2015-06-04 10:36:00

„Bordell Europas“: Deutschland hat keine nationale Strategie


Sexuelle Ausbeutung von Frauen, Zwangsarbeit und Versklavung – das ist auch in Deutschland Alltag, wie ein aktueller Bericht der Europarats-Expertengruppe GRETA belegt. Die Straßburger Experten beziehen sich dabei auf Zahlen des Bundeskriminalamtes. In der Zeit zwischen 2010 und 2013 seien fast 1.000 Frauen aus Rumänien, Ungarn, Polen und Nigeria Opfer von Menschenhändlern geworden, zudem mehr als 400 deutsche Frauen, heißt es in dem Bericht. Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher liegen.

Deutschland, Bordell Europas

Seit in Deutschland 2002 das Prostitutionsgesetz in Kraft trat, das Prostitution legalisierte, ist der Menschenhandel in dem Land noch angekurbelt worden. Seitdem seien Bordelle mit allen möglichen Zusatzangeboten im Wellness-Bereich aus dem Boden geschossen und die Branche insgesamt erblüht, beobachtet Schwester Lea Ackermann, Gründerin des internationalen Netzwerkes gegen Prostitution SOLWODI: „Es hat sich gezeigt, dass das Gesetz Prostitution zu einem Beruf gemacht hat. Das Gesetz hat die Situation der Frauen eher verschlechtert als verbessert. Es hat dagegen den Bordellbesitzern und allen, die Geld mit Prostitution machen, einen unheimlichen Vorteil verschafft: Nach 2002 konnten sie in den Wellness-Bereich gehen – überall sind in großen und kleinen Städten Großbordelle im Wellness-Bereich entstanden, so dass Deutschland inzwischen als das ,Bordell Europas’ gilt. Das heißt, es hat auch im Nachgang den Menschenhandel erhöht: Mehr Frauen wurden ins Land gebracht, um eine große Nachfrage zu befriedigen.“

Wie viel mehr Frauen das sind, kann Ackermann nicht genau sagen. Dazu fehlten verlässliche Statistiken, die Dunkelziffer in der Branche ist hoch. Außerdem habe die Polizei durch das Prostitutionsgesetz weniger Möglichkeiten, spontane Kontrollen durchzuführen und Opfer von Menschenhandel ausfindig zu machen. Die Hilfsanfragen von Frauen bei SOLWODI hätten allerdings zugenommen, beobachtet sie: „Wir haben im vergangenen Jahr 1.728 Neuanfragen in den 18 Beratungsstellen in Deutschland gehabt. Und diese Frauen kamen aus 106 Ländern der Welt. Frauen aus Ländern, denen es wirtschaftlich am schlechtesten geht, sind am meisten in Gefahr, in der Prostitution zu landen oder Opfer von Menschenhandel zu werden.“ So etwa Frauen aus Nigeria und Kenia, berichtet Ackermann, aber auch aus Rumänien, Bulgarien sowie der Türkei.

Der Europarat hatte die deutschen Behörden an diesem Mittwoch aufgefordert, endlich eine nationale Strategie gegen Menschenhandel zu entwickeln. Regelungen in den Bundesländern seien derzeit noch uneinheitlich, heißt es in einem Bericht der Europarats-Expertengruppe GRETA, der sich um die Überwachung und Umsetzung der Europarat-Konvention zur Bekämpfung von Menschenhandel kümmert. Zudem kritisiert der Bericht, dass Aufenthaltsgenehmigungen für Opfer von Menschenhändlern in Deutschland nur unter der Bedingung erteilt werden, dass die Betroffenen mit Polizei oder Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten, um gegen Schlepper vorzugehen.

Ein Jahr Prostitution, fünf Jahre Therapie

Für Ackermann ist der liberale Umgang mit Prostitution in Deutschland ein Skandal. In anderen Ländern wie etwa Frankreich, Irland, Norwegen und Kanada sei der Sex-Kauf längst verboten, in Deutschland habe man dagegen den Weg für lukrative Geschäfte freigemacht. Und zwar nicht zum Vorteil der Frauen, sondern der Bordellbesitzer. So würden Steuerabgaben etwa auf die Frauen abgewälzt, berichtet Ackermann mit Verweis auf das Kölner Großbordell Pascha, dessen Besitzer sich selbst als „Zimmervermieter“ bezeichnet: „Er hat 100 Frauen, die zahlen ihm am Tag pro Zimmer 145 Euro und 20 Euro Steuern. Sie geben ihm 20 Euro auf die Hand, er braucht keine Quittung auszustellen, darf ja nicht ihren Namen nennen, und hat am Ende des Monats 60.000 Euro, die er der Stadtverwaltung Köln zahlt.“

Dass mit dem Prostitutionsgesetz die Rechte von Prostituierten geschützt würden, sei eine Illusion, fährt Schwester Lea Ackermann fort. Auch die seit Anfang des Jahres geltenden strengeren Auflagen für Bordellbesitzer, die Anmeldepflicht für Prostituierte und die verpflichtende medizinische Beratung stellen in ihren Augen keine Verbesserung dar. Prostitution sei immer „Abwertung und Entwürdigung“ und stelle Ungleichheit zu den Frauen her: „Die Frauen, die sagen, ich habe dieses Metier selbst gewählt, machen einen ganz geringen Prozentsatz aus. Und dann kommt noch hinzu, dass diese Frauen meistens in der Kindheit schlechte Erfahrungen gemacht haben.“ Die allermeisten Frauen seien da „irgendwie reingerutscht und nicht mehr herausgekommen.“

Ackermann kümmert sich seit 30 Jahren um Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution und hat mit Tausenden Betroffenen gesprochen. Sie sagt: „Prostitution hat mit Sexualität kaum etwas zu tun – es ist Machtmissbrauch, auf einer Ebene, wo die Frauen und Kinder am Verletzlichsten sind.“ Die psychischen Folgen für die Betroffenen seien verheerend: „Ein Jahr Prostitution, fünf Jahre Therapie, sagen Traumtherapeuten. Das ist so klar, wie Frauen da kaputt gemacht werden.“

SOLWODI fordert Verbot des Sex-Kaufes in Deutschland

SOLWODI fordert deshalb ein striktes Verbot des Sex-Kaufes in Deutschland. Ein solches Gesetz hätte „Symbolwert“, so Ackermann: „Es ist nicht so sehr die Strafe, es ist das Verbot. Wenn Sie sehen, dass Prostitution wirklich Frauen entwürdigt, krank macht, dann muss etwas passieren, was den Frauen hilft! Die Frauen sollten eine Ausbildung bekommen, sie sollten Therapie bekommen, und man sollte dieses Geschäft nicht weiter betreiben. Die Bordellbetreiber sind inzwischen Millionäre, die Frauen sind nach wie vor im Elend.“

(rv/kna 04.06.2015 pr)

 








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