2015-05-28 12:52:00

Bosnien: Papst holt das Land aus dem Vergessen


Der Sarajevo-Besuch von Papst Franziskus am 6. Juni steht im Zeichen des Friedens in Bosnien-Herzegowina und soll die Katholiken des Landes beim Bleiben und Überleben unterstützen: Das hat der Erzbischof von Sarajevo, Kardinal Vinko Puljic, am Donnerstag im Interview mit der Agentur Kathpress dargelegt. Gleichberechtigung der Volksgruppen und Rechtsstaatlichkeit fehlten im Land auch 20 Jahre nach Kriegsende, so der Kardinal. Der Papst werde zum ernsthaften Bemühen um eine Lösung ermutigen und dazu beitragen, „Bosnien und Herzegowina aus dem Vergessenheit der internationalen Gemeinschaft herauszuziehen“.

Bereits durch die Ankündigung seiner Reise habe der Papst Bosnien-Herzegowina „aus der Anonymität gehoben“ und das Interesse der Mächtigen der Welt verstärkt, die Stabilität des Landes zu fördern, so Puljic: „Dieses Land und dieser Staat brauchen positive Energie, da die Medien nur negativ berichten und damit die einfachen Menschen traurig machen.“ Besonders für letztere habe Papst Franziskus, der auch in Bosnien an die „Ränder“ gehe, ein „besonderes Herz“, und sein Engagement werde auch jenseits aller Konfessions- und Religionsgrenzen anerkannt: „Auch die Muslime freuen sich auf Papst Franziskus, erkennen in ihm den wahren Pilger des Friedens und der Koexistenz“, so der Kardinal.

 

Kirche im Abseits

Das Ende 1995 abgeschlossene Dayton-Friedensabkommen spreche zwar von Gleichberechtigung, umgesetzt habe man dies jedoch nicht, erklärte Puljic. In der heutigen Situation Bosniens würde Politik stets auf Kosten der Kleineren und Schwächeren gemacht. Zu diesen zählten in besonderer Weise die Katholiken, von denen es vor dem Krieg noch 830.000 gab, während es heute nur noch um die 430.000 sind. Um auch ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu geben und die negative, angstbesetzte Stimmung zu überwinden, müssten Gleichberechtigung und Religionsfreiheit endlich verwirklicht werden.

Spürbar werde die Benachteiligung etwa bei Baugenehmigungen: „Wir haben in Sarajevo zwölf Jahre für die Bewilligung einer Kirche auf unserem eigenen Grundstück gewartet. Bei anderen Religionen geht es sofort“, kritisierte der Kardinal. Auch die in Bosnien stationierten Internationalen Vertreter seien taub für derartige Ungleichheiten, während die Lokalbehörden Kircheneigentum verkaufen oder vernichten, und auf die Rückgabe der meisten einst von den Kommunisten beschlagnahmten Immobilien warte die Kirche immer noch.

 

Europas Versagen

Versagen warf der Erzbischof von Sarajevo ganz Europa beim Wiederaufbau und der unterstützten Rückkehr der Kriegsflüchtlinge vor: Zwar sei finanzielle Hilfe an die politischen Gemeinden geflossen, doch hätten diese kein Interesse daran gehabt, die Katholiken im Land, die de facto Kroaten seien, bei der Rückkehr in ihre Häuser zu unterstützen. Große Dankbarkeit gegenüber Österreich empfinde er dennoch, „insbesondere gegenüber der Caritas und der Aktion Nachbar in Not, dass sie uns geholfen haben während des Krieges zu überleben“, betonte Puljic.

Momentan sei die katholische Kirche in Bosnien-Herzegowina auf materielle Unterstützung durch Wohltäter von außen angewiesen, „damit wir auf eigenen Füßen stehen und von unserer Arbeit leben“, so der Kardinal. Denn aufgrund der Arbeitslosigkeit vieler Katholiken verfüge auch die katholische Kirche nicht über das nötige Einkommen für die Wiederherstellung ihrer Strukturen.

 

Friede braucht Aufarbeitung

Nicht nur die Gräuel des Krieges von 1992 bis 1995, sondern auch jene des Zweiten Weltkriegs und der Partisanenzeit warteten in Bosnien-Herzegowina weiterhin auf ihre Aufarbeitung, erklärte der Erzbischof. Für tatsächlichen Frieden im Land sei es notwendig, „diese Verbrechen mit richtigen Namen zu nennen und Courage für die Gleichberechtigung zu zeigen“. Bislang gebe es jedoch nur viele Unverständnisse, Beschuldigungen der jeweils anderen, jedoch keinen Mut, die ganze Wahrheit anzunehmen. „Jedes Verbrechen muss verfolgt werden“, so Puljic.

Die Kirche sei in diesem Prozess dazu verpflichtet, allen Menschen seelsorgliche Möglichkeiten zu bieten, um zu „Umkehr, Buße und Erlösung“ zu finden, erklärte der Erzbischof. „In diesem Land wird eine lange Zeit vergehen, bis wir die Geschichte gemeinsam interpretieren können, weil dieselben Personen immer für die einen Helden, für die anderen Kriminelle sein werden. Das ist ein ernstes Problem.“

Wichtig sei gleichzeitig der Dialog im Land, um den sich die Religionsführer bemühen - durch ständige Kontakte, die auch im Krieg bestanden, wie Puljic betonte. Nach 1995 wurde der „Interreligiöse Rat“ gegründet, dessen Mitglieder aus Islam, Orthodoxie, Katholischer Kirche und Judentum jährlich abwechselnd die Präsidentschaft innehaben und u.a. theologische Tagungen veranstalten. „Ich denke, dass wir auf dem Weg des Dialogs viel gemacht haben, aber noch weiter daran arbeiten müssen.“

 

(kap 28.05.2015 pr)








All the contents on this site are copyrighted ©.