanti – und tötete mindestens 40 Zivilisten. Die Wurzeln der Gruppierung sind in sozialen Problemen des armen Nordosten auszumachen, erläutert Raffaello Zordan:
„Boko Haram ist als sozialpolitische Gegenbewegung zur Zentralregierung in Abuja entstanden und gründet sich auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Sicher – inzwischen hat die Gruppierung eine ideologische und terroristische Form angenommen, die nichts mehr mit den Forderungen zu tun hat, die sich damals zum Beispiel in teilweise heftigen Straßendemonstrationen entluden. Jetzt treibt Boko Haram die Idee voran, in Nigeria und im Umland des Tschadsees eine Art Islamischen Staat zu errichten.“
Der Terrorismus hat in der gesamten Region zu einem sozialen Drama geführt: Menschen fliehen massenhaft aus Nordnigeria, u.a. in die Nachbarländer. Ohnehin schon arme Zivilisten leben als Flüchtlinge in notdürftig installierten Camps unter mangelhaften hygienischen Bedingungen. Familien wurden auf der Flucht und durch Entführungen zerrissen. Traumata aufgrund erlittener Gewalt sind fast schon normal.
Ist Nigerias neue Führung in der Lage und willens, dieser humanitären Katastrophe zu begegnen? Die grassierende Korruption in Nigeria sei hier wohl das größte Hindernis, so Raffaello Zordan von der Afrika-Zeitschrift „Nigrizia“. Sie führe zu großen finanziellen Verlusten und ziehe Geld ab, das eigentlich den Opfern der Gewalt zugutekommen sollte: „Vergessen wir nicht, dass Nigeria ein wirklich korruptes Land ist. Man muss nur daran denken, dass selbst die nationale Agentur gegen Korruption korrupt ist! Eine Hilfsmaschinerie mit Flüchtlingscamps und so weiter in Gang zu setzen, dürfte für den Staat also ziemlich kostspielig werden…“
(rv 14.06.2015 pr)
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