2015-06-02 10:04:00

Padre Bergoglio und das Schaf im Hörsaal


Was will Papst Franziskus, wie denkt er, wie stellt er sich die Kirche vor? Auch der „Spiegel“ fragte sich das letzte Woche in einer großen Titelgeschichte, ohne zu letztgültigen Antworten zu kommen. Ein rätselhafter Papst also? Oder muß man einfach nur die Richtigen fragen? Jesuitenpater Diego Fares kennt den heutigen Papst seit vierzig Jahren und erklärt jetzt in einem Leitartikel der italienischen Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica“ den spezifischen Blick Bergoglios auf das Bischofsamt. Der Ausgangspunkt ist schon überraschend: die Körpersprache nämlich. „Kaum zum Papst gewählt, macht Franziskus zwei Bewegungen, ich meine Körperbewegungen“, erklärt Fares im Gespräch mit uns.

„Zunächst verbeugt er sich. Statt sich viele liturgische Gewänder anzulegen, beugt er den Kopf, um den Segen des gläubigen Volkes auf dem Platz und in aller Welt zu erhalten. Das ist Zweites Vatikanisches Konzil: Lumen Gentium 8. Christus, der sich entäußert, der kommt, um die Armen zu suchen. „So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten“ (LG 8). Die zweite Körpergeste ist die, die er auch jedesmal macht, wenn er ins Papamobil steigt, eine Geste des Aufbruchs. Das führt uns vor Augen, wie sich ein Bischof aus seiner Sicht in seinem Volk bewegt. Das ist Lumen Gentium 12: Bischof und Volk gehen einen Weg zusammen, und auf diesem Weg kann „die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert“ (LG 12).“

Pater Fares deutet Jorge Mario Bergoglio, jetzt Papst Franziskus, als einen Mann des Konzils, für den Seelsorge und Lehre zusammengehören. „Es ist ausgesprochen wichtig zu verstehen, dass für das Konzil und für Jesus Seelsorge nicht im Gegensatz zur Lehre steht! Seelsorge ist nicht die praktische Anwendung einer Lehre, die von den Schriftgelehrten verwaltet wird, wobei sie sich die Hände nicht schmutzig machen, weil sie die Leute nie berühren, sondern nur mit klaren Ideen Umgang pflegen, während die Hirten sich die Hände durchaus beschmutzen. Die Offenbarung, die der Herr uns gegeben hat, orientiert sich am Heil seines Volkes, nicht an einer abstrakten Kenntnis der Dreifaltigkeit, sondern an einem liebenden und tätigen Wissen. Lehre ist Pastoral, sie drückt sich im Handeln aus, wenn die Gnade durch die Sakramente und die Werke der Barmherzigkeit anderen mitgeteilt wird. Es ist der Glaube, der durch die Nächstenliebe wirkt.“

Wenn Papst Franziskus mit Bischöfen spricht, dann schreibt er ihnen oft ins Stammbuch, sie sollten „Hirten sein und nicht Fürsten“. Durchaus harte Worte – aber dem argentinischen Jesuiten kommen sie nicht neu vor. „Das mit den Hirten, die den Geruch ihrer Schafe annehmen und nicht Fürsten sein sollen, kenne ich seit vierzig Jahren; damals waren wir Novizen und Studenten, und er war unser Provinzial und später unser Rektor. Ich erinnere mich an einen Gefährten, der mal durch den Garten unseres Kollegs (in Buenos Aires) spazierte; wir hatten da Schweine, Kühe und Schafe. Da sah er, wie Bergoglio, unser Rektor, einem Schaf beim Gebären half. Er fragte: ‚Kann ich Ihnen helfen?’ Da hat Bergoglio einen Moment nachgedacht, und dann hat er das kleine Lämmchen genommen, ihm in die Hand gedrückt und gesagt: ‚Kümmer dich darum!’ ‚Und wie macht man das?’, hat der gefragt. ‚Geh in die Krankenstation und lass dir da ein bisschen Milch aufwärmen und gib es ihm mit einem Fläschchen.’ So hat dieser Student also fünf Monate lang das Lämmchen in seinem Zimmer gehabt – der roch dann tatsächlich nach Schaf! Und das Lämmchen folgte ihm durchs ganze Haus, auch in die Kirche und in die Hörsäle. Bergoglio hat ihm gesagt: ‚Ich habe dich geprüft. Du hast etwas gelernt: Wenn du es hütest, dann folgt dir das Schaf überall hin. So macht man das!’

(rv 02.06.2015 sk)








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